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Wie rettet man das rockmusikalische Traditionsformat des Albums ins Internet? 7ieben-Frontmann Christoph Meißelbach gibt im motor.de-Interview Auskunft.
Elf Jahre Bandgeschichte, vier Alben, zahllose Shows – und dennoch sind 7ieben nur ein kleiner Fleck in der deutschen Musiklandschaft. Das Dresdner Quartett ist darüber aber keineswegs frustriert, wie Sänger und Frontmann Christoph im motor.de-Interview zu Protokoll gibt. Kraft und Motivation zieht die Band sowieso nicht aus Verkaufszahlen, sondern aus der eigenen, kollektiven Kreativität. Dass diese nach wie vor ungebrochen ist, beweist die rege Aktivität der vier Dresdner – erst vergangene Woche veröffentlichten 7ieben die Single “Bleib in Bewegung” nebst selbst produziertem Video. Für die treue Anhängerschaft gibt es zudem immer wieder aufwendig gestaltete Gimmicks wie das “Studio-Schlüsselloch”, den musikalischen Weihnachtskalender (motor.de berichtete) oder das digital-interaktive Booklet des letzten Albums “Lupus und Lea”. Lest im Folgenden über die Bedeutung des Internets für die Musikindustrie, miese Plattenverträge und “akustische” Weihnachten.
motor.de: Euer letztes Album “Lupus & Lea” habt ihr mit einem aufwendig gestalteten NetBooklet im Internet veröffentlicht. Wie kam es zu dieser Idee?
Christoph: Die Idee des NetBooklets gab es bei uns schon lange. Unser Basser und Informatiker Jörg und ich sind nicht nur faszinierte Beobachter der Entwicklungen des Webs, sondern haben auch immer versucht, daraus Inspirationen zu ziehen und selbst Beiträge zu leisten. Wir waren immer früh in allen möglichen Portalen dabei – im Rückblick nicht immer die beste Entscheidung (lacht). Wir haben auch schon 2007 das vorherige Album online unter freier Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht und mit einem E-Booklet versehen. Das war damals Cutting Edge – kaum zu glauben. Die zugrundeliegende Idee war jedenfalls die gleiche. Wir wollten unsere Releases mit den medialen Möglichkeiten des Webs anreichern und gleichzeitig das rockmusikalische Traditionsformat des “Albums” in das Internet retten. Ich denke, dass die Idee des Albums konstitutiv für Rockmusik ist und deshalb bestehen bleiben soll und wird. Fragt sich nur wie. Alben lediglich als MP3s im Web zu posten ist jedenfalls so, wie mit einem Fernseher nur Radio zu hören. Da geht wesentlich mehr. Dafür haben wir ausbaufähige Impulse geliefert, wie ich hoffe.
motor.de: Liegt die Zukunft der Musikbranche denn im Web 2.0?
Christoph: Wie gesagt, wir haben die medialen Entwicklungen von Anfang an sehr neugierig und ehrgeizig beobachtet und versucht, uns in die wichtigsten Trends einzuklinken. Homepage, Flash, Myspace, Twitter, Jamendo, Sevenload – am Anfang haben wir davon massiv profitiert, weil die damals noch exklusive Netzcommunity uns laut willkommen geheißen hat und die Reichweite unserer Musik stark anstieg. Das erwähnte CC-lizensierte “Rock | Show” wurde insgesamt über 5.000 Mal heruntergeladen – für uns damals eine fast astronomische Zahl. Auch Veranstalter und Partner konnte das noch beeindrucken. Inzwischen ist der Grenznutzen aber stark gesunken. Das Internet und das damit verbundene Marketing sind nun professionalisiert und völlig durchkommerzialisiert. Es bieten sich bei Weitem nicht mehr so große Spielräume für unabhängige Akteure. Zudem ist problematisch, dass die Open-Source- bzw. Creative-Commons-Community leider keine flächendeckende Nutzerkultur entwickelt hat, die – ökonomisch gesprochen – die Wertschöpfung der Künstler adäquat honoriert. Zugespitzt formuliert – es fehlt eine “Creative-Commons-GEMA”.
7ieben – “Bleib in Bewegung”
motor.de: Für “Lupus & Lea” habt ihr mit dem Label Timezone zusammengearbeitet. Was hat sich dadurch für euch verändert?
Christoph: Als wir die Demos von “Lupus und Lea” rumschickten, passierte erstmals das Unglaubliche: Man interessierte sich ernsthaft für uns. Wir hatten Gelegenheit, uns mit mehreren Labels zu treffen und Bandübernahme-Verträge zu prüfen. Das war einerseits schon klasse, so für’s Ego. Andererseits merkten wir mit der Zeit, dass das “Business” und wir irgendwie nicht zueinander passen. Diese Aufgekratztheit und Hyperaktivität, die mistigen Verträge, die man als Newcomer so vorlegt bekommt und die Endzeitstimmung, die für all das verantwortlich ist. Das war uns zu krass. Die Timezone-Jungs waren da allerdings anders. Kennengelernt haben wir uns über ein sich aus unserer Bewerbung entspinnendes Streitgespräch per Email über den Sinn und Unsinn von freien Lizenzen. Ich glaube, das hat damals beiden Seiten gut gefallen. Wir haben uns dann entschieden, zusammen den Testballon zu starten und ein Album unter freier Lizenz zu veröffentlichen. Meines Wissens nach ein Pilotprojekt, und den Zahlen nach auch eines, das nicht wiederholt wird (lacht).
motor.de: 7ieben haben seit jeher deutsche Texte. Was war ausschlaggebend für dieses Konzept?
Christoph: Da steckt nun ausnahmsweise kein Konzept dahinter. Das war einfach von Anfang an so und blieb unhinterfragt. In den zweitausender Jahren hat sich ja dann der deutsche Rock-Mainstream auf uns zubewegt; aber auch das war übrigens nicht geplant (lacht). Konzept hat nur unser kreativer Approach, den Fakt, dass die Texte deutsch sind, beim Songwriting zu ignorieren. So entgehen wir der Deutschrock- und Schallala-Falle – hoffe ich zumindest!
motor.de: Dresden hat zuletzt mit Polarkreis 18 einen national erfolgreichen Act hervorgebracht. Wie ausgeprägt ist die Dresdner Szene und wo würdet ihr euch einordnen?
Christoph: Mir fehlt ein wenig der direkte Vergleich zu anderen Szenen, denn ich kenne nur diese so gut. Ich halte sie für vielfältig und spannend. Der Dresdner hat aber ganz allgemein die Eigenheit, sich wohlig im eigenen Saft zu suhlen. Deshalb sollte das lieber ein Außenstehender beurteilen. Ähnlich sieht es mit unserer Rolle aus. Aber aus dem, was regionale Journalisten schreiben und was so erzählt wird, sind wir wohl in die Rolle einer “regionalen Rock-Institution” gerutscht, die von den “young guns” als alte Hasen betrachtet werden. Es gibt Schlimmeres, schätze ich!
motor.de: Wenn ihr eure Bandgeschichte Revue passieren lasst – was würdet ihr rückblickend anders machen?
Christoph: Wir – und da spreche ich mal in erster Linie von Schlagzeuger Mitsch und mir, die seit 11 Jahren zusammen musizieren – sind nicht sehr unzufrieden damit, wie alles gelaufen ist. Natürlich hätte ich gern schon eher musikalisch und textlich auf dem jetzigen Niveau praktiziert. Das hätte einige Ausrutscher, die sich nur schwer als Jugendsünden streichen lassen, verhindern können. (lacht) Aber andererseits hat das alles zur jetzigen Situation geführt. Eine Band, die materiell nicht von ihrer Musik abhängig ist und die kreative Freiheit genießt. Eine, die es nach bald 12 Jahren immernoch gibt und für deren Musik und Konzerte sich interessiert wird. Obwohl, eine Sache wäre da noch: Rückblickend haben wir uns manchmal zu wichtig – und vor allem zu ernst genommen. Etwas mehr Distanz und Selbstironie hätte unserem Image sicher gut gestanden. Dass uns das aber genützt hätte, wage ich zu bezweifeln.
motor.de: Am 17. Dezember spielt ihr zum mittlerweile dritten Mal eine “Acoustic Christmas”-Show in eurer Heimatstadt. Was ist so reizvoll an Unplugged-Konzerten?
Christoph: Akustische Arrangements sind gemachte Nester für Sänger. Und wenn der Sänger gleichzeitig Bandleader ist, kommt auch eine Hardrock-Band nicht drumrum, sich damit zu befassen (lacht). Und so kam es bei uns erstmals am 7. Juli 2007 – im Rahmen unseres Geburtstags-Konzerts “7 Jahre 7ieben”. Wir haben dann schnell gemerkt, dass wir sehr auf die sich eröffnenden kreativen Potentiale stehen. Zudem waren die Unplugged-Gigs von Anfang an besonders umjubelt. Die Athmosphäre ist einfach dichter, irgendwie “more touching”. Und das kommt unseren Songs sehr entgegen. Wir haben dann eine jährliche Tradition daraus gemacht und den Termin in die Adventszeit gelegt. Ich freue mich diesmal auch besonders auf den 17. Dezember. Denn mit der Schauburg, einem altehrwürdigen Filmtheater, haben wir wirklich eine stimmungsvolle Location gewonnen. Zudem werden eine Menge befreundeter Gastmusiker dabei sein.
motor.de: Der Jahreswechsel naht und damit die Zeit der guten Vorsätze – was sind eure konkreten Ziele für 2012 und darüber hinaus?
Christoph: 7ieben hat für 2012 nur einen Vorsatz: das neue Album fertig zu schreiben und so aufzunehmen, dass wir mit dem Ergebnis zufrieden sind. Wir werden uns auch live etwas zurückhalten, um nicht dauernd im kreativen Fluss unterbrochen zu werden. Weniger Vorsatz als Wunsch ist, dass man auf uns wartet, wenn wir mit neuem Material zurück sind.
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