Das Quartett aus Seattle ist nicht tot zu kriegen und veröffentlichte in diesem Jahr sein neuntes Studioalbum. Ans Aufhören ist nicht zu denken und wie eindrucksvoll auf ihrer kürzlich gespielten Tour durch Deutschland bewiesen, kann auch von Altersschwäche keine Rede sein. Wir haben Mudhoney vor ihrer Show in Leipzig getroffen. 

(Foto: Emily Reimann/SupPop)

Mark Arm und Steve Turner stehen in der Backstageküche des Werk 2 und führen uns mit einladender Geste in die Sitzecke des Nebenraums. Beide sind äußerst gut aufgelegt, wirken ausgeschlafen und aufgeräumt. Dass sich in weniger als einer Stunde vor der Bühne dutzende, aus welchen Ecken der Welt auch immer angereiste Jugendliche die Köpfe einschlagen, wissen die Beiden noch nicht. Selbst wenn, würde es sie vermutlich auch nicht im geringsten aus der Ruhe bringen. 25 Jahre Bandgeschichte haben einiges mit sich gebracht, für Arm und Turner neben Ruhe und Gelassenheit auch die Weisheit, dass man sich selbst nie zu ernst nehmen sollte. Sie lachen gern und viel, erzählen uns von lebenserhaltenden Maßnahmen, Aversionen gegen Bier und Fußball und davon, dass die schmutzigen Geschäfte mit Satan früher mal gewinnbringender waren.

motor.de: Da spielt ihr einmal in 100 Jahren in Leipzig und müsst wegen einem Sportfinale schon um 19 Uhr auf der Bühne stehen. Ich finde das ungerecht. Seid ihr Fußballfans?

Mark: Zur Hölle nein, ich jedenfalls nicht. Aber ist auch eigentlich egal. Selbst wenn wir mittags spielen müssten, wir hätten trotzdem Bock drauf!

Steve: Es hat auch seine Vorteile, Guy zum Beispiel freut sich und wir müssen uns diesbezüglich im Bus keine Beschwerden anhören.

motor.de: Bis auf das Thema Sport habt ihr bandintern also gerade keine Differenzen?

Mark: Nein.
Steve: Nein.
Guy (setzt sich dazu): Nein.

motor.de: 25 Jahre Mudhoney, 25 Jahre Subpop. Ihr seid eine der einzigen Bands aus Anfangszeiten, die heute noch immer vorne mit dabei ist. Und ihr habt sogar Sonic Youth überlebt.

Mark: Naja, Sonic Youth haben ja schon vor uns angefangen zu spielen, insofern ist das mit dem Überleben ja nur bedingt richtig! (Eine angeregte Diskussion über das Gründungsjahr von Sonic Youth beginnt)

Steve: Einigen wir uns auf 1981. Jetzt ist der Split ja auch schon wieder zwei Jahre her, das fühlt sich irgendwie seltsam an.

motor.de: Zu meiner eigentlichen Frage – was glaubt ihr, ist der Grund für euer Durchhaltevermögen?

Mark: Bluttransfusionen.

Steve: Und schmutzige Geschäfte mit Satan.

Matt: Genau, alle unsere Seelen sind schon lange geopfert.

Mark: Spaß beiseite, hätten wir uns auf diese schmutzigen Geschäfte wirklich eingelassen, wären wir doch jetzt viel erfolgreicher! Früher waren die wirklich mal gewinnbringender.

Steve: Ich glaube, es liegt eigentlich daran, dass wir nie einen bestimmten Plan oder ein Konzept verfolgt haben. Wir ließen viele Dinge einfach passieren und haben das immer sehr genossen. Mittlerweile hat sich einiges verändert, wir sind älter geworden, haben andere Verantwortungen, viele von uns haben Kinder…

Mark: … aber dennoch gibt es keinen Grund sich zu beschweren. Also machen wir weiter.

motor.de: Fünf Jahre hat es gedauert, bis ihr „Vanishing Point“ veröffentlicht habt, das ist die längste Pause zwischen zwei Mudhoney-Alben bisher. Habt ihr euch bewusst Zeit gelassen, oder ist das gar eine Konsequenz eures langen Bandbestehens?

Steve: Das hat natürlich mehrere Gründe. Zum Einen bin ich mittlerweile nach Portland gezogen, das sind gut drei Stunden Fahrt bis nach Seattle. Und zum Anderen haben wir die eh schon ziemlich limitierte Zeit, die uns neben Job und allem zum Proben und Schreiben bleibt, zum Touren genutzt.

Mark: Genau. Anstelle von intensivem Arbeiten und Aufnehmen, waren wir jetzt lieber fünf Jahre auf Tour.

Steve:
Außerdem können wir auch nicht jeder für sich in seinem stillen Kämmerchen Songs schreiben, sondern wir müssen zusammen in einem Raum sein. Mark kommt nicht zu uns und bringt uns seine Songs bei.

Mark: Genau! Es ist nicht so, dass ich den anderen die Songs erkläre, sondern die anderen erklären mir die Songs! „Hey du Dummkopf, das ist ein A, spiel ein verdammtes A!!“ (lacht)

Mudhoney – “I Like It Small”

motor.de: Mir wird beim Hören eurer neuen Platte sehr schnell klar, dass – zum Glück darf man sagen – alles beim Alten geblieben ist. Aktuelle Stile, Produktionen oder Sounds tun nichts zur Sache, genauer gesagt gebt ihr einen Scheiß darauf. Seid ihr mittlerweile zu alt, um essentielle Dinge zu verändern?

Steve: Essentielle Sachen können und wollen wir gar nicht ändern, das wäre ja ziemlich albern. Außerdem könnten wir natürlich versuchen, etwas völlig neues auszuprobieren. Das würde dann aber trotzdem wieder bei Mudhoney enden.

Mark: Es gibt eben so Dinge, die passieren, wenn Steve eine Gitarre in die Hand nimmt, wenn Dan sich ans Schlagzeug setzt. Dann kommt noch Guy mit seinem sehr speziellen Bass dazu und die Situation, wenn ich meinen Mund aufmache und versuche zu singen (lacht). „What To Do With The Neutral“ vom neuen Album etwa, das ist stilistisch schon sehr anders für uns. Aber am Ende kommt trotzdem wieder dieses Mudhoney-Ding durch und das ist die Essenz. Die können und wollen wir nicht bekämpfen.

motor.de: „You’ve always been the critics’ darling, so get the fuck out of my backstage!“ Diese Zeile stammt aus dem Song „Chardonnay“ und eine amtliche 7.4. gab es für die neue Platte von Pitchfork. Das ist schon ein Widerspruch, oder geht es hier am Ende tatsächlich nur um Wein?

Guy: (lacht) Tatsächlich geht es nur um Wein und um die Weinkritiker, nicht die Musikkritiker. Wobei ich persönlich Chardonnay eigentlich gar nicht mag. Mark auch nicht, hört man ja auch im Song. 

Mark: Dabei ist das Prinzip ja bei allen das gleiche, auch der Rockkritiker hat wie ein Weinkritiker seine 100 Punkte-Liste. Aber darauf wollten wir hier nicht hinaus.  

Steve: Hauptsächlich spiegelt dieser Titel vor allem unser Alter wieder, wir sind ähnlich gereift wie ein guter Wein und haben jetzt ein seriöses Hobby – wir testen und schätzen kräftige Weine und Käse (lacht).

motor.de: Also gibt es im Backstage jetzt kräftigen Wein und Häppchen anstelle von Bier und Schnaps?

Steve: Größtenteils schon, ja. Ich kann mittlerweile kein Bier mehr trinken. Guy hingegen bleibt bei Bewährtem und beschwert sich, wenn kein Kaltes im Kühlschrank steht.

Mark: Weil ein verdammtes Budweiser schmeckt, wie diese beschissenen amerikanischen Biere eben schmecken, finde ich es zum Beispiel mittlerweile auch wirklich langweilig, Bier zu trinken. Wein ist da schon spannender – manchmal bist du unangenehm, manchmal und häufiger aber eben äußerst angenehm überrascht. Es ist der eindeutig abenteuerlichere Weg zu trinken.

motor.de: Zurück zur Musik. Derzeit sind Bands wie Metz oder Japandroids mit einer ähnlichen Attitüde und vielen Einflüssen einer Stilrichtung erfolgreich, die ihr vor 25 Jahren anfingt zu etablieren. Nehmt ihr diesen Grunge-Frühling als solchen wahr?

Steve: Es überrascht mich ehrlich gesagt nicht, dass der Sound wieder zurückkommt. Ganz davon abgesehen, sind Metz außerdem auch völlig zu Recht dort, wo sie jetzt stehen. Diese Lücke von 20 Jahren ist schon eine Art magischer Rahmen, könnte man meinen. Ich war 1985 auch von den Songs von 1965 angefixt, das kehrt wahrscheinlich in jeder Generation ähnlich wieder. Die jüngere Vergangenheit ist immer scheiße, das haben wir damals auch zu spüren bekommen, als wir viele Fans an Nirvana und den ganzen Epitath-Kram verloren haben.

Mark: Und an den Indie-Rock.

Steve: Was auch immer vor fünf oder zehn Jahren passierte – für die Außenwahrnehmung ist das immer lame!

Mark: Sind Nickelback wirklich erst fünf oder zehn Jahre her?

Mudhoney – “If I Think” (Live in Berlin 1988)

motor.de: Euer Label SupPop hat hierzulande ja eigentlich nie an Popularität verloren, steht aktuell aber wieder mehr im Blickfeld vieler Rockfans. Wie nehmt ihr das nach so vielen Jahren wahr – ist SubPop noch diese Insel für unkonventionelle Rockmusik, oder haben sie in den letzten zehn Jahren an Experimentierfreude eingebüßt?

Steve: Du musst wissen, Mark arbeitet dort. Hier herrscht also eine Art Gewissenskonflikt.

Mark: Nein, nein – du kannst offen sprechen!

Steve: Nach dem großen Erfolg von Soundgarden und Nirvana damals haben SubPop eine Reihe ziemlich beschissener Bands gesignt, in der Hoffnung an den Absatz anknüpfen zu können.

Mark: Das passiert ja manchmal immer noch (lacht).

Steve: Nach 2000 haben sie sich dann wieder mehr auf ihr Gefühl und Leidenschaft konzentriert und signen heute Bands aus besseren Gründen als damals. Klar müssen natürlich Platten verkauft werden, aber es ist irgendwie nicht mehr so verkrampft. Fleet Foxes zum Beispiel waren ein großer Fang.

motor.de: Also stimmt die Atmosphäre heute wieder?

Steve: Definitiv, es ist ein gutes Label. Außerdem schweißen die vielen Jahre zusammen.

Mark: Das traurige ist nur, dass sich viele gute Bands nach zwei Alben mit dem Erfolg auch ein anderes Label suchen. The Shins sind gegangen, Iron And Wine sind gegangen, Band Of Horses ebenfalls. Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite des Flusses, mehr Geld, ein größerer Vertrieb…

Steve: Wir fühlen uns aber wirklich wohl. Ich meine, sie bringen unsere Platten raus und geben Mark sogar einen Job!

Mark: Das war ja auch Teil unseres Plattenvertrags! (alle lachen)

motor.de: Zum Abschluss – was war die letzte Platte, die ihr euch gekauft habt?

Mark: Ich war zum Record Store Day das letzte Mal in einem Plattenladen und habe mich für die Captain Beefheart „Live in UK 1968“ LP entschieden. Außerdem noch für die neue Nick Cave, die hatte ich zwar schon als mp3, aber ich wollte sie in den Händen halten. Und außerdem ist so das nackte Mädchen auf dem Cover größer.

Steve: Ich habe mir auch die Bad Seeds Platte und ein paar Bob Dylan 7-Inches gekauft.

Guy: An meine letzte neue Platte kann ich mich gar nicht erinnern. Das letzte Album, was ich gebraucht gekauft habe, war The Pop Group „We Are All Prostitutes“.

motor.de: Vielen Dank für das Interview!

Alex Beyer