Neues Album, ein Live-Album gleich dazu, und DJ Bobo mischt auch noch mit … irgendwie. Saalschutz machen auf Nichtsnutz.

Das vierte Saalschutz-Album steht in den Startlöchern. “Saalschutz Nichtsnutz” klingt immer noch wie der bewährte “Ravepunk” der Züricher, lässt aber ein bisschen weniger Luft für emotionale Distanz. Mit einem Intro von DJ Bobo und einem Bonus-Live-Album gibt’s obendrein auch noch die Aufhänger für die Kulturclash-Diskussion zum Thema. Ein Interview mit M T Dancefloor.

motor.de: Wir müssen natürlich mit DJ Bobo anfangen – so wie ihr ja auch. Ein bisschen tut das Intro schon weh, das geht doch deutlich über diese Schmerzgrenze, die man in sich hat.

M T Dancefloor: Es ist auch nicht zwingend die Musik, die ich zu Hause höre. Obwohl: Ich hab die erste Maxi von ihm auf Vinyl. Die ist schon fast so etwas wie ein Standardwerk im Eurodance-Kontext. Ich versuche ja, Musik in einem gewissen Sinne auch pragmatisch zu hören, nach einer Art “künstlerischer Ausschlachtbarkeit”. Und ich finde, er hat da halt wirklich Großes geleistet –und er ist halt ein Stück weit auch so eine Kultfigur. Wobei ich ihn nie persönlich getroffen habe. Die Aufnahme haben wir von jemandem aus dem Radio zugespielt bekommen, der das für uns gemacht hat. Ich hab auch schon mehrmals gehört, dass er sehr nett sei.

motor.de: Ach so! Man denkt ja hier immer: Klar, in der Schweiz, da kennt man sich halt, ist ja nicht so groß.

MTDF: Nee, ganz so ist es nicht. Es hat ja doch jeder soweit sein eigenes Gärtchen. Wir kennen auch nicht alle Independent-Bands, auch wenn man sich immer mal über den Weg läuft. Aber es stimmt schon, man kommt total einfach an Leute ran. Wir hatten ja auch mal ein Foto mit der damaligen Miss Schweiz, die war auch sehr freundlich zu uns.

motor.de: Berührungsängste habt ihr eh nicht, vermute ich mal.

MTDF: Wir finden natürlich auch nicht alles gut. Oder vielleicht sogar schrecklich. Aber ich finde es immer ein bisschen komisch, das dann gleich zu werten, das in einem Interview rauszulassen, zum Beispiel. Das wird auch manchmal zu ernst genommen. Es ist schon ein guter Impuls, wenn man jemanden sympathisch findet. Wenn die Musik unter aller Kanone ist, wird es schwierig. Ich persönlich hab da aber ein relativ breites Spektrum. Es hat vieles Platz, es hat vieles seine Berechtigung.

motor.de: “Flumroc” und “M T Dancefloor” – mit den Künstlernamen habt ihr eure Jugendsünden bis heute einfach beibehalten?

MTDF: Ach, und “DJ Bobo”?!? (lacht) Wir haben die halt einfach behalten. Method Man ist auch noch Method Man. Wir sind eben wir. Es hat natürlich ein bisschen was Lächerliches, weil man mit zwei Mausklicks rausfindet, wie wir heißen. Fast schon so was Uncooles, was uns ja ein Stück weit immer angezogen hat. Uns wurden diese Namen ja irgendwann gegeben, eher als Witz, und wir haben die dann für Saalschutz wieder ausgegraben.

motor.de: Man fragt sich aber schon, ob ihr da dann doch eine Art “Kunstperson” seid, also anders als in anderen Kontexten.

MTDF: Ich hab es immer genossen, mich hinter der Band auch ein Stück weit zu verstecken. Gut find ich, wenn dann jemand sagt: Ach so, du bist der von Saalschutz! Nicht mich unbedingt, aber die Band zu kennen, das find ich etwas sehr Schönes. Aber mal ehrlich: “Rolf” und “Bruno” klingt jetzt auch nicht soooo ansprechend!

motor.de: “Saalschutz Nichtsnutz”: Klingt da ein wenig Fatalismus durch?

MTDF: Es ist vielleicht eine kleine Art Protest, Stichwort Verwertbarkeit. Ich wollte eigentlich auch einen Text schreiben zum Thema, vielleicht kommt der noch irgendwie nach. Aber das hat nicht gepasst, metrisch und melodiös. Ich hab da nix hingekriegt, was ich letztlich gut fand. Jetzt steht die Platte unter diesem Zeichen. Es ist ja immer dieses Spannungsfeld zwischen “Spaß haben” und dann doch “Geld verdienen”, verwertbar sein müssen. Ich fand ja immer schön, etwas zu tun, was total sinn- und nutzlos ist, das ist dann so eine Art Dandytum. Aber das ist mangels finanzieller Ausstaffierung natürlich auch schwer. Man muss sich das Dandytum erkämpfen.

motor.de: Eine andere Interpretation wäre vielleicht ein “Max & Moritz”-Ding. So in Richtung bedenkenloser Spaß ohne Rücksicht auf Verluste.

MTDF: Max und Moritz sind in der Tat rücksichtslos, das ist eher unsympathisch. Aber Nichtsnutze, nennen wir sie mal Leute ohne große ökonomische Ambitionen, sind in meiner Auffassung nicht aggressiv. Sie erfahren eher Aggression. Sie sind die “Schmarotzer”, die “liegen uns auf der Tasche”, “die nützen nix”. Aber sie schaden auch nicht. Sie sind nicht aggressiv. Oder? Ich persönlich empfinde jedenfalls Menschen, die auf Nützlichkeit pochen, als aggressiver. Wobei ich natürlich auch pragmatisch bin. Ich hab ja nicht Zeit und Geld, um 24 Stunden herumzulungern. Ich bin ein ziemlich aktiver Mensch. Aber was ich mache, ist unter rein ökonomischen Gesichtspunkten nicht “nützlich”.

motor.de: Es ist eine etwas seltsame Entwicklung bei euch, normalerweise ist das bei altgedienten Bands eher umgekehrt: Eure alten Stücke hatten oft eine Art ironische Distanz, mit der Zeit seid ihr aber immer konkreter geworden, weniger – sagen wir mal – “drüber stehend”.

MTDF: (überlegt) Die Ironie, das Distanzierte ist ein Stück weit durchdekliniert für uns. In dem Feld gibt’s für uns nicht mehr viel zu holen, was wir nicht schon gemacht haben. Man könnte natürlich versuchen, noch abstrakter zu werden, das Gebrochene nochmal zu brechen. Für mich ist es aber eine größere Herausforderung, den anderen Weg zu gehen. Also ein trauriges Liebeslied zu machen. Das ganz Distanzlose krieg ich aber auch nicht hin, so nach dem Motto: Ich schreib jetzt meine Gefühle auf. Auf diesem neuen Album hab ich das aber schon ein bisschen versucht. “Okay” ist so ein Lied. Ich hätte das nie schreiben können früher. Aber jetzt – wo ich gar nicht unglücklich verliebt bin – fällt mir das viel leichter. Ich frage mich aber schon, wo diese Reize in der Textrezeption liegen, dass etwas als authentisch oder nicht authentisch wahrgenommen wird. Bei “Leerer, inhaltsloser Ausdruck” hat ja auch niemand geglaubt, dass ich wirklich einen Kunstraub plane.

motor.de: Es gibt dieses schöne Etikett “Ravepunk” für euch. Seid ihr damit glücklich?

MTDF: Wir haben das ja zum Teil selbst mit in die Welt gesetzt. Wir dachten immer, das sei eine Möglichkeit, um ein bisschen mitgestalten zu können. Als wir zum Beispiel anfingen, kam ja gerade “Electroclash”. Und wir haben uns natürlich sofort davon distanziert! (lacht) Ich wollte damit auch echt nichts zu tun haben, weil es so ein Fashion-Ding war. Außerdem dachte ich, dass in zwei Jahren niemand mehr davon reden würde – und es ging noch schneller. Ich bin sehr froh, dass wir das für uns abgewendet haben. Das Gleiche gilt für “NuRave”. Wir wollten mit dem Etikett nichts zu tun haben. Aber ich fand die Musik teilweise sehr interessant.

motor.de: Ihr lebt in Zürich, Knarf Rellöm hat das mal “Little Big City” genannt …

MTDF: … das war der Tourismus-Slogan der Stadt! Kurz nach dem Lied wurde das abgewandelt zu “Downtown Switzerland”, was verständlicherweise andere Regionen der Schweiz in Rage gebracht hat.

motor.de: Ich wollte natürlich darauf hinaus, dass man hierzulande von der Züricher Szene eigentlich wirklich wenig weiß. Seid ihr da eine Art Einzelkämpfer, oder wie ist das?

MTDF: Bei uns lief das immer über Freundschaften. Wir hatten nie den Eindruck, wir müssten jetzt Leute suchen, die den gleichen Sound machen. Wir fanden es auch immer interessant, mit Bands zu spielen, die andere Musik machen. Schon die Texte auf hochdeutsch vorzutragen, ist aber eher selten. Das haben ja die Aeronauten gemacht – und die sind für mich ein wichtiges Vorbild, ich hab Guz (den Aeronauten-Mastermind, d. A.) immer sehr bewundert. Ich hab den auch kennen gelernt und wir wollten was zusammen machen. Aber wir sind halt nicht die besten Kooperateure, das ist nicht unsere Stärke. Ansonsten gibt es schon eine Musikszene. Aber es ist nicht so, dass wir mit anderen Bands gemeinsam auf die Piste gehen. Ich glaube, das suchen die Leute hier allgemein nicht so. In Zürich ist ja die elektronische Musik sehr stark. Und wir machen – per Zufall – auch viel elektronisch. Aber wir sind ja eigentlich eine Popband. Früher haben wir auch mehr im Club-Kontext gespielt. Mittlerweile ist das eher Konzert-mäßig geworden.

motor.de: Apropos Konzerte, da sind wir ja gleich beim Live-Album, das es als Bonus geben wird. Man muss das natürlich fragen: Macht ein Live-Album für eine elektronische Band wie euch überhaupt Sinn?

MTDF: Das weiß ich nicht, aber das ist ja auch wieder die Frage vom Nichtsnutz. Es ist auch ein Geschenk für die Leute, die an die Konzerte kommen, die uns mögen. Und gleichzeitig auch für uns eine Dokumentation. Wir dachten halt: In dem Genre gibt es kein Live-Album. Und wir haben in dem Genre schon sehr viel mitgemischt. Warum sollen wir dann nicht die Ersten sein, die ein Live-Album machen. Das find ich schön! Auch wenn das vielleicht ein bisschen eitel ist. es hat aber auch seine Längen, “Kunstraub” (“Leerer, inhaltsloser Ausdruck”, d. A.) über 9 Minuten ist schon ein bisschen Wahnsinn, auch für mich! Aber es ist halt so, wie’s war, da müssen die Leute durch. (lacht) Wer uns nicht mag, kauft’s ja eh nicht.

Interview: Jörg Augsburg

VÖ: 15.03.2013

Label: Audiolith

Tracklist:

Saalschutz – Saalschutz Nichtsnutz
01. Intro (by DJ Bobo)
02. Und alle so yeah
03. Die von Freddie Mercury
04. Für eine Sekunde unendlich (feat. Elektra Polytone)
05. Das, was uns kaputt macht
06. Alles geht in Flammen auf
07. Walzer für S.
08. Okay
09. Der Star (Sedlmeir Interpretation)
10. Während Du feierst stirbt Dein Volk (feat. Torsun)
11. Was Saalschutz tun muss
12. Hey Mr. Lehrer
13. Outro

Singen Tanzen Ecken Kanten (Live Album)
01. Do you believe?
02. Ihr wollt ja doch nur pogen
03. Honit soit qui mal y pense
04. 19, 9 & 90
05. In Deiner Nähe sein
06. Ravepunk für eine bessere Welt
07. Saalschutz, den ganzen Tag
08. Der Widerspruch
09. Richtige Deejays
10. Leererer, Inhaltsloserer Ausdruck
11. The Anthem
12. Classics & Nicht-Classics
13. Mein Pop Dein Pop
14. Laserboy erwacht (Gammablitzboys Cover)
15. Headliner der Herzen