Vom Stief- zum Vorzeigekind: Heavy Metal ist gut im Geschäft, inzwischen allgemein respektiert – und sogar noch ein bisschen gefährlich. 

Man muss zweimal hinschauen, bevor man es wirklich glaubt: Nicht nur, dass es tatsächlich ein neues Album von Testament gibt, es macht sich in den ersten drei Tagen nach Erscheinen auch prompt auf den Weg in die obersten Regionen der Charts, geschlagen nur von den gerade sehr, sehr hippen Casper und Cro. So zumindest die offizielle Prognose, die immerhin andeutet, was vielleicht tatsächlich nächste Woche in den deutschen Album-Charts aktenkundig werden könnte. … Moment mal: Testament?

Vor 25 Jahren veröffentlichten die Bay-Area-Rocker ihr Debüt, seitdem zählen sie zum Grundinventar der Metal-Szene und ganz ehrlich, man muss sie nicht unbedingt kennen. Außer natürlich, man ist Metal-Fan. Denn damit zählt man zu den treuesten, am wenigsten wankelmütigen und sowieso von keinerlei hergelaufenem Trend zu beeindruckendem Fangruppen, die die Musikszene zu bieten hat. Ein Testament-Albumcover von 2012 sieht im Wesentlichen so aus wie ein Testament-Albumcover von 1987, auch im Sound lassen sich für Außenstehende nicht wirklich großartige Unterschiede ausmachen. Und so soll es auch sein, zumindest, wenn man es aus dem Blickwinkel der weltweiten Metal-Gemeinde betrachtet.

Diese Woche findet das Wacken Open Air statt, es ist das größte und bekannteste Metal-Festival des Landes, selbstverständlich ausverkauft. Testament spielen samstags auf der “True Metal Stage”, es gibt auf den sechs Bühnen auch sonst noch jede Menge Bands zu sehen, die man zwischenzeitlich schon lange als ziemlich out kategorisiert hatte, all die U.D.O., Hammerfall, Saxon, Sacred Reich, Axel Rudi Pell; die Liste ist beliebig erweiterbar, sogar die Scorpions werden hier noch einmal aufgeboten. Wacken ist das augenfälligste Beispiel für eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren verstetigt hat. In der Metal eine ganz erstaunliche Karriere vom gern als irgendwie zurückgebliebenem Stiefkind der Musikgenrefamilie zum Vorzeigesohn gemacht hat. Alles, was man vor noch gar nicht all zu langer Zeit an Metal und seinen Fans auszusetzen hatte, macht das Genre heute zum krisenresistentesten Nischenprodukt in schlechten Zeiten. Metal-Fans kaufen die Musik ihrer Bands in immer noch berechenbaren Größenordnungen. Einmal Fan, immer Fan – die Altersdurchmischung auf Metal-Konzerten ist unerreicht, neben dem erstaunlichen Zustrom am immer neuen Generationen adoleszenter (und ungebrochen mehrheitlich männlicher) Lärm-Liebhaber, bleiben viele auch mit den Jahren ihrer Jugendliebe verhaftet, nehmen es den Bands alles andere als übel, wenn sie beim alten Eisen bleiben.

Ewig vorbei scheinen die Zeiten, in denen Metal als Jugendverderber Nummer eins galt. “Wir haben hier expliziten Sex, extreme Gewalt, Suizid in Texten, all das geht an Kinder, die manchmal noch nicht einmal Teenager sind”, beschwerte sich Tipper Gore Mitte der Achtziger und führte einen Kreuzzug gegen Metal, der kurzfristig zu Plattenverbrennungen und Kongressanhörungen führte und dem wir langfristig die “Parental Advisory”-Aufkleber zu verdanken haben. Metal galt im Wortsinn als Teufelszeug, da war der echte Schreckensmoment allerdings noch ein paar Jahre und ein paar Sound-Evolutionssprünge entfernt. Vor allem in Skandinavien – bis heute Kernland für die Metal-Extreme – nahmen Anfang der Neunziger einige Musiker wörtlich, was bis dato eher als Schreckgespenst gegen Eltern und Schule galt. Black Metal war der Soundtrack bei Brandanschlägen auf Kirchen, bei echten Morden an Konkurrenten und Homosexuellen, bei tödlichen Ritualen bis hin zu nekrophilen Exzessen. Ein Teil der Szene driftete in die Neonazi-Szene ab, bis heute gilt “NS Black Metal” als unerfreulichste Spielart des Genres. (Ein Odin-Motiv aus einem 93er-Artwork von Burzum, der Schlüsselband der Szene, lässt sich auch am Unterarm des Fast-Bayreuth-Sängers Evgeny Nikitin ausmachen.)

Metal ist aber auch ganz objektiv besonders ungesund. Mediziner warnen dringlichst vor dem Einsatz von Metal in der Notfallmedizin und dem damit verbundenen Risiko von Stress für den Patienten. Stillende Mütter sollten Metal tunlichst vermeiden, hat er doch negative Folgen für den Milchfluss. Kürzlich erst fand eine Studie der University Of Melbourne wieder einmal heraus, dass dauerndes Hören von Heavy Metal durch Heranwachsende Zeichen von Depressionen oder Selbstmord-Gedanken sein könnte. Eine Metastudie zählte die Begrifflichkeiten in den zwischen 1978 und 2010 veröffentlichten psychologischen Studien zu Metal durch; die nach “Jugend” am häufigsten verwendeten Begriffe sind “Suizid”, “Gewalt und Aggression”, “Sex” und “Satan”. Übrigens: Die Anzahl der wissenschaftlichen Studien stieg in diesem Zeitraum mehr oder weniger kontinuierlich pro Jahr.

Metal ist also recht gut erforscht – allerdings nur medizinisch. “Was läuft in der harten Musik besser?” fragt sich jetzt ein Panel auf dem diesjährigen Reeperbahn Festival in Hamburg. Parallel dazu finden die Hamburg Metal Dayz statt, bei dem sich die Wacken-Veranstalter breitbrüstig mit Diskussionen, Workshops und Meet & Greets präsentieren. Wie gesagt: Metal geht es vergleichsweise verdammt gut – zumindest wenn man die Geschäftsbedingungen des aktuellen Musikmarkts als Maßstab nimmt. Aus dem Exotensektor ist das Genre lange raus. Ein bisschen Basiswissen und wenigstens ein, zwei echte Lieblingsbands außer den Everybody’s Darlings Slayer gehören in jedes ernst zu nehmende Musikhörprofil. Metal-Kolumnen sind auch in sonst weniger speziell orientierten Medien – zum Beispiel bei Spiegel Online – Usus. Und wer sich dieser Tage durch die Spätnachrichtensendungen zappt, wird sicher den einen oder anderen freundlich menschelnden Beitrag über die Metalheads-Vollversammlung Wacken Open Air finden, in der die “normalen” Dorfbewohner die martialisch aussehenden Metaller alle ganz ganz lieb finden. Das kürzlich ausgerechnet ein Blitzschlag für 51 Verletzte beim ostdeutschen Konkurrenzfestival With Full Force sorgte, gehört nach dem ersten Schrecken jedenfalls auch zum Szene-Mythos: Metal ist eben immer noch gefährlich.

Jörg Augsburg