Ein etwas verstört wirkender junger Mann stolpert aus dem Eingang des Leipziger Conne Island. Er weiß nicht so recht, in welche Richtung er gehen soll, schließlich marschiert er einige Schritte nach rechts, um sich dann doch umzuentscheiden. Kurz hinter ihm verlässt ein älterer Herr den Vorraum, setzt sich auf eine der im Hof stehenden Bänke, atmet ein wenig erleichtert auf und sagt „nun ja, langweilig war es jedenfalls nicht.“ Hinter ihm dringen die letzten Töne eines sich überschlagenden Gitarrensolos in die laue Frühlingsnacht.
(Foto: Kim Ramberghaug)
Drinnen stehen Motorpsycho auf der Bühne und spielen sich die Seele aus dem Leib. Das tun sie seit geschlagenen anderthalb Stunden. Ohne Unterlass. Sie haben den norwegischen Jazz-Keyboarder Ståle Storløkken im Gepäck, mit dem sie Anfang Februar das ambitionierte Konzeptalbum “The Death Defying Unicorn” veröffentlicht haben. Neben ihm waren noch gut zwei Dutzend andere Musiker beteiligt – die sind heute allerdings nicht mit von der Partie. Eine Lücke die es zu schließen gilt. Aber Motorpsycho wären nicht Motorpsycho, würden sie die fehlende Manneskraft nicht durch Virtuosität und schiere Lautstärke zu kompensieren wissen.
Motorpsycho & Ståle Storløkken – “Into The Gyre”
Ståle verschanzt sich hinter gefühlten fünfzig Tasteninstrumenten – ein bisschen sieht es so aus, als habe er sich seine eigene Höhle bauen wollen. Nach kurzem Intro bollert die gut geschmierte Maschinerie des Viergespanns rückhaltlos über das zu Hauf erschienene Publikum hinweg und ich ertappe mich dabei, wie ich ein wenig entgeistert auf die Bühne starre, denn was dort geschieht ist schlichtweg imponierend. Kenneth Kapstad trommelt wie ein Derwisch, während Bent Sæther und Hans Magnus Ryan ein Riff nach dem anderen aus dem Ärmel zaubern. Ståle steht in seiner Höhle und meißelt die dazugehörigen Orgelpassagen in das dröhnende Klanggewand. Es ist keine Musik, zu der man sich bewegen kann, selbst Kopfschütteln gestaltet sich ob der stetig wechselnden Tempi und Instrumentalparts schwierig. Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich das Schauspiel in selbstversunkener Meditation und dem Gefühl von Krampfadern in den Beinen bis zu Ende anzuschauen.
Nach gut zwei Stunden und einer abschließenden Double Bass-Tirade ist der Spuk vorbei, das Einhorn lebt oder ist tot, das weiß keiner so recht, ist auch unwichtig. Ich jedenfalls bin geschafft und merke, dass ich vergessen habe mein Bier zu trinken. Es ist schal, aber das macht nichts. Noch für eine Minute die entspannte Ausgelassenheit des Abends genießen und die mitunter sichtlich irritierte Mimik des langsam in die Nacht strömenden Publikums belächeln, am Lazy Dog vorbei und ab gen Heimat. Leipzig. Liebe.
Robert Henschel
No Comment