Reich aber sexy – Bruce Springsteen gibt mangels Alternativen gleich selbst den Klassenkämpfer und Protestsinger.

(Foto: Danny Clinch/Sony Music)

Man müsste Bruce Springsteen natürlich gar nicht mal besonders mögen, um das lustig zu finden: ein Duett mit Neil Young in der Jimmy Fallon Latenight Show. Gemeinsam geben sie ausgerechnet “Sexy And I Know It”, einen grenzdebilen Spaßhit der gerade dortzulande schwer angesagten amerikanischen Partyhopper LMFAO, zum Besten. Es ist wohlgemerkt ein Neil Young aus seiner tiefsten akustischen Mundharmonika- und Ningelgesangsphase, mit Wildlederjacke und tief ins Gesicht gezogenem Hut. Und ein Bruce Springsteen, der direkt aus seinen eigenen Achtzigern entsprungen ist: ärmellos jeansbehemdet, mit Stirnband und fast schon wieder moderner Sonnenbrille. Es ist eine wundervolle Parodie, in der Showmaster Jimmy Fallon einen sehr veritablen Neil Young abgibt. Aber Bruce Springsteen ist echt.

Ein neues Album von Bruce Springsteen ist in den USA ein Ereignis von nationaler Bedeutung, er ist “The Boss”, die praktisch unkaputtbare Ikone einer – natürlich sehr leicht missverständlich zu interpretierenden – uramerikanischen Rockmusik, dessen Veröffentlichungen auch immer so etwas wie ein übergreifenderes Statement zum gerade herrschenden Zeitgeist abgaben. Es dürfte wenige Songs geben, die sich ebenso ins kulturelle Selbstverständnis der Amerikaner eingegraben haben wie “Born In The USA”, das immer noch jeder Amerikaner am liebsten so interpretiert wie er es möchte, als Eloge oder Abgesang auf ein Amerika, das Patriotismus von rechts und links gleichermaßen erwartet. Gemäß den Achtzigern mit gehörig Pomp ausgestattet klang das, auch musikalisch hoch naiv und gerade deshalb so ungemein tauglich als Hymne von unten. Von einem “ehrlichen Typen” aus New Jersey, wo man seit jeher das große Glitzern der Welthauptstadt des Kapitalismus nur von fern beäugt.

Bruce Spingsteen & Neil Young – “Sexy And I Know It”

“Wrecking Ball” heißt das neue Album und es beginnt mit einem wuchtigen Schlagzeug, einem, wie es in betont kraftstrotzenden Rocksongs gern genommen wird, vor allem, wenn dann auch noch eine Gitarre ein ordentlich dröhnendes Riff nachreicht. Es ist die Art Sound, die Feingeister auf Distanz hält, die direkt ins vermutete Geschmackszentrum eines irgendwie amerikanischen Massenpublikums zielt. Wobei es wiederum außer Frage steht, dass ein Bruce Springsteen das ganz genau so will. Denn er braucht die Aufmerksamkeit der Massen für “We Take Care Of Our Own”, diesen ersten von all den Songs auf einem Album voller Verweise auf die Lage der Nation in Bruce Springsteens Lesart. Die ist eine, die immer “nah am Menschen” war, eine, die ebenso gut eine vertonte Obama-Rede sein, wie sie eine Tea Party Versammlung begeistern könnte. Auch das ist Amerika, das vom Gründungsmythos an schizophrene “Land Of Hope And Dreams”, wie es gleich ein paar Songs weiter prompt heißt.

Bruce Spingsteen – “We Take Care Of Our Own”

Sicher ist sicher: die Texte sind dabei.

Es geht auf “Wrecking Ball” um Finanzkrise, um Occupy-Stimmung, um die immer größeren Sorgen, den Alltag zu überstehen, um darniederliegende Gemeinden und verwahrloste Straßen und Seelen. Vertont ist das – und da lohnt es sich, genauer hinzuhören, weil es diesen Bruce Springsteen der Gegenwart auch ideologisch genauer verortet, als man das anhand der allgemeinen “Wir hier unten / ihr da oben”-Rhetorik je könnte – sehr nah am Stil seines Tribut-Albums von vor einem halben Jahrzehnt: “We Shall Overcome: The Pete Seeger Sessions”, also an einem saftigen Singalong-Folk mit Fiddeln und Bläsern, mit Stampfrhythmen und mitreißenden Chören.

Es gibt – nach Woody Guthrie und in gewisser Weise auch Bob Dylan – keinen, der als Protestsinger bekannter ist als Pete Seeger, dem man sogar in realsozialistisch geprägten Kulturlandschaften einen knallharten Klassenstandpunkt unterstellte und dessen – er stammt nicht von Seeger, aber es ist einer seiner Klassiker – “Which Side Are You On” man auch schnell mal zu einem “Sag mir, wo du stehst” umdeutete. Heute weiß man, dass es mit dem amerikanischen Folk ein wenig vielschichtiger zugeht, als man das vom (gemeinhin musikalisch leider sträflich unterschätzten) Oktoberklub oder beim Festival des politischen Liedes gern vorgeführt bekam. Nur: das ändert natürlich nichts an den realen Ausbeutungsverhältnissen, deren gesamtgesellschaftliche Unkosten-Rechnung überdies immer wieder nach unten durchgereicht wird. Es sind gerade Zeiten, in denen man das wieder deutlicher erkennt. Gute Zeiten – so gesehen – für die Mahner und Kämpfer, für Songs mit geballter Faust und ein paar Muskeln mehr. Für Bruce Springsteen.

“This land was made for you and me, this land is your land” – and Obama’s land.

Es ist die Dialektik der modernen Zeiten, dass diese – im weiteren Sinne – Arbeiterlieder ausgerechnet von einem kommen, der reich ist. Es gehört dazu, dass der Arbeiter mangels Existenz in dieser westlichen Welt als Masse immer weniger taugt, dass in ihr keine Bergarbeiterstreiks mehr eine Gesellschaft zu erschüttern vermögen, dass Gewerkschaften zerschlagen, befriedet oder nur noch Partikularinteressen verpflichtet sind. Dass auch die Aushänge-Musiker der neuen Kreativklasse den Protest gar nicht in Erwägung ziehen, weil sie nicht mehr zu wissen scheinen, dass Arm und Sexy eben nicht Hand in Hand gehen. Es braucht dann eben einen Bruce Springsteen. Einen, der in der Lage ist, ganz vielen zu erzählen, auf welcher Seite man doch stehen müsste. Im Kern ist das natürlich Agitpop. Das kann man durchaus aus Prinzip gut finden. Vielleicht sogar: Sexy and we know it.

Augsburg