Bruno Kramm wurde Anfang der neunziger Jahre vor allem als musikalischer Mastermind der Darkwave-Kultband Das Ich bekannt. Darüber hinaus war und ist er als Kolumnist für die Musikzeitschrift Zillo, als Produzent im Gothic/Electro/EBM-Bereich sowie als Betreiber seines eigenen Labels Danse Macabre tätig. Kramm ist Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und engagiert sich mit seinen Praxis-Erfahrungen sowohl dort als auch bei der Piratenpartei vor allem für Reformen im Bereich Urheberrecht, Verwertungsgesellschaften und für die Belange der Musikwirtschaft abseits der Majorindustrie. Ein Interview über die Mühen der Partei-Programmarbeit zwischen Krise und Vision, über Forderungen und Streitpunkte – und natürlich über die aktuelle Rolle und die Zukunftsfähigkeit der GEMA. Teil 1 von 2. 

motor.de: Du bist über zwanzig Jahre im Musikgeschäft, mal ehrlich: War früher nicht alles einfacher? Und wurde auch noch besser bezahlt?

Bruno Kramm: Ja natürlich war es früher viel, viel einfacher. Wenn du es genau wissen willst: Vor genau zwanzig Jahren haben wir – Das Ich – unsere erste eigene Scheibe rausgebracht, hatten überhaupt keine Ahnung vom Musikbusiness, waren eben frisch gegründet, haben als Newcomer direkt mal 25.000 Stück verkauft und davon noch sehr lange fürstlich gelebt. Es war eine Goldgräberzeit; aber man muss auch sagen, dass es damals für junge Menschen nicht wirklich viel mehr außer Musik gab bei der Suche nach ihrer Individualisierung. Heute gibt es viel mehr Angebote, die alle um das Geld und das begrenzte Zeitmanagement des Konsumenten buhlen.

motor.de: Du bist eigentlich bei den Grünen, engagierst dich jetzt aber auch bei der Piratenpartei. Das geht?

Kramm: Das schließt sich gar nicht aus. Ich unterstütze die Piraten genauso wie jede andere Partei, weil ich in meinem Bereich nunmal große Erfahrungen habe, die ich gerne weitergebe und das Urheberrecht ja ein gesellschaftlich sehr breites Thema geworden ist. Ich habe viele Freunde aus dem Piratenkreis, so hat sich das einfach ergeben. Das wird von denen auch sehr gern wahrgenommen.

motor.de: Wenn man sich nach den eben stattgefundenen Parteitagen die Forderungen der beiden Parteien zum Urheberrecht anschaut, gehen die Grünen derzeit deutlich forscher zu Gange.

Kramm: Ja, du hast Recht, die Positionen der Grünen gehen noch ein Stück weiter als die der Piraten. Soweit ich das überblicken kann, gab es bei den Piraten allerdings schon eine sehr viel härtere Linie, die dann allerdings relativiert wurde und gerade in Sachen Schutzfristen sehr viel moderater herangeht. Das heißt, die Piraten gehen immer noch von einem Auslaufen der Schutzfristen nach dem Tod aus, wir Grünen verlegen das schon in die Lebenszeit des Urhebers und das ist gut.

motor.de: Das ist für den Urheber immerhin ein ziemlich grundsätzlicher Unterschied.

Kramm: Auf alle Fälle! Es kommt aber drauf an, was das dann konkret bedeutet. Da kann ich gern ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung anführen: Ich hatte ein Album bei der Industrie rausgebracht, da gab es eine Verwertungsfrist von – ich weiß es jetzt gar nicht mehr genau – zehn oder fünfzehn Jahren. Das Album wurde dann relativ bald eingestellt, war also nicht mehr erhältlich und ich wollte es wiederveröffentlichen, weil es das Interesse von den Fans gab. Die Plattenfirma hat sich aber quergestellt und ich musste eine Menge Geld zahlen, um die Rechte zurückzubekommen und es selbst veröffentlichen zu können. Man darf natürlich jetzt nicht gleich Schutzfristen und Verwertungsfristen in einen Topf werfen. Aber wichtig ist, dass der Künstler viel mehr Möglichkeiten erhält, sein Werk direkt zu veröffentlichen und zu vermarkten, falls es nicht mehr erhältlich ist. Der wirkliche Fan wird sich natürlich die autorisierte Variante vom Urheber kaufen, wenn dann Werke komplett frei von Schutzfristen vervielfältigbar werden. Der Künstler kann sein Werk selbst auch viel besser updaten, da gelten dann ja auch wieder neue Schutzfristen. An diesem alten von mir selbst wiederveröffentlichten Album verdient übrigens die Plattenfirma und der Verlag noch bis zum bitteren Ende weiter. Das ist falsch aber symptomatisch. Über die langen Schutzfristen werden Repertoires bei den Verwertern für die Ewigkeit gesichert.

motor.de: Dein Optimismus setzt voraus, dass überhaupt jemand “kaufen” möchte.

Kramm: Ja, das ist ein Argument, das von der Industrie unglaublich oft angeführt wird, dass die Downloader alle nichts kaufen. Da kann ich aus meiner eigenen Erfahrung nur sagen: Die Leute, die eine Band mögen, die Fans sind, kaufen das Material auch. Das Runterladen ist nichts anderes, als früher in den Plattenladen zu gehen und mal anzuhören, was die Band X da gemacht hat. Bevor du sie gekauft hast. Natürlich gibt es auch Daten-Messies, die haben Tausende von Tracks auf ihrer Festplatte, nutzen diese aber letztendlich nicht mehr, als jemand, der ein Radio einschaltet, wo ein Titel irgendwann mal durchläuft. Ein Fan geht auf Konzerte seiner Band oder auf deren Mailorder-Seite und holt sich die CD. Es ist nicht wahr, dass die Leute heute alles nur noch stehlen.

motor.de: Man könnte natürlich jetzt einwenden, dass deine Erfahrung nicht ganz repräsentativ sind, “deine” Szene – eher Gothic/Darkwave – gibt ja bekanntermaßen noch ganz gern Geld aus.

Kramm: Das ist aber jetzt nicht nur in der Darkwave-Szene so, das geht ganz vielen anderen Szenen genau so, sei es Heavy Metal oder Schlager – immer dort, wo der Urheber einen sehr engen und kommunikativen Austausch mit seinem Publikum führt. Das ist heutzutage die Marketingarbeit, die die Plattenfirmen lernen müssen: mit den Fans zusammenzuarbeiten. Es gibt natürlich einen Bereich in der Musikbranche, wo lieblos auf Masse produziert wird, da entsteht die Situation, dass CDs nicht mehr gekauft werden, weil eh alles so unpersönlich ist.

motor.de: Du bist tief in der Praxis der Musikwirtschaft verankert. Damit scheinst du aber eine absolute Ausnahme im Reigen der Leute zu sein, die sich in die Parteiarbeit zu den dazu gehörigen Themen stürzen. Man kennt dort sonst niemanden von musikalischen Zusammenhängen her.

Kramm: Das macht es tatsächlich sehr problematisch, weil viele Leute keinerlei Ahnung davon haben, wie diese Branche funktioniert. Da werden dann schnell mal Dinge verabschiedet, die kontraproduktiv sind.

motor.de: Man kann schon bei Diskussionen oder in Blogkommentaren sehr schnell feststellen, dass viele Musiker bzw. Urheber einen regelrechten Hass auf die Piratenpartei entwickelt haben. Die sehen die im Wortsinn als “Musikpiraten” an, als Lobbypartei für Filesharer und “Umsonstkultur”.

Kramm: Mal ganz ehrlich, wenn du das Parteiprogramm dazu studierst, dann geht es eben nicht darum, dass Menschen sich alles umsonst aneignen können. Es geht um eine neue Art und Weise mit der digitalen Wende umzugehen. Die Forderungen laufen auf eine neue Reglementierung hinaus, eine, die an den aktuellen Markt angepasst ist. Man muss auch kritisch anmerken, dass Musiker häufig instrumentalisiert werden, das tut die GEMA auch extrem, da brauchst du nur einmal “Virtuos” aufzuschlagen, das Branchenblatt der GEMA. Viele Musiker kennen sich ja auch nicht besonders gut aus und käuen dann schnell jene Argumente wieder, die ihnen von den Verwertern vorgesetzt werden. Das ist traurig, diese Art der Instrumentalisierung.

motor.de: Es ist aber auch eine sehr schwierige Materie.

Kramm: Es ist ja sogar ein Kräfteviereck. Es gibt die großen Medienkonzerne à la Google, die Interesse daran haben, viele Werke zu nutzen, am Besten ohne Abgabe gratis, weil sie selbst an den Werbeeinnahmen verdienen. Dann gibt es die Verwertungsgesellschaften wie die GEMA sowie die Verwerter wie Plattenfirmen und Verlage, die auch ein ganz klares Interesse an langen Schutzfristen haben, um daran zu verdienen. Außerdem gibt es den Urheber, der von diesen beiden immer gern instrumentalisiert wird und in erster Linie von einem flexiblen Urheberrecht Vorteile hätte. Und es gibt den User, den Konsumenten. Leider werden gerade die beiden schwächsten Gruppen – Urheber und Konsumenten – momentan wie ein Spielball hin und her gerollt zwischen den Interessen der beiden anderen. Genau das muss man aufbrechen und sehen, wo Interessen instrumentalisiert werden.

motor.de: Es gibt eine konkrete Forderung der Piratenpartei, die Verwerter und Musikindustrie bis aufs Messer bekämpfen und die auch viele Musiker vehement ablehnen: Tauschbörsen sollen legalisiert werden. Das läuft auf ein Modell hinaus, das jedem selbst überlasst, ob er für Musik bezahlen will.

Kramm: Faktisch ist das doch jetzt schon so! Nur haben wir im Moment einen enthemmten Rechtsraum, in dem irgendwelche kleinen Fische von Anwaltskanzleien zu horrenden Strafen verdonnert werden, weil sie mal ein Album heruntergeladen haben. Diese ganze Abmahngeschichte ist einfach unglaublich pervers. Seien wir doch mal ehrlich: Die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe, die das Internet generell bietet, funktionieren nur, wenn das Netz frei ist, wenn du nicht befürchten musst, dass deine Daten auf Vorrat gespeichert werden und nicht überall ein digitaler Fingerabdruck prangt. Du kannst solche Dinge wie Tauschbörsen auch nie ausschließen. Sobald Du hier verbietest, wird es neue Formen des Austausches geben, da rennt die Gesetzgebung immer den neuen technischen Möglichkeiten hinterher. Du musst aber eine neue Kultur der Teilhabe etablieren, in der Menschen auch von sich selber aus bereit sind, für etwas zu bezahlen. Ohne Nötigung. Es wird auch viel zu wenig der Werbeaspekt dieses Mediums hervorgehoben. Es war nie leichter, einen Künstler schnell zu etablieren, wie heute. Und das mit viel geringeren Budgets, nur durch die kulturelle Leistung einer künstlerischen Einzigartigkeit. Diese Form des demokratischen Marktes unterscheidet auch so stark gegenüber dem alten Markt einer kulturellen Zensur durch wenige Plattenfirmen und ihre A&Rs.

motor.de: Ein alternatives Bezahlmodell für Musik wäre sicher vorerst auch hilfreich.

Kramm: Natürlich! Aber dagegen sträuben sich ja auch ganz viele Leute, gegen neue Flatrate- und Datencloud-Modelle. Das kommt ja auch den Bedürfnissen der User nach Sicherheit entgegen oder nach so etwas wie Moderation und Empfehlungen, damit du eben nicht jeden Schrott angeboten bekommst. Deswegen finde ich diese Idee der Flatrate-Bezahlsysteme auch hervorragend. Aber da muss sich auch noch sehr, sehr Vieles tun, damit das funktioniert. Ich forsche auch selber gerade nach, wie man so etwas zum Beispiel für den Bereich Darkwave, Gothic, EBM hinbekommen könnte. Aber da sind wir auch schon wieder beim Thema GEMA: Die hat ein so unfaires Abrechnungsmodell, bei dem der kleinteilige Urheber immer das Nachsehen hat.

Interview: Augsburg

Lest »hier den zweiten Teil des Interviews. 

motor.de hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Zukunft mit einem Dossier: GEMA das Thema speziell unter die Lupe zu nehmen, Player und ihre Interessen deutlich zu machen, Probleme zu analysieren, Meinungen zum komplexen Thema und zu den Perspektiven zu sammeln.

Weitere Texte zum Thema:

» Interview mit der GEMA:  Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

» Interview mit Sebastian Krumbiegel 

» Eine Einführung ins Thema 

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