Vom Liebhaberprojekt zum Bundesvision Songcontest: Flimmerfrühstück schaffen den Spagat zwischen intellektuellem Format und eingängiger Popmusik. Dass sie dabei charmante Bescheidenheit bewahren, bewiesen sie im motor.de-Interview.
(Foto: Erik Weiss)
Glück ist neben Talent ein nicht unerheblicher Faktor auf dem Weg zum Erfolg. Seit einigen Jahren geistern Flimmerfrühstück bereits durch die Leipziger Musikszene und haben es auf lokaler Ebene zu bescheidenem Ruhm gebracht. Seit gut einem Jahr steht mit Universal nun eine beachtliche Marktmacht im Rücken und das Major-Debüt “In Allen Meinen Liedern” im gut sortierten Plattenladen. Seither ist Wind in den Segeln. motor.de traf den Vierer bei der Support-Tour für Saschas Alter Ego Dick Brave und sprach mit ihnen über Geduld, Erfolgsdruck und die Liebe.
motor.de: Ihr habt ja inzwischen eine lange Bandhistorie und auch einen Ruf als eine Art Lokalmatador in Leipzig. Wie war der Weg bis zu diesem Punkt? Seid ihr eine Band die sich alles hart erarbeitet hat oder eher eine, die gern spielt und Glück hatte?
Karl: Also eher letzteres. Wir haben viel gespielt und hatten am Ende einfach großes Glück mit dem Plattenvertrag. Aber wir machen das natürlich auch schon ziemlich lange. Auf dem jetzigen Level bewegen wir uns erst seit anderthalb Jahren, davor waren wir wie jede andere Band, die keinen Vertrag hatte: Wir haben Konzerte gespielt, organisiert und sind viel herumgefahren.
Lothar: Vorher waren wir nichts und jetzt sind wir so “hm”. (lacht)
Mark: Also es ist auf jeden Fall immer viel Arbeit. Die Frage ist, wie lange man es durchzieht. Es gibt Bands, die existieren mittlerweile bereits zehn Jahre und haben es noch nicht geschafft. Wir hatten das Glück und haben nach vier Jahren in dieser Konstellation einen Deal bekommen.
motor.de: Was hat euch in dieser Zeit am Leben gehalten, dass ihr nicht irgendwann gesagt habt, scheiße es klappt nicht richtig, lassen wir es doch. Gab es so einen Punkt?
Karl: Gibt es den nicht immer?
Lothar: Man kann ja nicht einfach so aufhören Musik zu machen, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Das ist ja nicht irgendeine Tätigkeit, zu der man sich zwingt, sondern man macht es, weil man Lust darauf hat. Irgendwann hat man ein paar Lieder geschrieben und es fragt einen jemand “hey, ich veranstalte einen Liedermacher-Abend, komm doch vorbei”. Dazu sagst du natürlich ja und irgendwann denkst du dir, “ich will eine Band haben”. Dann hast du eine Band, bei der es mal mit dem einen oder anderen nicht passt, aber es ist nicht so, dass du alles stehen und liegen lässt und dann nur das Eine machst. Wir waren eben alle Langzeitstudenten. Also ich bin auf jeden Fall ultrakrasser Langzeitstudent. Ich wurde gestern mal gefragt – ich glaube, 70 Prozent der Aktivitäten während der Zeit in der ich eingeschrieben war, waren nicht-universitäre Veranstaltungen, die in irgendeiner Form mit der Band zusammenhingen. Aber dass ich darüber nachgedacht hätte, damit aufzuhören…nö. Also vielleicht hätte ich es gemacht, wenn jemand zu mir gesagt hätte (verzerrt seine Stimme) “ey ihr habt überhaupt keine Chance, das ist totale Scheiße” und der Typ hätte irgendeine Qualifikation gehabt, so etwas zu sagen. Aber die gibt es ja nicht.
Flimmerfrühstück – “Charlie Parker Platten hören”
motor: Das stimmt, worauf ich allerdings hinauswollte: Habt ihr so eine Art Grundantrieb, der Motor für die Band ist? Eine Art höheres Ziel? (lacht)
Mark: Also ich glaube der Motor war für mich, dass ich auf jeden Fall mit der Band berühmt werden wollte.
Lothar: Echt? Wolltest du?
Mark: Als ich angefangen habe, dachte ich bei mir: “mit der werden wir berühmt”. (lacht)
Lothar: Ich weiß gar nicht genau, ob es das Berühmtwerden war, aber ich glaube, was ich ganz cool gefunden hätte bzw. ganz cool finden würde, wäre, wenn wir irgendwann – so paradox es klingen mag – von der Musik, die unsere eigene ist, existieren könnten. Das wäre echt cool.
motor.de: Nun ja, das ist ja nicht paradox. Also paradox in einem Sinne, wie die Industrie oder Maschinerie da gerade funktioniert, aber das als Grundgedanken voranzustellen ist ja nicht falsch.
Karl: Das ist im Grunde genommen was wir wollen, was unser Traum ist. Den hat man, vergisst ihn auch manchmal und fragt sich, warum man das macht. Aber eigentlich denke ich, es ist wie mit einer Beziehung: die fängst du an, weil du ein Gefühl hast und dann fragst du dich ja auch nicht, wie genau das Stück für Stück die nächsten fünf Jahre weitergehen soll, sondern du machst es einfach, weil du Lust darauf hast.
motor.de: Universal war ja jetzt doch ein großer Sprung von “man kennt euch hier” zu “ihr seid auf einem Major Label gelandet“. Was hat sich seither getan? Einerseits im Bandgefüge und vielleicht auch für euch persönlich?
Karl: Wir haben mehr zu tun. Also mehr Stress, wir spielen total viele Konzerte, waren im Fernsehen. Es ist spannender geworden.
Lothar: Ich habe meiner Familie definitiv mitgeteilt, dass ich nicht Lehrer werde, habe mich innerlich auch damit abgefunden und kann wieder ruhig schlafen.
Mark: Man merkt einfach, wie es so langsam los geht. Mit dem Bundesvision Songcontest ist alles so ein bisschen ins Rollen gekommen, auf einmal haben zwei oder drei Millionen Leute auf dem Schirm, dass es die Band gibt. Auch außerhalb von Leipzig und Umgebung und den 20 Mann vor denen man in Köln gespielt hat. Jetzt sind es einige Millionen und das macht sich natürlich schon bemerkbar, allein vom Feedback her, was zum Beispiel Videos auf Youtube bekommen.
Lothar: Das ist auch irgendwie absurd, wenn ich mir das vorstelle. Nimmt man alle Leute zusammen, die bei den Konzerten unserer letzten selbst organisierten Tour waren, auch die, die nicht zugehört haben und vergleicht das mit dem ersten Konzert der Support-Tour für Dick Brave, da wird es schon schwierig. Und da waren wir zehn Tage unterwegs und es haben uns vielleicht 500 Leute gesehen, wenn es hoch kommt 1.000 und hier spielen wir eine halbe Stunde Support und es sind 2.500 Leute da.
motor.de: Manchmal passiert es ja, wenn man auf einem Major-Label landet, dass der Druck auf die Band wächst, auch auf das Gefüge zwischeneinander. Hat es euch geholfen, dass ihr bereits eine gemeinsame Geschichte habt? Beziehungsweise war dem überhaupt so?
Lothar: Also wenn der Druck steigt, dann was das Schreiben von Songs angeht.
Mark: Ich finde, es gibt schon einen Druck. Wobei ich eher sagen muss, dass es der Übergangszeitraum zu es klappt jetzt irgendwie ist. Man muss sich ständig über Verträge Gedanken machen. Hoffentlich verarscht uns keiner, hoffentlich geht das alles gut. Dann nimmst du das Album auf, was auch viel Stress ist, aber inzwischen ist es so, dass man sich auf das Wesentliche konzentrieren kann: ein ordentliches Konzert abzuliefern. Abgesehen davon, dass es noch immer viel Organisatorisches zu tun gibt, wird es nach und nach einfacher.
Lothar: Aber da lassen sie einen auch total in Ruhe. Wenn es darum geht, dass du Musik machen sollst, dann nehmen sie dir alles ab. Dann kriegst du Essen und Trinken hingestellt und Handtücher hinter der Bühne gereicht. NIE hat uns irgendjemand ein Handtuch gegeben.
Karl: Es ist eigentlich wie vorher auch, wir haben ja schon zwei Alben im Studio aufgenommen, eine Tour organisiert und Release-Parties veranstaltet — das war alles totaler Stress. Das haben wir jetzt auch, nur eben ein bisschen häufiger.
Lothar: Damals war es so, dass sobald etwas schief lief, es das Problem von uns vieren war. Wenn heute etwas schief läuft, hängen da ja noch mehr Leute mit dran. Aber eigentlich ist es wie immer.
Mark: Wenn du ein Konzert vor 50 Leuten spielst und irgend etwas verscheißt (lacht), dann hast du halt vor 50 Leuten, die sich kommende Woche wahrscheinlich ohnehin nicht mehr daran erinnern werden verschissen. Jetzt sind das anderthalb Millionen (lacht). Wobei, bei TV Total sitzt man eben im Studio und es ist auch wie ein Konzert vor 200 Leuten.
Lothar: Da kann man sich schon einbilden, es sei nicht so dramatisch. Das hat ja auch funktioniert (lacht). Das erste Konzert in München war dann schon kurz ein Schock, mit so vielen Leuten, die dich auch alle anschauen.
(Foto: Universal Music Group)
motor.de: Ihr seid ja, was euren musikalischen Background angeht, ziemlich verschieden, auch ziemlich verschieden sozialisiert wahrscheinlich. Wie funktioniert euer Songwriting, wie bekommt ihr das alles unter einen Hut?
Karl: Meist ist es so, dass Lothar die Stücke schreibt, manchmal schon fertig oder halb fertig, die zeigt er uns dann und wir denken darüber nach…
Mark: …und zerreden es dann (lacht).
Karl: Und dann wird es meistens in die Tonne gehauen (schmunzelt). Nein, Spaß. Wir spielen es und jeder bringt seinen Einfluss mit ein. Bisher harmonieren wir da wirklich gut. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass jemand mal gesagt hätte: “das will ich so nicht spielen”.
Lothar: Doch, ich schon. (lacht)
Karl: Weil wir uns auch Gegenseitig immer ein bisschen reinreden, aber nie so, dass wir einander etwas vorschreiben würden.
Mark: Knapp zusammengefasst, die Songs sind von Lothar und wir arrangieren sie gemeinsam. Dass wir da einen sehr unterschiedlichen Geschmack haben, kommt uns eher zugute, weil dadurch viele kleine Zutaten zusammenkommen.
motor.de: Nun steht euer Major-Debüt in den Läden, ich habe im Promo-Text auf eurer Seite gelesen, dass sich die neue Platte thematisch um Leben und Liebe dreht. Quasi ein philosophisches Grundpfeiler-Album. Würdet ihr es der Platte als eine Art Konzept zugrunde legen?
Lothar: Ich wollte damals nicht tausend Lieder über Liebe schreiben, da hatte ich überhaupt keinen Bock drauf. Und als ich angefangen habe zu schreiben, dachte ich, es ist ein Thema, das schon so häufig bedient wurde, da brauchst du nicht darauf herumreiten, schreib andere Lieder. Es gibt genug Themen, die wichtig sind. Aber es beschäftigt einen ja doch den ganzen Tag. Wir hatten viel mehr Songs als die, die am Ende auf dem Album zu finden sind. Komischerweise sind genau diese übrig geblieben, weil sie am besten waren und auch gut auf der Platte zusammengepasst haben. Bei dem neuen Album hatten wir viel Zeit und gute Leute, da war das Konzept einfach: Gefallen. Es war einfach Zufall, dass so viele Lieder über Liebe auf der Platte gelandet sind. Das ist kein Konzept-Album.
motor.de: Gut, das ruiniert mir zwar ein bisschen die nächste Frage, ich stelle sie einfach trotzdem. In wie weit sind die Songs Bewältigung?
Lothar: Das ist alles autobiografisch. Mein Bruder hat mal gesagt, als er ein Konzert von Flimmerfrühstück gehört hat und danach zur Bühne kam – er kennt mich gut und weiß, was los ist, um wen es da geht – und meinte, “du hast ja in den Songs quasi die Hose runtergelassen”. Das ist tatsächlich auch so. Wenn wir ein neues Stück haben, sagen die Leute immer, das ist der “Soundso”-Song. “Soundso” ist dann immer der Name der Person auf die er sich bezieht. Und dann wissen immer alle “Hansen hat wieder irgendwelche Probleme.” (lacht)
motor.de: Funktioniert es mit der Bewältigung?
Lothar: Es erinnert einen an Dinge, die einem aufgefallen sind, einen angepisst haben. Zum Beispiel geht es bei “Augenwischerei” um eine Freundin, die immer alles schwarzmalt und nur negativ sieht. Das fällt mir gerade wieder massiv auf und ich ärgere mich total darüber, weil ich denke, das hast du vor fünf Jahren schon genauso gemacht. Also ja, es funktioniert. Und dann wird einem immer klar, dass man vieles einfach irgendwie schon vorher wusste…
Mark: Du hast doch mal gesagt, dass man, nur weil man es besser weiß, es nicht automatisch besser macht.
Lothar: Es ist ein bisschen wie Tagebuch führen und natürlich auch Druckventil.
Flimmerfrühstück – “Tu’s nicht ohne Liebe”
motor.de: Gibt es zu wenig Liebe in der Popmusik?
Karl: Nein, finde ich gar nicht. Da geht es doch fast ausschließlich darum.
Lothar: Immer Varianten des gleichen Themas.
Mark: Also rein thematisch auf jeden Fall nicht.
Karl: Du spielst vielleicht so ein bisschen auf die Marktmechanismen hinter der Plattenindustrie an. Also die Menschen die dort arbeiten machen das, weil sie dafür eine echte Leidenschaft hegen. Wir haben das bei den Aufnahmen zur Platte gemerkt. Unser Produzent kam vormittags um elf ins Studio und dann haben wir immer bis morgens um drei oder vier Uhr aufgenommen. Wir sind dann nach Hause gefahren und er hat am nächsten Morgen von neun bis elf gearbeitet und dann wieder bis um drei mit uns aufgenommen. Und das macht er zwei Wochen lang, nicht weil dabei die Kasse rasselt, sondern weil er Spaß daran hat. Eigentlich sind da alle so. Also es gibt sicherlich auch das Gegenbeispiel, aber wir haben in der Hinsicht wirklich Glück gehabt.
Mark: Letztendlich ist es ja immer so: für die Plattenfirma Universal geht es natürlich ums Geld, das ist eben ein Unternehmen, völlig logisch. Aber den Leuten und auch den Musikern ist natürlich an der Musik gelegen, sonst würden sie nicht dort arbeiten.
Lothar: Es gibt einfachere Wege, Geld zu verdienen. Ich bin auch der Meinung, viele Leute schreiben Songs nicht, weil sie der Markt gerade braucht, sondern weil sie selbst sie brauchen. So geht mir das. Wenn mir nicht nach einem Lied ist und ich schreibe trotzdem eins, weil ich denke, ich muss eins schreiben, dann ist das kacke. Wenn es mir aber richtig beschissen geht, kann ich in 20 Minuten ein Lied schreiben, was überzeugt, ohne der großartige Songwriter zu sein.
motor: Letzte Frage, wieder mit ein bisschen Lokalfixierung. Ihr habt das Artwork auch von einem Leipziger Künstler entwerfen lassen [Anm. d. Red.; Philipp Orlowski], wie wichtig ist euch die Heimat, jetzt wo ihr auch die überregionale Seite des Business’ kennengelernt habt? Denkt ihr inzwischen größer?
Lothar: Nein. Also ich habe zum Beispiel gesagt, was diese Sache mit dem Artwork anging – ich glaube den Standpunkt hatten wir alle – , er hatte damals schon ein Cover gemacht, was wir alle super fanden und ich meinte, dass wir, so es die Möglichkeit gibt, gerne etwas zurückgeben wollen. Und er hat es ja auch super gemacht, das hat überzeugt. Also Freundeskreise sind mir nach wie vor super wichtig. Das ändert sich ja deswegen nicht. Und wenn du die Chance hast, jemandem zu helfen, dann machst du das.
Mark: Ich bin insofern eigentlich ganz froh, dass wir beim Bundesvision Songcontest nicht so krass eingeschlagen haben, sondern dass wir reinwachsen können, was wahrscheinlich im Endeffekt auch nachhaltiger ist. Und da wir jetzt auch nicht tagtäglich Konzerte spielen, ist es schon so, dass wir noch viel Zeit in der jeweiligen Stadt, in der wir wohnen, verbringen. Man hat noch sein ganz normales Leben.
Karl: Mir ist es auch unglaublich wichtig, dass ich das noch habe. Es ist schön, mal hinaus zu kommen, mal beim Bundesvision mitgemacht zu haben, eine Tour zu spielen, aber wenn ich das jetzt irgendwie zehn Monate im Jahr machen würde, ohne zwischendurch nach Hause zu kommen, dann fände ich das irgendwie Scheiße.
Interview: Robert Henschel
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