Es ist die unendliche Geschichte: Über GEMA-Gebühren wird prinzipiell gejammert. Über ihre Berechnung sogar noch mehr. Zumutung „GEMA-Vermutung“?
Sollte jedem Veranstalter bis zum Überdruss geläufig sein: die “Musikfolgeliste”.
Jetzt jammern also auch die Weihnachtsmärkte. Man könne doch gar keine Atmosphäre mehr herstellen, das wäre einfach unbezahlbar. So tönt es derzeit gerade durch die Lokalblätter der Republik. Pünktlich vor der Adventszeit hat die GEMA sich wieder einmal in Erinnerung gebracht, sie hat die Berechnungsgrundlage für die Märkte geändert. Nicht mehr die Besucherzahlen sind ausschlaggebend, sondern die belegten Quadratmeter. „Stumme Weihnachtsmärkte“ prognostiziert prompt der Präsident des Deutschen Schaustellerbundes. Warum das ein Problem sein könnte, plaudert zum Beispiel der Schatzmeister des Stadtmarketings Stadthagen – eine Kleinstadt bei Hannover – gegenüber den „Schaumburger Nachrichten“ unverblümt aus: „Exakt zu schätzen, geschweige denn zu überprüfen, sind die Besucherzahlen nicht.“ Ganz genau nachmessen lässt sich hingegen eine Fläche. Willkommen im Club.
Die GEMA ist immer mit an Bord, wenn irgendjemand eine Musikveranstaltung durchführt. Ob Konzert oder Discothek, jeder Veranstalter ist verpflichtet, seine Veranstaltung bei der GEMA anzumelden. Im Vorfeld und mit korrekten Angaben. Denn die GEMA wacht darüber, dass keine Musik aufgeführt wird, ohne dass die Urheber – Komponisten und Texter – dafür einen Obolus erhalten. Zuständig dafür sind die zehn Bezirksdirektionen. Die wiederum haben einen sehr genauen Blick auf die Veranstaltungskalender ihrer Region und gleichen entsprechende Informationen mit den vorliegenden Anmeldungen ab. Wer sich nicht angemeldet hat, bekommt schnell eine Zahlungsaufforderung – nach Schätzungen der GEMA, die, so die allgemeine Erfahrung, nicht eben dezent im Sinne der Veranstalter ausfallen. Sowieso auf dem Schirm sind natürlich Clubs, regelmäßige Festivals oder besonders auffällig beworbene Events. Wer diesen ersten Warnschuss ignoriert, kann mit saftigen Aufschlägen für den weiteren Bearbeitungsaufwand rechnen.
Arg umstritten war allerdings auch bei den ganz regulären Meldungen immer die geringe Flexibilität der Tarife. Hauptkritikpunkt: Es wurde keine Rücksicht auf die realen Einnahmen genommen, also auf die tatsächlich zahlenden Besucher, die im Normalfall die Grundlage für die Kostenkalkulation jedes Veranstalters sind. Neben allen Auseinandersetzungen über die Berechnung der Raumfläche – vereinfacht gesagt: mit oder ohne Backstage, Bars und Klos – war vor allem diese Regelung über Jahre hinweg immer wieder Anlass für erheblichen Verdruss bei Veranstaltern. Allerdings hat die GEMA 2011 neue Tarife eingeführt, die diesen Bedenken tatsächlich entgegenkommen und vor allem die Probleme kleinerer Veranstalter deutlich besser berücksichtigen. Knackpunkt sind jetzt – neben einer vergleichsweise geringen Grundgebühr – die tatsächlichen Einnahmen durch Eintrittsgelder und Sponsoring. Das ist eine spürbare Erleichterung, die in der Veranstalterszene mit hörbarem Aufatmen begrüßt wurde.
Gezahlt werden muss auf jeden Fall. Denn die GEMA gilt automatisch als berechtigter Vertreter der Urheber. Hier greift die gesetzlich abgesicherte sogenannte „GEMA-Vermutung“. Die geht prinzipiell davon aus, dass gespielte Musik von der GEMA vertreten wird. Bis vor vielleicht zehn Jahren war das kaum ein Diskussionspunkt. Alternative Lizensierungsmodelle für Musik waren damals kein Thema. Das allerdings hat sich inzwischen geändert und sorgt für neuen Unbill. Wer nämlich GEMA-Abgaben umgehen will, kann – wenn er denn auf „Hits“ verzichten mag – inzwischen in etlichen Internet-Portalen GEMA-freie Musik herunterladen und beliebig abspielen. Oder von auftretenden Bands verlangen, dass sie nicht bei der GEMA gemeldet sind. Es sind dann – logischerweise – auch keine Gebühren fällig. Theoretisch.
Praktisch ist das etwas komplizierter, denn die GEMA-Vermutung wird dadurch nicht ausgehebelt. Wer sich davon befreien will, muss nachweisen, dass die Urheber nicht von der GEMA vertreten werden – also weder bei ihr noch bei einer der internationalen Partner-Gesellschaften gemeldet sind. „Wir vertreten aufgrund unserer Gegenseitigkeitsverträge mit anderen Verwertungsgesellschaften hierzulande weit über 90 Prozent des gesamten musikalischen Weltrepertoires. Deshalb ist es äußerst unwahrscheinlich, dass bei einer Musiknutzung kein Material von mindestens einem von uns (direkt oder indirekt) vertretenen Urheber gespielt wurde.“ Das ist die offizielle Position der GEMA, die zugibt, dass damit eine Art Beweislastumkehr einhergeht. Soll heißen: Der Veranstalter muss nachweisen, dass die GEMA nicht vertretungsberechtigt ist. Dazu reicht es mitunter nicht, eine sonst übliche Interpreten- und Titelliste einzureichen. Schon dies ist in der Praxis bei einer DJ-Veranstaltung eine komplexe Aufgabe. Und: die Angaben reichen der GEMA nicht immer, sie verlangt dann detaillierte Angaben zu bürgerlichen Namen der Urheber, zu Herkunfts-Webseiten oder ähnlichem. Ein Aufwand, der jeden DJ oder Veranstalter gerade angesichts der meist dürftigen Quellenlage der „freien Musik“ in die Verzweiflung treibt und der sich letztendlich auch in Hinsicht auf Kosten und Nutzen nicht rechnet.
Garantiert GEMA-frei, Kopieren erlaubt: “Alle meine Entchen”.
Der entscheidende Knackpunkt dabei sind allerdings die angesprochenen „90 Prozent des Weltrepertoires“. Stellte sich heraus, dass dieser Anteil signifikant niedriger ist, würde die ganze GEMA-Vermutung wanken. Das ist das Anliegen einer Aktion der Piratenpartei. Die „Operation GEMA-Vermutung“ versucht seit Oktober 2011 mehr als 64.000 GEMA-freie Musik-Urheber zu ermitteln, – also mindestens ebenso viele, wie bei der GEMA gemeldet sind.
An einer zweiten Front sind die Piraten sogar noch greifbarer aktiv. „Kinder wollen singen“ ist ihre Antwort auf die bundesweit im letzte Jahr von der GEMA erhobenen Ansprüche: Kindergärten müssten für 500 Notenkopien von Kinderliedern einen Nettobetrag von 56 Euro im Jahr bezahlen. Es ist, wohlgemerkt, eine gesetzlich absolut berechtigte Forderung, zumindest prinzipiell, wenn auch vielleicht streitbar in ihrer Höhe. Allerdings nur, falls in Kindergärten tatsächlich GEMA-Musik feilgeboten würde. „Alle meine Entchen“ gehört jedoch ebensowenig zu diesem Repertoire wie „Alle Vögel sind schon da“, „Das Wandern ist des Müllers Lust“, „Laterne, Laterne“ oder „Kommt ein Vogel geflogen“. Es sind Volkslied-Klassiker, die schon seit langer Zeit nicht mehr unter das Urheberrecht fallen, da ihre Schöpfer schon deutlich mehr als 70 Jahre tot sind. Ein halbes Hundert solcher Lieder hat der Musikpiraten e. V., ein lose an die Piratenpartei angeschlossener Verein, in ein Büchlein gedruckt, das bundesweit an Kindergärten verteilt wurde. Frei zum Nachsingen und Kopieren. So gehts natürlich auch. Im Club um die Ecke wird das indes nicht wirklich weiterhelfen. Der nächste GEMA-Bescheid kommt bestimmt.
Augsburg
motor.de hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Zukunft mit einem Dossier: GEMA das Thema speziell unter die Lupe zu nehmen, Player und ihre Interessen deutlich zu machen, Probleme zu analysieren, Meinungen zum komplexen Thema und zu den Perspektiven zu sammeln.
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