“Wir versuchen Musik ohne Angst zu machen, auch wenn ich nicht wirklich weiß, was das bedeutet.” Auf “936” loten Peaking Lights die Grenzen zwischen meditativer Repetition und unterschwelliger Melodieverliebtheit aus und kreieren dabei ein anheimelndes doch gleichermaßen experimentelles Dub-Album mit Pop-Referenzen.

(Foto: Ben Poster)

“Jedes noch so kleine Objekt besitzt einen eigenen Klang” sagt Aaron Coyes. Ein Video der “Sound Builders”-Serie zeigt ihn an seinem Arbeitsplatz, einem von Myriaden an elektronischen Einzelteilen bedeckten Tisch in einer kleinen Ecke des Kellers. Sein Haaransatz lichtet sich sukzessive und der etwas kauzige Blick lässt auf eine charmante Portion Absurdität im Inneren seines Kopfes schließen.

Liebevoll betrachtet er den verworrenen Berg an Einzelteilen und greift nach der herausgeschraubten Platine eines Effektpedals. “Als es kaputt war” beschreibt er, “habe ich es einfach auseinander gebaut und an den Schaltkreisen getüftelt, bis irgendein Sound entstand. Den habe ich dann auf Band aufgenommen und daraus kleine Loops gebastelt. So fing es an.” Seither scheinen seinem jugendlich-spielerischen Erfindergeist keine Grenzen gesetzt zu sein – er schreckt vor keinem noch so undurchsichtigen Elektrogerät zurück, sondern greift einfach hinein und verlötet auf Geratewohl Schaltkreise von alten Transistorradios, Klangreglern und Keyboards. “Manchmal bin ich achtlos und nehme Drähte in den Mund, die noch nicht tot sind. Es ist ziemlich unangenehm, wenn einem 110 Volt durch den Schädel fließen.” Er lacht herzlich.

Sound Builders – Peaking Lights (Teil 1)

Im oberen Stockwerk des Hauses sitzt Indra Dunis, seine Frau. Ihre gemeinsame Geschichte ist ähnlich wild wie Aaron’s Klangexperimente. Vor annähernd zehn Jahren spielte sie Schlagzeug in Numbers, einer Post-Punk-Band aus San Franciscos Bay Area, einer Gegend, die bereits viele psychedelisch angehauchte Rockbands gebar, darunter The Grateful Dead oder den Black Rebel Motorcycle Club. Über entfernte Freunde laufen sich beide gelegentlich über den Weg, bis Aaron schließlich für ein Numbers-Album Orgel-Parts beisteuert. Zu der Zeit spielt er zusammen mit seinem Freund Nate Archer in Rahdunes, einer ziemlich skurrilen Elektro-Kombo mit World Music-Einflüssen. Eines Abends stößt Indra am Schlagzeug hinzu, sie hat Angst zu improvisieren. Doch es funktioniert – einige Aufnahmen und Tourneen später ziehen beide nach Wisconsin, in jenes kleine Haus, in dem Indra gerade über die knarzigen Klänge lacht, die aus dem Keller dringen. “Aaron arbeitet an einer neuen Monströsität” sagt sie und lächelt. Der Umzug markiert gleichermaßen den Ursprung der Peaking Lights, dem gemeinsamen Projekt der beiden, was einmal mehr eine gänzlich neue Stilrichtung einschlägt. Die Kombination aus Indras Fokussiertheit sowie Aarons experimentellem Spieltrieb fusioniert dabei zu einem elektronisch grundierten Ganzen, was allerdings nie den Blick zur Melodiösität verliert. Dass die Initialen der beiden in Verknüpfung A.C.I.D. ergeben, mag schierer Zufall sein, passt jedoch einwandfrei ins Bild.

Peaking Lights – “Hey Sparrow”

Aaron entlockt seinen technischen Kreationen auf “936” äußerst organische Klänge, die sich um eine hallgetränkte Schicht nach der anderen stapeln und schlussendlich am ehesten als Dub bezeichnet werden könnten. Darüber schwebt Indras kühle, mitunter an Nico erinnernde Stimme. Titeln wie “Hey Sparrow” oder “Amazing And Wonderful” wohnt wenig Textur inne, im Gegenteil, sie sind lediglich schemenhaft ausstrukturiert und verlieren sich in beinahe meditativer Repetition. Das Besondere ist dabei jedoch die Klangkulisse, die sich so einnehmend facettenreich offenbart, dass struktureller Abwechslungsreichtum beinahe kontraproduktiv wäre. Hypnotisch verzerrte Bass-Linien in “All The Sun That Shines” oder “Tiger Eyes (Laid Back)” rufen Reminiszenzen an Grime wach und lassen einen wie in Trance mit dem Kopf nicken.

Peaking Lights – “All The Sun That Shines”

Es ist Abend geworden, im Keller des Hauses versprühen Lichterketten und nackte Glühbirnen einen etwas weihnachtlichen Charme über den Köpfen der beiden. Aaron steht mit Sonnenbrille und Gitarre vor seinen Gerätschaften, die im Einklang fiepen, rasseln und dröhnen. Indra wiegt sich mit zusammengekniffenen Augen und Mikrofon in der Hand im Takt und singt. Aaron dreht an einem kleinen Potentiometer und plötzlich erwacht der Song zum Leben. “Es ist als ob es regnet und man plötzlich ein Muster heraushört.”

Robert Henschel

Peaking Lights – “936”

VÖ: 18.11.

Label: Domino Records

Tracklist:

01. Synthy
02. All The Sun That Shines
03. Amazing And Wonderful
04. Birds Of Paradise (Dub Version)
05. Key Sparrow
06. Tiger Eyes (Laid Back)
07. Marshmallow Yellow
08. Summertime