Besonnenheit, Reflektion und die Musik als Perpetuum Mobile: Fleet Foxes sprechen im motor.de-Interview über den Einfluss von Kunst und die Entwicklung des Kulturguts Musik im 21. Jahrhundert.

(Foto: Sean Pecknold)

Als sie vor fünf Jahren mit ihrer Debüt-EP “Fleet Foxes” in das Licht einer breiteren Öffentlichkeit rückten, ging ein begeistertes Raunen durch die Blogosphäre. Kammer-Pop mit 60s-Folk Einflüssen, ein äußerst eingängiger Hybrid, der sie schnell ins Vorprogramm namhafter Bands wie Wilco oder Elbow katapultierte und zum Publikumsliebling avancieren ließ. Als sie 2008 ihr Langspieldebüt präsentierten, schienen sie bereits auf Augenhöhe mit ihren einstigen Fürsprechern zu stehen. Seither sind drei Jahre vergangen und das neue Album “Helplessness Blues” steht seit geraumer Zeit in den hiesigen Plattenregalen. Inzwischen gehören Supportslots der Vergangenheit an und große Festivals stehen auf dem Plan. motor.de traf Keyboarder Casey Westcott nach dem Auftritt auf dem diesjährigen Haldern Pop-Festival und sprach mit ihm über künstlerische Inspiration, das Mysterium Cover-Artwork und den ewigen Kampf zwischen analog und digital.

motor.de: Wenn du heute als Besucher hier wärst, wen würdest du gerne sehen?

Casey: Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Wir kamen ziemlich spät und daher habe ich eigentlich keinen Schimmer, wer überhaupt spielt. Ich bin auch ziemlich gesättigt, vor zwei Tagen habe ich mir Apex Twin angeschaut und gestern Prince. Auf eine Möglichkeit, diese beiden Künstler zu live sehen, habe ich schon seit bestimmt zehn Jahren gewartet. Daher hatte ich gerade ziemlich viele Eindrücke auf einmal. Ich werde mich also einfach überraschen lassen.

motor.de: Zwischen den beiden bisher erschienenen Alben lagen ganze drei Jahre. Warum die lange Wartezeit?

Casey: Wir waren mit der ersten Platte sowie der EP eine ganze Weile auf Tour. Und jeder Tag, an dem du eine Show spielst, ist ein Tag, an dem du nicht an neuem Material arbeiten kannst. Und außerdem ist es einfach der Tatsache geschuldet, dass wir lange an unseren Platten arbeiten. Das ist nicht immer so, für die EP brauchten wir beispielsweise nur 10 Tage, für die erste Platte wiederum neun Monate. So lang dauerten in etwa auch die Arbeiten am neuen Album. Es braucht einfach seine Zeit. Das wäre als ob man fragen würde, “warum braucht ein Baby so lang, um geboren zu werden?” (lacht)

motor.de: Ihr seid inzwischen zu sechst, wie äußert sich das in eurem kreativen Schaffensprozess?

Casey: Eigentlich hat sich nicht sonderlich viel verändert. Ich kenne Morgan [Anm. d. Red.; Morgan Henderson] schon seit mehr als zehn Jahren und er bringt ein ganz eigenes Musikverständnis und Fertigkeiten mit. Er hat wirklich viel zum letzten Album beigesteuert, was mich unglaublich freut. Er arbeitet sehr fokussiert und lösungsorientiert, wenn es Probleme gibt, die zweifelsohne entstehen, wenn man gemeinsam Musik macht.

motor.de: Ihr habt auf der neuen Platte auch euer Instrumentarium erweitert, richtig?

Casey: Prinzipiell spielen wir immer mit allerhand Gerätschaften herum. Am Ende sind sie Werkzeuge, mit denen sich verschiedene Klangfarben und Texturen in unsere Musik einbauen lassen. Bestimmte Melodien funktionieren mit einem Instrument besser als mit anderen, ob das nun Saiteninstrumente sind, in der Tonhöhe modulierte Perkussions oder Slide-Gitarren, es verleiht dem Material einen ganz eigenen Charakter oder bestimmtes Timbre. Bei einigen Songs des neuen Albums ist der Klang untrennbar mit der Melodie verbunden.

Fleet Foxes – “Sim Sala Bim” (live bei Jimmy Fallon)

motor.de: Wie wichtig war euch die Gestaltung des Covers?

Casey: Dafür ist Toby Liebowitz verantwortlich, sie ist eine gute Freundin von uns. Und das Irre daran ist, dass sie das tatsächlich alles mit Pinsel und Farbe gezeichnet hat. Das Artwork einer Platte hat immer etwas Mysteriöses an sich, weil es auf seine ganz spezielle Weise die Musik mit einbindet. Manchmal ist das ganz geradlinig. Bei dieser, wie auch bei der ersten Platte, war es zum Beispiel eine ganz intuitive Reaktion, bei der ich dachte, das ist es.

motor: Inspiriert dich Kunst, wenn du Musik machst?

Casey: Auf jeden Fall, aber gleichzeitig inspiriert das Leben die Musik. Für viele ist es wie eine Art Hierarchie, die Musik, die sie hören, wurde von etwas beeinflusst und ist ihrerseits Inspirationsquelle für andere Musik. Es ist eine gewagte Behauptung, aber ich denke, Musik kommt ausschließlich von Musik. Alles andere wie Film oder Kunst oder was auch immer, sind dabei lediglich Randeffekte.

motor.de: Warum habt ihr die neue Platte “Helplessness Blues” genannt?

Casey: Die Idee zum Albumtitel kam uns, nachdem wir bereits mit allen Songs fertig waren und die Titelliste feststand. Der Name schien viele Thematiken zusammenzufassen, die wir auf dem Album behandelten. Oft ist das ein unglaublich schwieriger Prozess, wenn man im Hinterkopf noch all diese komplexen Strukturen und Abläufe der Songs und des Albums insgesamt hat. Das auf einen prägnanten Titel zu reduzieren, ist wirklich hart. “Helplessness Blues” schien uns am Ende für diesen Prozess der passende Titel zu sein.

motor.de: 2009 habt ihr einen Award für das beste Cover-Artwork auf Vinyl gewonnen, dieses Jahr kann man euer Album streamen. Was bevorzugt ihr, Vinyl oder digital?

Casey: Klare Sache, Vinyl. Aber natürlich ist das ein spannendes Thema. Zu Hause höre ich viel Platten, aber wenn wir auf Tour sind, ist das natürlich unmöglich. Aus dieser Sicht sind MP3s klar im Vorteil, sie sind portabel und klanglich durchaus akzeptabel, manchmal merkt man den Unterschied auch gar nicht mehr. Im Gegensatz dazu hat Vinyl zum Beispiel bei sehr dynamischer Musik noch immer einen klanglichen Vorteil. Format und Medium drängen dem Hörer mitunter etwas auf, von dem dieser unter Umständen gar keine Notiz nimmt. Ich habe bemerkt, dass der schnelle, beinahe ortsunabhängige und problemlose Zugang zu Musik dazu führt, dass die Menschen Musik eher nutzen als sie tatsächlich zu hören. Sie wird immer mehr zur Hintergrunduntermalung für andere Tätigkeiten.

Fleet Foxes – “Grown Ocean”

Für mich ist Musik immernoch Kulturgut, das dazu da ist, gehört zu werden. Ich denke, dass digitale Formate in ihrem Grundprinzip auch eher dem Nutzen als der Ästhetik folgen. Vinyl erfordert Geduld und ist eine Art lineare Informationsaufnahme. Das entspricht allerdings nicht mehr unserem heutigen Informationsverhalten. Wir springen von Webseite zu Webseite und vereinen darin verschiedene Medien-Typen. Die Informationshappen die wir verarbeiten werden dabei immer kleiner und kleiner. Vinyl konserviert die Erfahrung, die ich hatte, als ich mit Musik groß geworden bin.

motor.de: Was sind die Glanzpunkte und Enttäuschungen deines Jahres?

Casey: Die letzten zwei Tage. Ich habe gestern Prince gesehen, das war wirklich eine einmalige Erfahrung – ein Meister bei der Arbeit. Und mit Aphex Twin kurz davor noch einen zweiten in Oslo. Das live zu hören, war wirklich spannend, weil es sich auf der Bühne doch mitunter deutlich von dem aufgenommenen Material unterscheidet. Und wir haben an vielen Orten gespielt, die ich noch nicht gesehen hatte, Polen, Spanien und Portugal zum Beispiel.

Interview: Lydia Meyer