Antworten auf den “Hype”, Erklärungen der Symbolik und eine Stellungnahme zum Wu-Tang Clan – Wu Lyf begaben sich im motor.de-Interview auf die Suche nach des Rätsels Lösung.

Im Sommer 2009 begann es im Untergrund der britischen Musikmetropole Manchester einmal mehr zu brodeln. Wu Lyf nannte sich der Unruheherd, viel mehr gab die junge Band nicht von sich preis. Identitäten wurden zum Fragezeichen, Konzerte fanden unter falschem Namen statt, Interviews gar nicht. Ein Jahr später erschien “Go Tell Fire To The Mountain“, ihr Debüt in Eigenregie, ermöglicht durch die LYF, eine Art selbstgegründetes, idealistisches Club-Label, dessen Mitgliederbeiträge die Aufnahmen finanzierten. Unabhängigkeit wird großgeschrieben, Selbsttreue auch. Das Konzept enthüllt sich in schierer Hallgewalt: Orgelgetränkte Gitarrenwände vermischen sich mit fauchenden Klagerufen und Sehnsuchtsbekundungen nach einer besseren Welt. Im darauf folgenden Herbst bringt die globale Tournee das Quartett auch auf deutsche Bühnen und zeigt vier Freunde, die nie Rockstars sein wollten und sich dann aber doch ganz ausführlich in Show und Performance ausprobieren. Statt Mystik-heischender Anonymität scheint man nun auf möglichst vollständige Entblößung zu setzen und spielt darum gleich oben ohne. motor.de traf nach dem Auftritt in Frankfurt einen zwar müden aber erzählfreudigen Ellery Roberts, den Sänger der Gruppe.

motor.de: Im letzten Jahr rätselte die Musikpresse noch über eure Identität, heute sitzt man sich im Angesicht gegenüber – warum habt ihr euch letztendlich geoutet?

Ellery Roberts: Nun. Wir dachten nie, dass alles so kommen würde, wie es gekommen ist, wir wollten bloß ein bisschen Musik machen. Und auf einmal war überall Rumore, aber wir wollten nicht unnötig etwas hypen. Wir hatten noch kein Album, wir hatten nichts Konkretes, über das wir hätten reden können, also haben wir gewartet bis wir die Platte tatsächlich fertig hatten. Und dann haben wir selbstverständlich angefangen mit Leuten darüber zu reden.

motor.de: Würdest du sagen, dass eine Band im Sinne eines Konzepts öffentlicher Figuren den Fokus von der Musik selbst weglenkt?

Ellery: Teilweise. Ich denke es hängt von den Leuten ab. Manchmal kann sicher hinter einer großen Persönlichkeit ziemlich wenig Substanz stecken. Bei uns war es glaube ich eher anders herum, weil es kein menschliches Gesicht zur Band gab, keine Persönlichkeit im Sinne einer echten Person und diese Art von Leere hat dazu geführt, dass Leute sich Dinge ausgedacht haben. Es war nicht sonderlich überlegt.

motor.de: Ihr habt kürzlich einen Track über eure Website veröffentlicht, der ursprünglich als Schlusstitel auf dem Album angedacht war.

Ellery: Ja, den kleinen Song, “Go Tell Fire”.

motor.de: Ihr habt das Konzept hinter eurem Album immer als die musikalische Umsetzung der Handlung eines Films dargestellt, den ihr euch ausgedacht habt, der aber nie gedreht wurde. Wie verändert oder komplettiert dieser letzte Song nun die Geschichte auf dem Album?

Ellery: Wenn ein Film endet werden immer Credits abgespielt und vielleicht kleine Schnipsel gezeigt. Der Song ist sozusagen ein Pendant dazu. Es ist sozusagen so, dass grundsätzlich alles vorbei ist. Das Album hört mit dem letzten Schlag von “Heavy Pop” auf. Es war mit “Go Tell Fire”, als würde man einen richtigen Schluss ans Ende setzen. Der Song sollte etwas beenden, sodass man es abschließen und weitergehen kann, sich weiterentwickeln, wachsen und verändern, ohne dass irgendetwas übrig bleibt, mit dem man sich immer weiter herumschlägt. Ach, ich weiß auch nicht. Eigentlich sollte das Album da weitergehen, aber wir haben es nie fertiggeschrieben, es hat sich nie richtig angefühlt. Und dann hatte ich so eine Art Krise damit. Und irgendwann, als wäre es aus dem Nachdenken resultiert, habe ich den Song fertig gemacht, mich Zuhause an den Computer gesetzt und ihn ins Internet gestellt.

Wu Lyf – “Dirt”


motor.de: Habt ihr je darüber nachgedacht, die Bilder in euren Köpfen zum hypothetischen Film für Musikvideos zu verwenden?

Ellery: (lacht) Ja, das war immer der Plan, den Film sozusagen in Kapiteln umzusetzen.

motor.de: Das Artwork auf eurem Album-Cover und der Internetseite ist durchaus charakteristisch. Betrachtet ihr eure Musik als ganzheitliche Kreation? Der Eindruck entsteht gelegentlich, weil der Musik immer sehr präsente visuelle Umsetzungen nahestehen und auch vielerlei soziale Aspekte, wie zum Beispiel euer als eine Art Club funktionierendes Label LYF.

Ellery: Ich denke, wir haben schon immer diese Art von Kunst nebenher betrieben. Ich mache die Kollagen und von Joe kommt die Malerei. Es ging also immer Hand in Hand. Wenn wir grade keine Musik gemacht haben, waren wir vermutlich grade mit irgendwelchem Artwork beschäftigt. Ich denke mit der Website und alledem wollten wir eigentlich nur eine Szene illustrieren, wie eine Illustration das auch in einem Buch tut.

motor.de: Wo siehst du euch in der Zukunft? Gibt es irgendwelche Tendenzen oder ist da etwas, das ihre gerne ausprobieren möchtet in eurer Musik?

Ellery: Ich hätte gerne mehr Songs, die wir spielen könnten (lacht), damit wir länger spielen können. Das wäre wohl ein guter Anfang. Ich glaube mit diesem Album haben wir uns wirklich erst aufgemacht, uns zu etablieren, als etwas, für das Leute zumindest ein kleines bisschen Respekt haben. Wir haben alles auf unsere Weise gemacht, getan was wir tun wollten und ich denke darauf können wir aufbauen.

motor.de: Euer Manager, Warren Bramley, hat für das kultträchtige Label Factory Records in Manchester gearbeitet, das in den 80ern mit Bands wie Joy Division und den Happy Mondays New Wave legendär machte. Ihr kommt auch aus der Stadt – fühlt ihr euch der Szene verbunden?

Ellery: (lacht) Nein. Ich meine, Warren hat da ganz am Ende gearbeitet, kurz vor dem Bankrott, er hat die 80er also auch verpasst. Er war da, glaube ich, gerade mal um die fünfzehn Jahre alt. Das ist tatsächlich etwas, nach dem wir oft gefragt werden, aber ich habe eigentlich nie wirklich irgendwas davon so richtig gehört. Und ich lebe auch nicht direkt in Manchester, sondern eher eine Stunde außerhalb – beziehungsweise, fällt mir ein, ich bin letzte Woche nach Manchester gezogen. Aah! Zumindest ging mir die New Wave-Szene nie viel durch den Kopf. Ich denke mal es gibt auch irgendetwas, für das Frankfurt berühmt ist, was wiederum nicht bedeutet, dass es die ganze Zeit in den Köpfen der Leute hier sein muss. So ist das auch mit New Wave.

motor.de: Man liest gelegentlich im Internet, dass die LYF gegründet wurde, bevor die Band entstand. Was hat es damit auf sich?

Ellery: Das ist so eine Art Halbwahrheit. Idealistisch wurde sie davor gegründet, aber nicht als wirklich real und ohne Namen. Grundsätzlich sind der Geist und Ethos der Sache etwas, über das ich und Tom [Anm. d. Red.: Thomas McClung, Bassist von Wu Lyf] seit unserer Kindheit geredet haben, weil wir Freunde sind seit dem wir klein waren. Die Idee ist, selbstbewusst und selbstständig zu sein. Du hast sicher auch einen Boss und vielleicht einen Job an den du nicht wirklich glaubst? Solche Gedanken waren die Basis, nur so eine idealistische Geschichte. Als dann die ganze Band-Sache losging dachten wir, dass wir auf unseren Ideen irgendwie aufbauen könnten, in Form von der LYF, in der echten Welt.

motor.de: Was ist das Hauptziel der LYF?

Ellery: Mh. Es ist sozusagen unser eigenes Label. Es ist wichtig, dass es gesund ist und funktioniert und dass sich alle verstehen. Das ist vielleicht das allerwichtigste. Wenn niemand mögen würde, was wir tun, wenn es niemand genießt, dann gäbe es nicht wirklich viele Gründe es weiterhin zu tun.

motor.de: Referiert euer Band-Symbol eigentlich als Kontrapunkt zur Lucifer United Youth (LYF) auf das christliche Kreuz?

Ellery: (lacht) Ja. Sozusagen. Eigentlich war es bloß irgendein Bild, das wir zusammengebastelt haben. Wir haben aber eine Menge alberne Erklärungen dafür.

motor.de: Deine liebste Variante wäre welche?

Ellery: Mein persönlicher Favorit geht so: Stell dir ein Kruzifix vor, an dem Jesus hängt. Seine Hände sind drangenagelt. Aber dann denkt er sich: “Mann, ich will nicht sterben, warum sollte man jetzt sterben” und macht so: (demonstriert mit ausschweifender Geste das Losreißen und Erheben der Arme). Dann singt er “Hey Man, I’m the champion”. Das ist die Erklärung für die Silhouette des Symbols.

motor.de: Darauf muss man auch erstmal kommen. Wenn man schon von Absurditäten spricht, stimmt es, dass euer Name Wu Lyf eine Art Hommage an den Wu-Tang Clan ist?

Ellery: Naja. Sie waren immer eine Band, für die ich viel Respekt hatte. Außerdem habe ich einmal deren Buch “The Wu-Tang Manual” gelesen, was mich beeinflusst hat. Als ich es gelesen habe, gingen mir eine Menge wesentlich aufregendere Herangehensweisen ans Musikmachen auf, als die generische White-Boy Indie-Rock-Band. Auf diese Weise waren sie also sicher inspirierend. Und dann gibt es noch den Nebeneffekt, dass dauernd Leute ankommen, Wu-Tang Fans, die schimpfen: “Wer zum Teufel sind diese Idioten, sie wollen Wu-Tang sein, aber klingen kein Stück nach Wu-Tang Clan!” (lacht).

motor.de: Was hältst du eigentlich davon, dass euer Album in den UK-Charts war?

Ellery: (erstaunt) War es? Oh. Ich weiß gar nicht. Könnte sein.

motor.de: Bedeutet dir das etwas?

Ellery: Ähm. Nicht massiv. Ist nichts, was ich verfolge. Es ist ein bisschen seltsam, diese Art von Mainstream-Anerkennung zu bekommen. Es ist nett, aber ein bisschen so, als würde deine längst verlorene Tante dir auf einmal sagen “Ich mag dich wirklich sehr!”. Es würde dir nicht wirklich etwas bedeuten, aber du würdest trotzdem “Oh, danke!” sagen.

motor.de: Möchtest du noch etwas loswerden?

Ellery: Ja (deutet auf einen jungen Mann neben sich). Young Montana veröffentlicht im Herbst eine neue LP und dann werde ich bald 21. Wenn mir also irgendwer eine Karte schickt, dann werde ich mich bedanken. Ist es nicht gut, das zu sagen? Ich kriege nie Karten.