Vier Jungs aus Husum gehen im Vorprogramm von Casper auf Reisen. Kreuz und quer durch Deutschland. Für motor.de schreibt das Quartett seine Eindrücke nieder und lässt euch auf diesem Wege daran teilhaben. In Teil vier des Tourtagebuchs: Sicherheitsmänner ohne Mitleid, das Vierkanttretlazarett sowie die beste Diät während einer anstregenden Tour.
Arm in Arm in blau. (Foto: Lisa Meinen)
Herrgott und Klabautermann sind immer gerecht, auch wir dürfen einmal in der Heimat sein. Zwar ist es unsere zweite nur, doch unsere Herzen werden nicht weniger warm von ihr. Drei warme Herzen nun im Heimathafen. Die Vierkanttretbote legen endlich an. Unser Haus- und Herz-Bassist Momme begleitet uns für heute auf unserem Landgang. Gleich zweimal soll er uns bühnenwärts führen heute. Wir betreten die erste Konzertstätte, die Große Freiheit heißt, sind jedoch gleich gefangen von ihr. Wuchtig und erhaben steht sie da, die alte Galerie um den Raum gewickelt wie eine Tapetenborte.
Bevor wir uns auf der Bühne versuchen wird zum Fototermin gebeten. Ganz plötzlich mit kurzer Frist. Doch wir sind gut aufgelegt. Und was der große Mann mit der Mütze da schießt, beeindruckt uns. Sein lustiger Geselle hält geduldig das Sonnensegel. Wir finden eine Schreibmaschine und halten sie hoch wie die großen Dichter der Welt, bis die letzte Blende fällt.
Wieder zurück beginnt das alte Treppenhumpelspiel von Neuem. Neue Stadt und altes Pech. Der Blick des Sicherheitsmanns sollte mitleidig sein, ist es aber nie. Hinter seiner Fanta grinst er in sich hinein. Ich überspringe den Schmerz dann für eine halbe Stunde und bin mir einig mit meinen Mit- und Nebenmenschen: Es ist schön fast zuhause zu sein.
Dann setzen wir an zum Katzensprung. Wir verfrachten unsere Dinge die Straße hinauf zum Molotow, während des Aufbaus versuche ich noch eine halbe Stunde zu schlafen. Das zweite Konzert nun noch schöner. Fast heimelig die Atmosphäre, viele Freunde sind da, auch die ganze Casperbande, was uns sehr stolz macht. Wir fügen unserem Tourständchen einige leisere Lieder hinzu, zwei Mädchen in der ersten Reihe singen mit, wir sind ans Herz gefasst.
Wir leeren noch unseren Kühlschrank, für mich ist es heute meist nur Wasser, dann müssen wir dem Tag und denen davor Tribut zollen und verschwinden ins Bett. Meine Nase juckt. Doch Schnupfen ist doch freie Wahl, oder? Ich will ihn nicht, nur schlafen und glücklich bin ich auch. Ick hev mol in Hamburch de Vierkants gesehn.
Was nun beginnt sind Tage des kalten Schweißes. Der Schnupfen hat mich doch. Ich hatte nicht an ihn geglaubt. Doch der Schnupfen ist ein stolzer Bursche. Ich kämpfe mit Husten und Würgereiz und schlafe immer, wenn ich nicht singe. Alles was ist, zieht an mir vorbei, im Schlafsack liegend auf der Busrückbank. Die Nase kann laufen, der Fuß nicht. Die Rache der Grippe ist perfide und zermürbend. Wir sind nunmehr Vierkanttretlazarett.
Unser Konzert in Potsdam ist für mich das schwerste bis jetzt. Immer wieder kämpfe ich gegen das Niesen. Zwischen den Worten huste ich in die Leere. Doch Freude macht es trotzdem. Und da ist er wieder, der kalte Schweiß. Ich wische ihn ab und esse etwas mit Fenchel. Und Kürbis! Ja Freund, du verlässt mich nicht. Treu und rotgelb schmeckt er heute, auch außerhalb der Suppenwelt sehr gut. Wir erzählen uns noch Witze, bis wir über unsere eigenen mit den Augen rollen müssen, küssen uns lebewohl und schlafen bis tief in den nächsten Tag hinein.
Gerichte gegen die Tourverfettung – ja, das schmeckt uns!!
An unserem freien Tagen beginnt die große Taschentuch-Not. Im Fieberwahn verirre ich mich schließlich in eine Apotheke, ich kann mein Glück nicht fassen. Doch nur kurz, denn direkt nachdem ich gesagt habe was ich möchte, Salbei, Kamille und Taschentücher nämlich, sehe ich dass auf der Linken ein Regal steht, völlig leer, bis auf diese drei Dinge. Die Dame gibt noch vor zu suchen, dann mit einer zu hastigen Bewegung und gespieltem Erstaunen: “Ah, da haben wir es ja!”. Ich zahle schnell. Auf der Straße sehe ich mehrmals in den Himmel, ob nicht ein Scheinwerfer hinunter fällt. Ich wundere mich als nichts passiert, bin aber sehr erleichtert. Meine wenigen wachen Stunden verbringe ich nun mit Inhalation, sonst schlafe ich auf einem Meer von Taschentüchern. Schnupfen, du hast es mir bewiesen. Es scheint als wären die Offtage, also die Zeit gedacht zur Erholung von zehrenden Wochen für meine Gesundheit, die risokoreichsten. Ich war wohl zu lange ein Freund der Ironie.
Während mein Zustand sich wohl bessert, rafft es andere dahin. Casper-Bassist Danny spricht nicht als wir uns sehen. Blass liegt sein Gesicht in der großen Kapuze, die Augen gerändert. Man möchte ihn drücken, lässt es dann aus Sorge um die eigene Gesundheit. Und eben diese greift nun um sich. Gesunde und Halbkranke sehen in mir und Danny große Gefahr und wir werden, unterteilt in verschiedene Quarantänestufen, verbannt. Danny ergibt sich seinem Schicksal, indem er schlagartig einschläft und nur für Tabletteneinnahme und Konzert seine müden Augen öffnet.
Wir haben heute ein Termin mit einem sehr netten Musikmagazin, weshalb man meine Verbannung kurz unterbricht. Wir spielen ein Lied und machen Fotos mit einem Fahrrad. Wir sind selbst überrascht, dass es unsere ersten Fahrradbilder sind. Zurück in der Konzertstätte esse ich Unmengen an Hühnerbrühe und inhaliere schließlich noch. Ich trinke Tee und öffne meine Stimmlippen mit einem großen Strohhalm. Dann fühle ich mich gewachsen. Während des Konzerts singe ich, unterbrochen von Hustenanfällen. Während Mädchen in der ersten Reihe Schlager skandieren. Als mir übel wird kann ich nicht sagen, ob sie es sind oder ich. Ich kämpfe mich durch.
Danny liegt immer noch schlafend und schnaubend auf der Bank. Wir überlegen, ihn an Marionettenfäden von der Decke zu hängen. Doch er steht von allein. Und ist in dieser Nacht ein Held für alle Grippekranken. Im Hotel stelle ich fest, das es hier durchaus manchmal Leben gibt, wenn man vor 3 Uhr ankommt. Ich entscheide mich aber doch gegen die Geselligkeit und fürs Krankenbett. Ein wenig Betroffenheitsfernsehen darf es noch sein, dann schlafe ich.
Es gibt kein Internet in Erfurt. Zumindest in unserem Zimmer hinter der Bühne hat man daran gespart. Und was zunächst mit großem Unmut empfangen wird, entwickelt sich nach kurzer Depression zu Geselligkeit und Freundschaft. Wir halten uns in den Armen, hören Musik und trinken Bier auf Zeit. So jung kommen wir nicht mehr zusammen. Aus dieser Ausgelassenheit wächst die Geburt einer fixen Idee: Christian eröffnet sich die Möglichkeit, die schmachvolle Chevape-Schande zu überwinden.
Wir haben einen Rasierapparat. Der Plan ist einfach. Eine Tonsur soll sein! Für viele nur ein haltloses Versprechen, Christian wird das nicht auf sich sitzen lassen. Wir nehmen unsere Bierseligkeit für einen Zwischenstopp mit auf die Bühne und probieren die Geräusche durch. Danach auf ein paar Knödel zurück hinter die Bühne. Wir verleben einen schönen Auftritt. Wir und das Publikum sind gut aufgelegt, zudem steigert er unsere Vorfreude.
Hinten wetzt nämlich unser neuer Freund, ein Koch, den wir von nun an Frisör nennen, seine Messer. Nach einem Haarabschiedsanruf mit seiner Freundin setzt sich der tapfere Chris auf den heißen Stuhl. Minuten später sieht er dann aus wie Bruder Tuck. Während wir den Spaß unseres Lebens haben, schaut er plötzlich etwas bedrückt. Wir klopfen ihm auf den Rücken, ein Held, ein echter Held ist der Mann. Zur Zugabe kommen wir auf die Bühne, die Casperbande weiß noch nichts vom Mönch in unseren Reihen, der nun aber aufs Podest gestellt und von uns und allen frenetisch gefeiert wird. Wir werden davon keine Fotos veröffentlichen. Werden wir nie. Denn es gibt keine. Das Mönchsfenster hat sich für immer und unter Lachkrämpfen geschlossen.
Wir schließen den Abend mit einem Tanzkampf zwischen dem Technomönch und einem bösen Menschen und gehen schlafen.
Vierkanttretlager
Den dritten Teil des Tour-Tagebuchs lest ihr »hier.
(Profil-Foto: Jenny Schäfer)
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