Da sind sie wieder: Der „fucking anger“ und „rage“ und Fäuste in der Luft. Boysetsfire sind zurück und alles ist wie immer. Nur das Business kann mal schön draußen bleiben.

2009 schien alles so klar: Die letzten Hoffnungen einer etwaigen Reunion zerstreuten Boysetsfire mit der Veröffentlichung ihrer Farewell DVD, die dem 2007er Split noch einmal Nachdruck verlieh. Umso größer war die Überraschung, als die fünf Jungs im Oktober aus dem Nichts heraus verlauten ließen: „Nun werden wir also wieder beginnen, zusammen zu spielen“ (motor.de berichtete). Die nachfolgenden Konzerte zogen Post-Hardcore Jünger aus allen Landen an, wie das Licht die Motten. Vor ihrem ausverkauften Konzert in Leipzig unterbrach der inzwischen leicht ergraute Sänger Nathan Gray sein Nickerchen im Tourbus für einen Plausch mit motor.de.

motor.de: Im Dezember fehlten dir in Berlin angesichts der überwältigenden Reaktion des Publikums noch die Worte. Wie sieht es jetzt aus – habt ihr euch mittlerweile wieder an eure Bühnenpräsenz gewöhnt?

Nathan: Nein, nein, nein. Nein! Definitiv und absolut nicht. Wir haben auf dieser Tour bisher einige Shows gespielt und uns immer noch nicht daran gewöhnt. Es ist unglaublich, wie viele Menschen kommen und es so sehr zu schätzen wissen, dass wir zurück sind.

motor.de: Wie würdest du euer erstes Konzert nach der Reunion beschreiben?

Nathan: Welches meinst du? Wir waren in Berlin und wir hatten noch eins beim Groezrock… ich versuche mich zu erinnern.

motor.de: Und dann gab es ja noch die Secret Show in den Staaten…

Nathan: Ja, genau. Sie waren alle unglaublich. Besser kann ich sie echt nicht beschreiben.

Boysetsfire – “My Life In The Knife Trade” (live)

motor.de: Ich habe an diesem Abend in Berlin jemanden gesehen, der blutend aber strahlend vor Freude die Venue verließ. Wie geht ihr mit der Kluft um, daheim einen normalen Job machen zu müssen und auf der anderen Seite grenzenlos bewundert zu werden?

Nathan: Für mich ist das sehr einfach, weil ich selbstständig bin. Ich muss mich nicht selbst feuern, um mit den Jungs auf Tour gehen zu können. Falls du aber das Feeling meinst, auf Tour für manche so etwas wie ein Star zu sein und dann daheim angekommen nicht mehr: Ich bilde mir nichts darauf ein. Wenn die Leute uns mögen, wissen wir das zu schätzen. Einen großen Unterschied zwischen hier und da gibt es nicht für mich. Wir sind einfach nur da, um Musik zu spielen, rumzuhängen, neue Leute zu treffen, Spaß zu haben. Das ist alles.

motor.de: Warum habt ihr euch eigentlich ausgerechnet für Berlin entschieden, um euer erstes offizielles Reunionkonzert zu spielen?

Nathan: Das war eben das erste Angebot. Wir waren in den Vorbereitungen für diese Tour und wie auch immer haben die Leute von den Extreme Playgrounds Wind davon bekommen und uns gefragt. Warum nicht. Wir dachten, das würde eine gute Übung sein, bevor wir richtig auf Tour gehen.

motor.de: Es scheint, als hätte das Business dich zurück in seinen Fängen.

Nathan: (stockt kurz) Es ist wie es ist. Wenn wir Shows spielen, spielen wir eben Shows.

motor.de: Wann genau war der Zeitpunkt, als ihr euch entschlossen habt weiter zu machen? Kannst du eine kleine Zusammenfassung der Reunion geben?

Nathan: Das ist keine aufregende Sache. Wir haben im letzten Jahr immer mal wieder darüber geredet, manchmal scherzhaft, manchmal ernsthaft. Irgendwann kamen wir zu dem Punkt zu sagen „Okay, schauen wir mal, was passiert“. Wir haben es sehr vermisst, gemeinsam Musik zu machen, also probieren wir es noch einmal.

motor.de: Ihr lebt in verschiedenen Staaten, euer Bassist Robert in Deutschland – gibt es Schwierigkeiten so weit entfernt und nach so langer Zeit wieder als Band zu funktionieren?

Nathan: Wir haben ja weiterhin als Freude zusammen rumgehangen. Das hat mit dem Ende von Boysetsfire nicht aufgehört. Es war also absolut nicht seltsam für uns, wieder miteinander Musik zu machen und wieder hinein zu kommen.

motor.de: Gibt es durch die vorübergehende Trennung eine Weiterentwicklung – ist boysetsfire nun auf einem neuen Level?

Nathan: Ich habe ernsthaft keine Ahnung. Als wir als Band wieder zusammen gekommen sind, haben wir keine Pläne gemacht. Vielleicht kommen in der Zukunft noch welche hinzu – wer weiß das schon? Aber momentan gibt es nur diese Tour und nichts weiter. Klar, das ist absolut keine interessante Geschichte, aber das kommt daher, dass es Boysetsfire immer als Freunde gegeben hat. Irgendwie haben wir immer miteinander Zeit verbracht. Dass wir nun wieder als Band funktionieren, war nie eine große Sache. Die einzige Überraschung dabei ist, wie einfach das klappt (lacht).

motor.de: Also ist das eher wie nach zwei Wochen Urlaub?

Nathan: Nein. Es ist wie: „Okay, wir sind also wieder auf Tour, whatever.“ Es ist exakt genauso, wie es immer war und absolut nicht anders. Wir sind eben wieder da.

motor.de: Gibt es Erfahrungen aus den vergangenen Split-Jahren, die die “neuen” Boysetsfire beeinflusst haben?

Nathan: Ich denke, es ist nur eine neue Gelassenheit. Wir haben uns eine Pause genommen und uns entschieden, uns keine Sorgen mehr um die Band und solche Sachen zu machen, sondern nur noch als Freunde zu agieren. Das haben wir in die Inkarnation mit hinein genommen. Wir wollen das Business so weit, wie es nur geht, draußen lassen, Spaß haben und keine Pläne machen. Falls etwas Großes passiert, gut. Wenn nicht, auch egal.

Boysetsfire – “Rookie”
motor.de: In ein paar Interviews hast du The Casting Out und The New Recruits als „Spaßprojekte“ bezeichnet. Flüchtest du dich dahin aus Angst vor dem Businessfaktor?

Nathan: Der Grund, weshalb ich diese Seitenprojekte mache, ist ganz einfach, dass ich dort mit anderen Musiktypen und –Stilen arbeiten kann. Ich kann dort Dinge zum Ausdruck bringen, die zu Boysetsfire einfach nicht passen würden. The Casting Out war albern und spaßig – das kann man bei Boysetsfire nicht bringen. Als Person muss ich gewisse Sachen ausleben. Ich kann nicht die ganze Zeit düster und tiefsinnig sein. Manchmal bin ich mehr als nur eine Person. BSF ist sehr einzigartig und vereint schon verschiedene Musikrichtungen. Aber ich will keinen blödsinnigen Song für dieses Projekt schreiben. Das kann ich dann mit anderen Bands machen (lacht).

motor.de: 2005 war es euch wichtig, eine politische Message an die Fans zu bringen. Was steht bei den Konzerten heute auf eurer Flagge? Liebe, Frieden, Kekse?

Nathan: Erstens: Für manche Menschen ist es sehr langweilig, wenn du die ganze Zeit nur über Politik redest und keine Musik spielst. Das ist zwar schade, aber wenn du jeden einzelnen Song erklärst und ihn nicht für sich sprechen lässt, verliert er an Persönlichkeit. Wenn du ein BSF-Album hörst und die Lyrics liest, weißt du selbst, wovon sie handeln. Und wenn du sie mit in dein Leben nimmst, ist das viel wichtiger, als würden wir dir sagen, was du darüber zu denken hast. Wir haben es einfach satt, den Leuten Vorschriften zu machen. Wir zeigen dir unsere Ideen und du kannst sie so nehmen, wie du sie für dich selbst erschließt. Deshalb sind Boysetsfire eine Band des Volkes und keine dogmatischen Trottel, die sagen, was du zu tun hast. Wir sind, und wir werden immer eine politische, intensive, düstere Band sein. Aber diese Einstellung anderen aufzuzwängen, das wollen wir nicht mehr (längere Pause). Und ich mag Kekse.

motor.de: Wo liegen die Prioriäten als Band?

Nathan: Wir werden erst einmal diese Tour zu Ende bringen. Dann haben wir sechs Wochen Pause und wieder zwei Wochen Tour. Weitere Pläne gibt es nicht. Wenn wir etwas gefragt werden, werden wir das überdenken und vielleicht tun. Aber es wird schon wieder hektisch und verrückt und das war der Grund, weshalb wir diese Pause genommen haben. Wenn wir schon wieder anfangen darüber nachzudenken, wann der nächste, übernächste und überübernächste Schritt kommt, sind wir schnell ermüdet. Das wollen wir verhindern. Wenn wir im Moment leben, macht das mehr Spaß und ist bedeutungsvoller. Es hat nichts revolutionäres und nichts freudiges, wenn wir Boysetsfire nur als Job sehen. Es geht dann nicht um Freundschaften und Ideen und die Musik, wenn wir die ganze Zeit denken „SHIT! Wir müssen dieses Geld verdienen, wir müssen jenes produzieren und das und das und das“. Damit fangen wir erst gar nicht nochmal an.


Interview: Julia Kindel