Gibt es wirklich eine Renaissance des Protestsongs? Oder ist hierzulande einfach alles noch nicht schlimm genug?
„Festung Europa“ ist der quasi offizielle Protestsong dieser Tage. Es geht um – oder besser natürlich: gegen – das System und wie es mit Menschen umspringt, die nicht dazugehören. Es gibt ja derzeit auch abseits von einer Grundabneigung gerade wieder eine Menge Anlass, gegen das System zu sein. Der Finanzkapitalismus jagt jetzt nicht mehr nur Dritte-Welt-Staaten, der „Aufschwung kommt bei den Bürgern nicht an“ hört man seit Monaten in den Nachrichten, die Regierung jongliert sich irgendwie durch – und der Protestsong ist wieder da. Es war eine kleine Feuilleton-Debatte im Frühjahr, die das zu entdecken glaubte. Eine knappe Handvoll deutschsprachiger Bands und ihre neuen Platten mussten als Beweis herhalten: Die Österreicher Kreisky und Ja, Panik sowie die (Neu-)Leipziger 206 zum Beispiel. Die immer noch credibelste Musikzeitschrift im Lande griff das Thema prompt auf, hievte ausgerechnet den jungen Bob Dylan aufs Cover und rief einen Protestsong-Wettbewerb aus.
Zum Sieger kürte die Jury das Trio Brockdorff Klang Labor. Mit „Festung Europa“ schickten die Electropopper einen fast schon eleganten Track ins Rennen, fernab von Gitarrenklampferei und Faust-nach-oben-Ästhetik, also eigentlich so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was man mit „Protestsong“ hierzulande gemeinhin assoziiert. Wer etwas genauer hinschaut, stellt fest, dass Brockdorff und 206 nicht nur beide in Leipzig beheimatet sind, sondern auch noch beim gleichen Hamburger Label, nämlich Alfred Hilsbergs ZickZack. Das galt vor Urzeiten als ein Epizentrum, sein Chef als eine Art Pate der deutschen Independent-Szene, die sich damals – vor zwanzig Jahren – durchweg auch politisch definiert sah. Es ist eine doch erstaunliche Wiederkehr in den Aufmerksamkeitsfokus, nach sehr stillen Jahren und in sowieso geschäftlich immer schwierigeren Zeiten.
Die eigentliche Musik – auch die politische – spielt natürlich eher woanders. Zumindest die für die Massen. Denn die wollen heute vor allem Entertainment. Die Revolution bleibt auf die Bühne und den Platz davor beschränkt. Es gibt eine ganze Menge Bands die dabei schmissige Botschaften zu Electropunk schmettern, etliche davon – allen voran Egotronic – haben sich unter dem Dach des Hamburger Audiolith-Labels gefunden, bei dem man immer nie so genau wissen darf, wie ernst der Widerstand nun wirklich gemeint ist, was Pose und was Haltung ist, ob aus Spaß beim Konzert tatsächlich irgendwann politisches Bewusstsein erwachsen könnte. Immerhin, es gibt dabei wenigstens ein gehöriges Maß an Spaß, was ein wenig mit dem Vorurteil aufräumt, deutsche Protestmusik sei immer nur bierernst und depressiv.
Trotzdem bleibt der Eindruck, dass sich zeitgenössisch musikalischer Protest eher in Befindlichkeiten manifestiert, in einem diffus gehaltenen „Die Welt ist schlecht.“, bei dem ein allgemeines „Festung Europa“-Statement schon das Konkreteste ist, was man verlangen kann. Es fällt einem eigentlich auf die Schnelle nur ein Beispiel ein, wann eine deutsche Band in letzter Zeit wirklich mit einer Protestgeste wirksam Aufmerksamkeit erzeugte. Vor einem halben Jahr hatte Judith Holofernes einfach mal öffentlich Klartext geredet, als sie von der Werbeagentur der Bild-Zeitung gefragt wurde, ob denn ihre Band Wir sind Helden für die aktuelle Kampagne des Blattes zur Verfügung stünde. Prompt musste sich die – eh nicht gerade als linksradikal hip, genaugenommen eigentlich eher biederverdächtig geltende – Band vorwerfen lassen, sie würde sich doch nur profilieren wollen. Derlei Protestlust-Verweigerung des Publikums gibt es wahrscheinlich wirklich nur in Deutschland, weit entfernt von Massendemonstrationen, Generalstreiks, Straßenkämpfen und wirklich großen Medienskandalen.
Anderswo haben es die Popstars deutlich leichter. Internationaler Aufmerksamkeit und Beifalls darf sich der als Ikone geltende Pulp-Frontmann Jarvis Cocker gewiss sein, wenn er den Protest gegen die Boulevardpresse auf die Bühne trägt. Als kürzlich die letzte Ausgabe des Murdoch-Blattes News Of The World erschien, zeigte er, was er von der abgedruckten Reue und Entschuldigung der Redaktion hielt: Er wischte sich beim Festival-Gig damit den Hintern ab – zumindest deutete er es deutlich genug an. Und sogar der klassische Protestsong ist auf der Insel noch nicht tot. Billy Bragg – das tief ins Popbewusstsein eines ganzen Landes eingegrabene Renommee der One-man-and-his-guitar-army lässt sich außerhalb Großbritanniens nur schwer fassbar machen – hat sich über Nacht mal eben ins Studio gesetzt und einen Protestsong eingespielt. Einen richtigen wohlgemerkt, einen mit Gitarre, Faust-nach-oben-Reflex und konkreter Forderung: „Never Buy The Sun“ – damit ist natürlich das übermächtige Murdoch-Boulevardblatt gemeint – gibts umsonst auf seiner Homepage zum Download. Dieser Protest ist sogar gerade ziemlich mehrheitsfähig.
Augsburg
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