Hoch gehandelt aber bodenständig; außerdem witzig und talentiert: Retro Stefson werden mit Superlativen bedacht, dass es nur so scheppert. motor.de fühlte dem isländischen Septett im Interview mal genauer auf den Zahn.
Seitdem sie vor einigen Jahren zusammen mit FM Belfast das Iceland Airwaves Festival in Verzückung versetzten, geht es steil bergauf für die blutjungen Isländer von Retro Stefson. Kürzlich siedelte die komplette Band sogar nach Berlin über, um ihrem ausgiebigen Tour-Plan besser gerecht werden zu können. Das ist hochprofessionell und konsequent, wie auch die Musik der Truppe, die keine Schubladen zu kennen scheint. motor.de traf die Dame und Herren, um das Phänomen Retro Stefson etwas besser auszuleuchten. Vor allem Sänger und Gitarrist Unnsteinn Manuel Stefánsson sowie sein Bruder und Bassist Logi taten sich als eloquente Gesprächspartner hervor. Der Rest der Band stellte sich als nicht minder sympathisch heraus, überließ jedoch meist bereitwillig ihrem Frontmann das Reden. Was Retro Stefson von der isländischen Musik-Szene, dem Arm-Aber-Sexy-Image und den Vorzügen von Brat- gegenüber Currywurst zu erzählen wussten, lest ihr hier:
motor.de: Willkommen in Deutschland. Wobei, das müsste ich gar nicht mehr sagen, ihr seid ja gerade alle nach Berlin gezogen, ist das richtig? Was hat euch dazu bewogen?
Unnsteinn: Ja, das ist richtig und hat eigentlich einen ganz einfachen Grund: es ist billiger. Erstens kann man in Berlin günstiger wohnen als in Reykjavik und zweitens ist es für uns weniger aufwendig, wenn wir auf Tour gehen. Allein das ganze Equipment von Island aus einzufliegen ist enorm kosten- und zeitintensiv.
motor.de: Der amtierende Berliner Bürgermeister tätigte mal den berühmten Ausspruch: “Berlin ist arm aber sexy.” (allgemeines Gelächter)
Unnsteinn: Ist das wahr? Wahnsinn!
motor.de: Das ist kein Scherz. Könnt ihr euch damit identifizieren, oder seid ihr schon auf dem Weg zu reichen Rockstars?
Unnsteinn: Klar, können wir. Ich meine, sieh uns an! Wir SIND arm und sexy (lacht). Auf jeden Fall können wir von der Musik allein noch nicht leben. Aber irgendwie funktioniert es trotzdem… wir hungern. (lacht)
motor.de: Euer Debüt “Kimbabwe” erschien und hat es stilistisch wirklich in sich. Also: Wie würdet ihr jenen, die euch noch nicht kennen, euren Sound erklären?
Unnsteinn: Ach, das fassen wir ganz gerne in einfachen Sätzen zusammen. Im Moment würde ich sagen: Wir klingen wie Van Halen, der sich an einem sommerlichen Tag in seiner Küche einen Bananen-Smoothie mixt.
Retro Stefson – “Kimba”
motor.de: Jemand schrieb mal über euch, dass ihr den kosmopolitischen Geist von Vampire Weekend atmet, ohne der intellektualisierenden Studenten-Attitüde nachzugeben. Mein Eindruck ist: Ihr habt einfach eine Menge Spaß. Versucht ihr überhaupt bewusst wie etwas oder jemand zu klingen?
Unnsteinn: Naja, zunächst einma sind wir tierisch intellektuell (lacht). Ich hab gerade damit angefangen, Bücher über Mathematik zu lesen, also richtig wissenschaftlich. Diesen mathematischen Ansatz mögen wir als Band sehr. Unsere Musik ist eigentlich stark strukturiert und durchdacht. Aber dann versuchen wir eben immer, das nicht so rüberzubringen. Du hast recht: der Spaß steht im Vordergrund, es steckt aber viel Arbeit dahinter… und sehr viel Mathematik.
Logi: Wir sind nicht wirklich intellektuell. Da lügt er! Wir denken viel über das nach, was wir tun und es steckt sehr viel Ideen-Arbeit in unserer Musik – das stimmt. Aber wir sind keine Grübler.
motor.de: Ihr habt die Band schon zu Schulzeiten gegründet. Wart ihr also alle vorher schon befreundet oder hat euch die Band erst zusammengebracht?
Unnsteinn: Nein, wir kannten uns eigentlich alle vorher schon. Nur Gylfi [Freeland Sigurðsson – Schlagzeuger; Anm. d. Red.] kam etwas später dazu, weil wir zunächst keinen guten Drummer gefunden haben.
motor.de: Woher nehmt ihr denn all die verschiedenen Einflüsse, die in eurer Musik zu finden sind?
Logi: Das ist eigentlich ganz simpel – wir hören alle sehr verschiedene Musik. Einer steht derzeit total auf Fleetwood Mac, dann findet sich das auch in unserem Sound wieder. Jemand entdeckt afrikanische Musik für sich, dann findet man auch das. Bei uns in der Band hat jeder unterschiedliche Präferenzen und die kann auch jeder einbringen, wie es gerade passt.
motor.de: Außerdem fällt auf, dass es recht lange Tracks auf “Kimbabwe” gibt, die ein gewisses Jam-Feeling nicht verbergen können. Würdet ihr euch eher als Live-Band sehen, die ausprobiert, bis sich ein Song heraus schält? Oder seid ihr eher akribisch und tüftelt lieber im Studio?
Logi: Definitiv beides. Wenn wir diese beiden Stränge irgendwie zusammenführen können, dann haben wir alles richtig gemacht. Wir mögen die spontane Energie des Live-Spielens, genau wie das akribische Arbeiten und irgendwie ist unsere Musik da wie das Leben selbst – sie vereint beides. Auch das Leben ist spontan, unplanbar und doch nicht komplett zufällig.
motor.de: Was ist eigentlich mit der isländischen Musik-Szene los – Jahrelang war das, was hier in Kontinental-Europa aus Island bekannt war, hauptsächlich Björk, Sigur Rós, vielleicht noch Múm für Eingeweihte. Jetzt kamen erst kürzlich FM Belfast und nun ihr: Bands, die sehr fröhliche und positive Musik machen, die so gar nicht dem Klischee der weltfremden Melancholiker entspricht. Hat sich die Musik-Szene in Island gewandelt oder bekommen Bands wie ihr jetzt einfach nur mehr Aufmerksamkeit?
Unnsteinn: Gute Frage. Ja das mag für euch hier etwas seltsam aussehen. Oder ungewohnt. Aber Tatsache ist, dass Island schon immer eine sehr freie und sehr vielfältige Musik-Szene hatte. Jetzt ist das Interesse an der positiven Ausrichtung wie der unseren wohl einfach nur höher. Es gibt in Island kein großes Musik-Business, sodass wir gar nicht so den Drang haben, überhaupt irgendetwas zu kategorisieren. Wir tun, wonach uns der Sinn steht. Ich denke, der Markt wird immer nach frisch und neuartig klingender Musik suchen. Und früher waren Sigur Rós oder Múm eben neuartig, jetzt sind wir es. Obwohl das genaugenommen eben nur die Außenansicht ist.
motor.de: Das ist auch deshalb seltsam zu sehen, weil es in Island derzeit ja nicht gerade rosig aussieht, vor allem wirtschaftlich und damit auch perspektivisch für junge Menschen wie euch.
Unnsteinn: Das stimmt. Ich habe kürzlich auch drüber nachgedacht, ob ich nicht Präsident werden sollte (lacht). Nein ernsthaft: Wir machen uns ziemlich viele Gedanken um das, was in Island politisch vor sich geht und ich sag’ dir eines: da passiert eine Menge Scheiße. Aber ich denke nicht, dass das einen Einfluss auf unsere Musik hat, weil wir die ja jetzt schon von Anfang an so betreiben. Und da gab es noch gar keine ökonomische Krise.
Logi: Aber du hast recht, für Menschen außerhalb Islands muss es ziemlich surreal wirken, dass ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt so viel fröhliche Musik aus Island kommt.
Retro Stefson – “Planetarium” (detektor.fm Akustik-Session)
motor.de: Ihr seid alle noch sehr jung. Was denkt ihr, wo euch Retro Stefson noch hintragen wird, macht ihr euch darüber überhaupt Gedanken?
Unnsteinn: Wie ich schon angedeutet habe, mache ich mir ständig Gedanken um irgendetwas. Auch darüber, was ich mache, wenn das mit Retro Stefson mal nicht mehr läuft: Mathematik, Politik.. (grinst) Aber das Problem ist, dass das Einzige, worin ich wirklich gut bin, die Musik ist. Also bleibt im Moment nur das. Was danach kommt, keine Ahnung. (wendet sich dem Rest der Band zu) Hatte nicht einer von euch vor, Restaurant-Kritiker zu werden? (allgemeines Gelächter)
Haraldur Ari: Ja, ich. Das wäre doch großartig! Essen, meckern und damit auch noch Geld verdienen!
motor.de: Na, dann üben wir das doch gleich einmal: Was hältst du denn von der Küche hier?
Haraldur Ari: Das kommt ganz darauf an. Ich hab hier schon sehr gut gegessen und, naja, auch weniger gut (lacht). Ich merke schon, ich sollte noch an den Formulierungen feilen. Das ist kein wirklich gutes Urteil.
Motor.de: Das wird schon noch. Jetzt lebt ihr in Berlin, was sagst du denn zur Berliner Currywurst?
Haraldur Ari: Die habe ich schon probiert, ja. Aber mir ist einfache “Bratwurst” (bemüht sich um eine saubere Aussprache) wesentlich lieber.
motor.de: Zum Abschluss eine schnelle Fragerunde, seid ihr dabei?
Unnsteinn: Klar, leg los!
motor.de: Berlin oder Reykjavik?
Alle: Leipzig.
motor.de: Club-Konzert oder Festival-Gig?
Alle: Festival.
motor.de: Fisch oder Fleisch?
Alle: Fisch.
Unnsteinn: Ich bin absolut für Wal-Fleisch zu haben.
Logi: Das darfst du nicht sagen, wenn du Politiker werden willst.
Unnsteinn: Stimmt. Dann nur Wal-Fleisch, wenn’s mit der Mathematik klappt. Wenn ich Politiker werde, ziehe ich Salat vor (lacht).
Interview: Henning Grabow
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