Paranoide Menschenaugen, avantgardistischer Pop und unaufgeregter Retro-Soul mit Funk-Einschlag – die vierte Ausgabe des La Familia Y Amigos-Festivals im Leipziger Conne Island.

Am vergangenen Wochenende, am 13. und 14. Mai, öffnete das Leipziger Conne Island bereits zum vierten Mal seine sympathischen Pforten für das La Familia Y Amigos-Festival. Anlässlich des zehn-jährigen Bestehens des Labels Altin Village gaben sich neben Label-Künstlern auch aufstrebende Newcomer die Ehre. Während es am Freitag mit den amerikanischen Rockern von O’Death, Times New Viking und den Dead Western ordentlich auf die Mütze gab, sollte es am Samstagabend ein wenig bunter zugehen.

Die Eröffnung des Abends kam den amerikanischen Post-Punkern von Thank You zuteil. Man kam nicht herum zu erfahren, dass die vier Herren aus Baltimore stammen – immerhin wiesen sie nach jedem zweiten Song (also insgesamt drei Mal) darauf hin. Obgleich sich die Halle nur peu à peu zu füllen schien, schleuderten sie ihren bisweilen hymnischen Art-Rock-Sound ohne Gnade los. Vor allem Schlagzeuger Emmanuel Nicolaidis wusste mit wahnsinnig impulsiven und mitreißenden Drum-Salven zu überzeugen. Das Quartett stellte Songs ihres neuen Albums “Golden Worry” (immerhin produziert von Chris Coady) vor – eine Mischung aus Post-Punk, kraut-rockigen Passagen und melodischem Noise-Rock. Durchaus sympathisch die Jungs, by the way: die Herren kommen aus Baltimore.

Das Quartett aus Balitmore: Thank You.

Nach einer halben Stunde krachendem Sound ging es anschließend Richtung Paranoia: Als “merkwürdiges Gesamtkunstwerk” bezeichnete die taz 2009 die Berliner Tannhäuser Sterben & das Tod. Von merkwürdig war am Samstagabend eine Menge geboten, von Gesamtkunstwerk allerdings wenig. Auf einer arg verdunkelten Bühne – hinter ihnen flimmerten morbide Bilder eines Menschenauges ihrer selbstbetitelten DVD – gaben Thomas Mahmoud (Ex-Sänger von Von Spar) sowie Gerald Mandl (Mediengruppe Telekommander) ihren verstörenden Mix aus Industrial-Mood, Vocoder-verzerrten Stimmen und paranoidem Electro-Clash zum Besten. Ton-Probleme vervollständigten die Freak-Show. Eigentlich passend zum verregneten Festival-Tag, konnte das Duo zwar einen kranken Charme verbreiten, so richtig wollte der Funke aber nicht überspringen.

Tannhäuser Sterben & das Tod – “Urschleim

Die New Yorker von Skeleton$ holten die Verstörten gerade noch rechtzeitig wieder zurück in die Realität. Der unaufgeregte Avantgarde-Pop von Sänger und Gitarrist Matt Mehlan und seinen zwei Bandkollegen war eine angenehme Abwechslung zum vorher Dargebotenen. Ohnehin ist die Formation durch eine Reihe interessanter Projekte aufgefallen, zuletzt bandelten sie mit dem Brooklyn Philharmonic Orchestra an. Nicht schlecht, meine Herren.

Die Indie-Popper Skeleton$ aus New York.

Gegen 23 Uhr betraten die vier Herren der Düsseldorfer Electronica-Gruppe Kreidler die Bühne. Mit einem dauer-rauchenden Detlef Weinrich an den Sample-Gerätschaften und einem Andreas Reihse im feschen Country-Hut, verzauberte das Quartett mit ihren mäandernden Klanglandschaften das Publikum. Freundlich, zum Abzappeln geeignet und immer mit der richtigen Portion Lässigkeit. Wer die Gruppe noch nicht kennengelernt haben sollte, der dürfte nicht nur an ihren neun(!) Alben, sondern ebenso an ihren zahlreichen Remixes für Einstürzende Neubauten, Depeche Mode oder Faust Freude finden. Apropos Name-Dropping: Die Herren arbeiteten auch mit den Krautrock-Legenden Neu! zusammen.

Kreidler – “Kremlin Rules”

Als Headliner bespielte Chaz Bundick alias Toro Y Moi das Conne Island, das bereits bei Kreidler recht ordentlich gefüllt war, mit seiner relaxten 70er-Jahre Retro-Soul-Pop-Funk-Mischung. Nicht nur in der Blogosphäre wurde der Laid-Back-Sound des 24-jährigen Grafikstundenten aus Columbia als Chillwave bezeichnet. Live ist davon eher weniger zu spüren: Der Schlagzeuger gibt dem gemütlichen Sound eine ordentliche Portion Rock-Appeal mit. Nichtsdestominder kommt dem Vierer, ihr, durch Piano-Rhodes-Passagen angefütterter Groove, nie abhanden. Songs wie “Blessa” oder “Low Shoulder” des 2010er Debüts “Causers Of This”, das sich im vergangenem Jahr in so manchen Jahresbestenlisten wiederfand, geben dem vierzig-minütigen Auftritt eine feiste Feel-Good-Atmosphäre. Auch die Perlen seines aktuellen Langspielers “Underneath The Pine” konnten mit ansteigenden Beats, farbenfrohen Basslines und sphärischen Gesangsflächen das Publikum zum Tanzen bringen. Bundick ist zwar kein großer Entertainer, doch das muss er auch gar nicht sein. Seine kurzen Dankesansprachen sowie der grundsympathische Auftritt gesellen sich einwandfrei zu einem schüchternen Newcomer, der ohne Frage seinen Weg gehen wird.

Der Chillwave-König Toro Y Moi mit Band.

Trotz regnerischem Wetter und dem verstörenden Beginn konnte der zweite Tag des La Familia Y Amigos-Festivals mit facettenreicher Musik begeistern. Bei solch einer interessanten Gemengelage kommt man im nächsten Jahr doch gerne wieder. Hoffentlich scheint dann auch die Sonne.

Sebastian Weiß