Mal wieder eine … öhm … unkonventionelle Idee aus Frankreich: die „Carte Musiqe“ subventioniert legale Downloads.

Ziemlich bunt ist die Website gehalten, wahrscheinlich in Anbetracht der Zielgruppe von 12 bis 25, die denn auch überdeutlich draufsteht: Seit ein paar Tagen können sich Frankreichs Jugendliche einen Zuschuss abholen. Für Musik-Downloads, legale, versteht sich. Bis zu 25 Euro zahlt der Staat jedem, der seinerseits diese Summe in heruntergeladene Songs investieren will. „Carte Musique“ heißt das Lockangebot, mit dem das MP3-Onlinegeschäft angekurbelt werden soll. Verlangt wird nur, sich zu registrieren und die virtuelle Karte für den Händler seiner Wahl mit dem Eigenanteil aufzuladen. Zu Gute kommt das – natürlich – zuallererst den Anbietern. Bis zu fünf Millionen Euro können die derzeit 14 angebundenen Onlinestores jeweils aus der öffentlichen Hand kassieren, wenn sie genügend Abnehmer finden, die die andere Hälfte übernehmen. Zumindest Amazon scheint das für äußerst attraktiv zu halten und legt sogar noch etwas obendrauf: Wer seine „Carte Musique“ dort einsetzt, bekommt für 25 Euro Geld gleich 65 Euro Gegenwert in Musik.

Bis zu je 25 Millionen Euro will Frankreich in den nächsten beiden Jahren zur Verfügung stellen und hat sich dafür auch grünes Licht von der Europäischen Kommission geholt, die dem Anliegen im Rahmen ihrer Beihilfevorschriften nicht nur attestiert, keine Wettbewerbsverzerrung zu sein, sondern es sogar als „zielführende Maßnahme“ begrüßt, „die es den Verbrauchern ermöglichen soll, leichter und günstiger auf legalem Wege Online-Musik zu erwerben“. Angesichts des derzeit geschätzten Jahresvolumens von maximal 60 Millionen Euro für Musikdownloads ist das eine erhebliche Größenordnung. Allerdings zählt Frankreich auch nicht gerade zu den Spitzenreitern der Branche, in Deutschland wird online ungefähr das Doppelte, in England gar das Vierfache umgesetzt. Der Einfluss auf die Regierungspolitik indes scheint enorm, nirgendwo sonst wird gegen sogenannte „Piraten“ staatlich derart drastisch vorgegangen wie in Frankreich. Eine eigene Behörde – „ Haute Autorite pour la diffusion des oeuvres et la protection des droits sur l’Internet“, kurz: „Hadopi“ – will seit 2009 mittels der sogenannten Three-strikes-Regel hart durchgreifen. Wer drei Verwarnungen wegen illegaler Download- oder Tauchbörsenaktivitäten erhält, dem wird gleich für mindestens zwei Monate der Internetanschluss abgeklemmt. Eine Regel, die der Musikindustrie auch hierzulande durchaus sympathisch ist, allerdings kaum Aussicht auf Umsetzung hat.

Kultur ist in Frankreich ein hohes Gut, auch – es wäre sicher nicht verfehlt, zu sagen: vor allem – in wirtschaftlicher Hinsicht. Entsprechend systematisch wird der staatliche Hebel angesetzt, wenn Probleme oder eventuelle Vorteile vermutet werden, selbstverständlich auch in Sachen Musikwirtschaft. Seit 1994 gilt beispielsweise die auch hierzulande immer wieder gern als Argument für sinnvollen Staatseingriff angeführte Quotenregelung für den Rundfunk. Die schreibt Radiosendern tagsüber einen gewissen Anteil an französischer Musik und an – was der eigentlich spannendere, allerdings meist weniger diskutierte Teil ist – Newcomern mit noch vergleichsweise wenig Verkäufen vor. Die jeweiligen Anteile werden individuell nach Art und Zielgruppe des Senders gegeneinander aufgewogen. Die Regelung gilt – aus innerfranzösischer Sicht – als Erfolg, die Verkäufe an französischen Produktionen sollen sich in den Folgejahren verdoppelt haben, Labels konnten angesichts gestiegener Chancen für Airplay mehr Eigenproduktionen anschieben. Ob sich allerdings – wie ebenfalls oft behauptet – der tatsächlich wahrnehmbare internationale Erfolg französischer Künstler auch auf diese Radioquote zurückführen lässt, steht auf einem anderen Blatt. Zu komplex scheinen die Mechanismen des internationalen Trendsettings, die prompt French House oder Le Pop zum Liebling erkoren, Bands wie Phoenix oder Daft Punk zu Weltstars machten.

Geholfen hat insgesamt besehen auf jeden Fall ein zweites konsequentes Modell: die Exportförderung. Jeder ernstzunehmende Festivalveranstalter in Deutschland kennt die regen Aktivitäten des „Bureau Export“, das nicht nur als Quasi-Zentralagentur einen exzellenten Katalog französischer Musiker aller denkbarer Genre promotet, sondern auch handfeste Zuschüsse gewährt, um eben diese Künstler im Ausland bekannt zu machen. Etliche Deutschlanddebüts französischer Musiker sind ausschließlich der Tatsache zu verdanken, dass zum Beispiel Reisekosten anstandslos übernommen wurden. Ähnliche Konzepte verfolgen heute viele europäische Länder, neben der Schweiz oder Niederlande vor allem die skandinavischen Popmusik-Senkrechtstarter der letzten zehn Jahre. Das letzte deutsche Pendant, „German Sounds“, verschwand dagegen kurz nach der Gründung vor ein paar Jahren gleich wieder sang- und klanglos in der Versenkung, bis heute weiß kein Mensch, was das Wirtschafts-Staats-Joint-Venture eigentlich wirklich getrieben hat.

Zurück zur Carte: Es ist ein – wie es so schön heißt – immerhin interessantes Modell, das mal weggeht vom reinen Gestus des immer Draufschlagens auf den Konsumenten. Und es ist – das sollte man generell natürlich allzeit als positiv verbuchen – eine Art zusätzliche staatliche Kulturförderung. Eine, die vielleicht sogar tatsächlich nach echtem Nutzer-Bedarf verteilt wird, denn der Ansatz am Vertriebspunkt, der zumindestens potenziell auch Independent-Künstlern Nutzen bringen könnte, ist durchaus nachdenkenswert. Eine Musikindustrie retten kann das alles natürlich nicht. Warum auch?

Jörg Augsburg