(Anmerkung der Redaktion: Die Verwendung des PR-Bildmaterials wurde uns vom Rechteinhaber untersagt.)

So gehts doch auch: der „Help Music Award“ kommt ohne Geschmack oder gar Sachverstand aus.

Morgens, halb zehn in der Event-Agentur: „Sag mal, Julia, das mit deiner Mädchen-Casting-Band – Wie hieß die nochmal? High Heelz? – das war doch ein totaler Flop. Katastrophales Investment, scheiß Presse! Wir brauchen was Neues, irgendwas, was wirklich Punkte bringt. Und bitte nicht wieder russische Blondinen!“ „Dann machen wir halt mal was mit Charity, hab ich neulich bei Brüno gesehen, das soll immer funktionieren. Am Besten was mit Behinderten!“

So ungefähr stellt man sich böswilligerweise die Gründungsversammlung des Help Music e. V. vor, der an diesem Wochenende das „Help Music Festival“ veranstaltet, ein Event mit doch beachtlichem Umfang. 150 Acts sind an drei Tagen angekündigt, eine Art Über-„The Dome“ mit querbunter Mischung von der Casting-Resterampe bis zum halbwegs crediblen Musiker, allerdings ohne ästhetische Berührungsängste. Und die Preisverleihung, „die erste Auszeichnung für soziales Engagement in der Musik“, wie das „Help Music-Veranstaltungskomitee“ (nennt sich wirklich so) stolz ankündigt. Die Sause steigt natürlich in Tempelhof, denn wer derzeit in Berlin irgendjemand sein will, muss in Tempelhof veranstalten. „Musik baut Brücken“ heißt dann auch prompt das Motto der Verleihung. Für Spätmerker: Luftbrücke-Hilfe-Charity-Musikfestival! Zyniker klopfen sich jetzt schnell noch auf die Schenkel, stumpf ist Trumpf, klar.

Na, wie wär’s?


Vergeben werden also Preise an Musiker, die sich „durch Unterstützung vieler toller Projekte hervorgetan“ haben. Adel Tawil, der Sänger von Ich & Ich – so erfährt man erstaunt – versteigerte ein selbstbemaltes Osterei zu Gunsten der Berliner Arche. Die No Angels haben mal für die Bundeswehr im Kosovo gesungen. Die Ostrocker Silly gaben 2005 ein Benefizkonzert. Cascada war mal irgendwie beim „Red Nose Day“ dabei. Lexy & Kay Paul 2002 bei einem Benefiz-Event zur AIDS-Prävention. Sido trat letztens bei der „Kurt Krömer Benefiz Gala“ für Neukölln auf. Deichkind haben an einer – leider nicht näher spezifizierten – Antifa-Demo teilgenommen. Die H-Blockx waren schon 1995 gegen Chiracs Atombombenversuche. Livingston spielten bei der „2. Magdeburger Rocknacht“, es ging gegen Kinderlähmung. Tim Toupet und Anna Maria Zimmermann schließlich – wer sie nicht kennt, sollte froh sein und besser nicht nachschauen – unterschrieben das Aprés Ski Ei (!) für eine Kinderhilfsinitiative. Und mit PETA haben sie scheinbar schon alle mal irgendwas gemacht. Aber das gehört ja heutzutage eh zum guten Ton in der Branche. Denn wer von PETA noch nicht gefragt wurde, hats wirklich noch nicht geschafft.

Sicher, es gibt auch eine ganze Menge Künstler im Reigen der Nominees, die tatsächlich im besten Sinn engagiert sind. Gerade die ebenfalls stark vertretene Reggae-Fraktion ist immer wieder bei Projekten präsent, die man beim schlechtesten Willen nicht bemäkeln kann. Der schlechte Nachgeschmack indes bleibt. Und man weiß eigentlich nicht so recht, ob man lachen oder weinen soll, wenn man unübersehbar aufs Brot geschmiert bekommt, dass die Awards in der – hier wäre jetzt ein Tusch fällig – Behindertenwerkstatt handgegossen wurden. Besagte Julia – Julia Peter, 24, Ex-Managerin der Ex-High Heelz, blond, adrett und damit ziemlich genau so, wie man sich junge Business-Frauen in nicht ganz so hippen Event-Agenturen heutzutage halt so vorstellt – guckt im zugehörigen Video betroffen-interessiert und nickt an den richtigen Stellen verständnisvoll. Immerhin die BZ findet das rührend, wenn „Menschen wie Gabi H. (54), die im Rollstuhl sitzt und den Sockel für die Preise schnitzt“ Sachen sagen wie: „Ich gebe mir viel Mühe, denn unsere Trophäen sind ja für unsere Idole.“

Die „hochkarätige“ Jury übrigens – man weiß es eigentlich schon vor dem Nachschauen – verzichtet lieber auf so unglamouröse Dinge wie karitative Sachkenntnis. Kein einziger Vertreter irgendeiner auch nur halbwegs anerkannten Sozialinstitution ist Mitglied. Reicht ja, wenn Boulevard-Knallchargen wie Anja Lukaseder (war mal Jurymitglied bei DSDS), Ralph Siegel (ja, der von den Grand Prixs von früher), Jürgen Wiebseck (Geschäftsführer des unerträglich enervierenden Rave-Radios Sunshine Live) oder der bekannte Berliner Samariter und Aggro-Gründer Specter dabei sind. In sechs musikalischen Kategorien wird verliehen, eine Spende für ein Hilfsprojekt des Gewinners ist versprochen. Vom Erlös des Festival, was voraussetzt, dass es einen gibt, man darf gespannt sein. Zumindest die Sponsorenliste ist lang, außerdem gibts für alle Festivalgäste den neuen Powerriegel gratis, den angeblich Michael Schumacher, zumindest aber dessen Werbeauftraggeber, also der Hersteller, vor Ort „vorstellt“.

Auch sehr nett: Socaqueen.

Noch was? Ach ja, die „Charity“: Die widmet sich in diesem Jahr einer Demenzkranken-WG. Und wenn wir einen Wunsch im Leben frei haben, dann vielleicht diesen: Lieber Gott, bitte liefere uns im potenziell dementen Alter nicht einer jungen, adretten, immer lächelnden, betroffen guckenden Blondine aus, die vor der Kamera immer an den richtigen Stellen verständnisvoll nickt! Das Festivalticket kostet übrigens 27 Euro und geschmacklich verantwortungsvolle Eltern sollten ihren klammen Teenager-Nachwuchs vielleicht vor das moralische Dilemma stellen, ihnen entweder den Eintritt zu spendieren oder gleich das Doppelte auf ein akzeptables Spendenkonto der freien Wahl zu überweisen. Das wäre eine gute Tat.

Augsburg