Im Zuge seines neuen Albums “Broken Record” spricht Lloyd Cole über die Irrungen und Wirrungen seiner Karriere, private Interessenskonflikte und ein Leben mit der Musik, das alles andere als ein Zuckerschlecken ist.

Vor gut 25 Jahren war Lloyd Cole in seiner englischen Heimat für einen Sommer lang das Nonplusultra der Independentszene. Als er 1984 mit der Backingband The Commotions sein Debüt “Rattlesnakes” veröffentlichte, erschütterte das Mutterland der Popmusik ein ähnlich starker Hype wie New York zu Beginn des letzten Jahrzehnts im Zuge der Strokes: Plötzlich definierte ein schlaksiger, irre talentierter Sänger, was unter dem Begriff Alternative zu verstehen ist und erreichte über Nacht Heldenstatus.

Die Konzerthallen platzten aus allen Nähten, die Labelbosse witterten das große Geld und Lloyd Cole dachte wohl auch für einen Moment, dass seine Karriere von nun an nur noch ein Ziel kennt: Ganz Oben. Wer die Geschichte indes verfolgt hat, für den erscheint der Sommer 1984 immer noch als etwas Surreales – weil der damals störrische Songwriter bald am eigenen Anspruch scheiterte und mit den beiden Nachfolgerwerken keine weiteren Erfolge verbuchen konnte.

Die Wege von Lloyd Cole und The Commotions trennten sich wenig später und Anfang der Neunziger startete er eine Solokarriere, die zwar musikalisch locker an den viel zitierten Erstling anknüpfte, aber kommerziell zusehends im Niemandsland versackte. Plötzlich waren es nicht mehr allein die Lyrics im Schaffen Coles, die eine ordentliche Portion Düsternis transportierten – auch sonst machte er Schluss mit wildem Rock und den dazu stets großspurigen Streicherarrangements. Singer/Songwriter und Akustikpop standen vielmehr im Mittelpunkt seiner insgesamt zehn Soloalben.

Zuletzt musste er neue Vertriebswege finden und bot seinen Fans die Deluxe Edition seines neuen Albums “Broken Record” bereits während der Aufnahmen zum Kauf an – was ihm einerseits Freiheiten garantierte, aber auch jede Menge Druck spüren ließ. Bezahlt ist schließlich bezahlt und wer will schon lange auf das eben erstandene Produkt warten? Wie Lloyd Cole mit der Situation umging, weswegen die Songs beschwingt und düster zugleich geworden sind und was das alles mit Golf zu tun hat, erklärt er im motor.de-Interview.

Lloyd Cole – She’s A Girl And I’m A Man

motor.de: Aktuell suchen eine Reihe von Künstlern nach neuen Wegen, veröffentlichen ihre Songs im Netz oder verkaufen Platten ausschließlich auf Tour – wie bist du auf die Idee gekommen, Fans für ein Album zahlen zu lassen, dass es noch gar nicht gab?

Lloyd Cole: Ganz so ist es nicht gewesen. Als ich auf meiner Website den Leuten anbot, sie könnten für 45 Dollar die limitierte Deluxe-Version von “Broken Record” erhalten, waren die Demos bereits fertig. Ich hatte die Aktion mit meinem Label besprochen und gut geplant – war aber trotzdem erstaunt, wie viele Menschen bereit sind bei solch einer Aktion mitzumachen.

motor.de: Über 1.000 Fans zahlten den Preis und ich kann mir vorstellen, dass niemand von ihnen besonders lange warten wollte – war der Druck für dich spürbar?

Lloyd Cole: Die Deadline als solche hat mich wenig interessiert und doch hatte ich manchmal Muffensausen, denn einerseits will man alles perfekt machen und anderseits soll nicht der Eindruck entstehen, ich beute irgendjemanden für übermäßig lange Studiosessions aus.

motor.de: Die Kritik feiert “Broken Record” bereits als “return to from” (Mojo) und wundert sich, weswegen die Songs musikalisch beschwingt, textlich aber eher düster geworden sind.

Lloyd Cole: Was soll ich sagen, mir fällt es leichter melancholische Songs zu schreiben als den vergnügten Clown zu spielen. Allerdings sollte das niemand arg persönlich nehmen: Emotional habe ich keine Beschwerden, doch als Songwriter bist du immer auch ein stückweit Geschichtenerzähler und ich kann mich da eher der Melancholie zuwenden als anderen Emotionen.

motor.de: Hast du das Gefühl, dass die neuen Sachen eine Brücke zu deinen früheren Alben schlagen?

Lloyd Cole: Ich höre meine eigenen Platten privat gar nicht, warum auch?! (überlegt) Die Frage lässt sich also schwer beantworten, aber vielleicht gibt es Parallelen – ganz versteckt. Das müssen andere entscheiden, ich bin da der falsche Ansprechpartner.

motor.de: Im Netz heißt es, du bist passionierter Golfer und belegst mit deinem Handicap aktuell Platz 11 der Liste der Golf-spielenden Musiker – stimmt das?

Lloyd Cole: Golf hat eine sehr beruhigende Wirkung auf mich: Man ist im Freien, alles um einen herum ist grün und der Sport lässt sich auch mit knapp 50 Jahren noch problemlos ausüben. Fußball spielen ist da schwieriger, würde ich sagen. (lacht)

motor.de: Denkst du während deiner Runden über Musik nach? Holst du manchmal den Notizblock raus und schreibst dir bestimmte Sachen auf?

Lloyd Cole: Da muss ich überlegen. (lange Pause) Es gibt nicht viele Situationen in denen mir auf dem Green tolle Ideen kommen was mein Songwriting angeht. Es ist eher ein Ausgleich für mich, weil der Sport so gar nichts mit Musik zu tun hat, obwohl ein gewisses Taktieren bei beiden vorkommt.

motor.de: Insgesamt wirkst du viel ausgeglichener als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Ist Lloyd Cole endlich angekommen?

Lloyd Cole: Die Selbstzweifel, die früher meine Arbeit bestimmten, sind in den Hintergrund gerutscht. Selbst wenn, wie viele behaupten, “Broken Record” eines meiner düstersten Alben sein soll, sehe ich darin viele glückliche Momente darin. Manchmal kann die Melancholie eine heilende Wirkung haben und mir persönlich hat sie nie geschadet.

Text + Interview: Marcus Willfroth

VÖ: 17.09.10

Label: Tapete Records

Tracklist:
1. Like A Broken Record
2. Writers Retreat!
3. The Flipside
4. Why In The World?
5. Westchester County Jail
6. If I Were A Song
7. That’s Alright
8. O Genevieve
9. Man Overboard
10. Rhinestones
11. Double Happiness

Lloyd Cole auf Tour:
06.11.10 Hamburg – Kampnagel
07.11.10 Köln – Live Music Hall
09.11.10 München – Freiheit
11.11.10 Reutlingen – Franz K
12.11.10 Frankfurt/Main – Brotfabrik
13.11.10 Bremen – Moments
14.11.10 Berlin – Astra Kulturhaus