Die Klaxons machen mit ihrem neuen Album “Surfing The Void” reinen Tisch und erklären im Interview, warum der so genannte New Rave für sie Schnee von gestern ist, Popmusik mehr als nur eine Kunstform darstellt und was das alles mit Lady Gaga zu tun hat.
Vor vier Jahren stand die englische Presse Kopf und doch verstanden es die vielen Schlagzeilen rund um diese mysteriöse Band kaum den Hype treffend zu umschreiben. So avancierten Sänger Jamie Reynolds, Gitarrist Simon Taylor-Davis, Keyborader James Righton und Teilzeitmitglied, Drummer Steffan Halperin, zu Pophelden eines völlig neuen Genres. Ihre gemeinsame Band Klaxons schaffte über Nacht den Durchbruch, operierte bald unter dem Begriff New Rave und verpasste dem extra für sie erfundenen Genre mit “Myths Of The Near Future” ein kraftvolle Debüt: Elektronik traf auf Pop und Weirdness auf Bauernschläue.
Was keinesfalls abwertend gemeint ist, denn im Gegensatz zu vielen anderen Bands dieser kuriosen Stilrichtung (man erinnere sich nur an Shitdisco) haben die Klaxons musikalisch eine Menge zu bieten und wurden nur zweitrangig als modische Trendsetter berühmt. Im Prinzip waren es einzig ihre einheitlich in Neonfarben gekleideten Fans, die der Band einen Ruf als Paradiesvögel verpassten und vielleicht haben die Klaxons auch deswegen die Notbremse gezogen – weil ihnen das ganze Hype-Brimborium ein Stück zu weit ging.
So präsentieren sie sich nun als geläuterte Musiker ohne genaue Vorgaben: “Surfing The Void” lässt vom New Rave wenig übrig und ähnlich wie das neue MGMT-Album, ist auch das zweite Klaxons-Werk eine schwere Geburt aus psychedelischen Tunes und avantgardistischen Pop-Strukturen. Wie es dazu kam, warum die Platte zwei Produzenten brauchte, bis Ross Robinson (Slipknot, Sepultura, At The Drive In) die Songs zurechtbog und was das alles mit Lady Gaga zu tun hat, erklären die Jungs aber am besten selbst.
motor.de: Zwei der wichtigsten Fragen zu Beginn: Warum hat das Album so lange gedauert und stimmt es, dass gleich zwei Produzenten hingeschmissen haben?
Simon Taylor-Davis: Bevor ich dir deine Fragen beantworte, musst du mir eine beantworten. Okay?
motor.de: Nur zu!
Simon Taylor-Davis: (konzentriert sich) Angenommen du wärst in einer Bar und dort steht plötzlich Lady Gaga neben dir an der Theke. Wahrscheinlich hättest du wie knapp 95 Prozent aller Männer Angst sie anzusprechen und deswegen kommt sie auf dich zu: “Hast du Bock mit mir zu schlafen, hier und jetzt?” – Was würdest du tun?
motor.de: Keine Ahnung, die Situation ist ziemlich surreal.
Simon Taylor-Davis: Genau darum geht es auf “Surfing The Void”: Um eine Ebene, die so weit entfernt ist, das sie etwas komplett Neues, Surreales darstellt. Diese Herangehensweise zu verstehen, erfordert viel Abstraktionsgabe und das haben einige Menschen leider nicht gehabt.
motor.de: Sind die Produzenten an der Gaga-Frage gescheitert?
James Righton: (verwundert) Nein, warum? Die Schichtwechsel bei der Produktion waren geplant und von beiden Seiten gewollt. Gerade weil “Surfing The Void” viele verschiedene Stilrichtungen enthält, war es uns wichtig, dass die Einflüsse von mehreren Seiten kommen. Nicht eine Person allein sollte sich daran versuchen.
motor.de: Warum ist der “New Rave” fast verschwunden? Keine Lust mehr auf neonfarbene Stirnbänder?
Jamie Reynolds: (leicht verärgert) Pass auf, was du sagst!
Klaxons – “Echoes”
motor.de: Es verwundert eben nur, dass “Surfing The Void” so gar nicht an “Myths Of The Near Future” anknüpfen will.
Jamie Reynolds: Wäre auch langweilig, wenn ich dir heute einen Witz erzähle und morgen den gleichen noch einmal, oder? New Rave, wie viele unseren Sound nannten, war eine kurzlebige Sache und allen war klar, dass niemand ein zweites Album in diesem Stil von uns braucht. Die neuen Songs wurden vom Folk, der Psychedelic der Siebziger und dem Pop der späten Sechziger beeinflusst.
motor.de: Als Inspiration für das letzte Album habt ihr “Drogen und Partymachen” genannt – hört sich an, als sei das nun komplett vorbei.
Simon Taylor-Davis: Beim Feiern haben wir nicht zurückgesteckt. Aber dieses Element ist nicht mehr allein für unseren Sound verantwortlich. Ausgehen und mit Freunden Spaß haben, mag die ideale Gelegenheit sein, den eigenen Kopf frei zubekommen – musikalisch reizt sie uns aktuell wenig.
motor.de: Einmal sollt ihr in Berlin nach einem Clubbesuch literweise Bier aus dem Taxi gekippt haben – stimmt das?
Jamie Reynolds: (denkt nach) Dieses Gerücht hat eine deutsche Kunststudentin in die Welt gesetzt und da ist nichts dran – wenn die Party vorbei ist, sind wir viel zu erschöpft, um solchen Blödsinn zu machen. Was würde es auch bringen? Lieber trinke ich das Zeug als es auf die Straße zu schütten.
motor.de: Hat euch der Erfolg der letzten Jahre reifen lassen?
- Simon Taylor-Davis: (dreht sich zur Band) Was meint ihr dazu?
Jamie Reynolds: Eher nicht. Obwohl sich ein gewisser Schutzmechanismus engestellt hat, denn heutzutage wird viel Wert auf das Image einer Band gelegt und wir wollen nicht als Typen in die Geschichte eingehen, die einzig nachtaktiv waren.
Simon Taylor-Davis: Insofern unterscheiden wir uns von Lady Gaga, die bewusst mit solchen Klischees spielt und gerne eine Person der Öffentlichkeit ist.
James Righton: …und ich wette, jeder würde mit ihr ins Bett gehen, wenn sich die Möglichkeit ergibt.
motor.de: Was macht dich da so sicher?
James Righton: Sie ist die Reinkarnation des letzten großen Popstars und das mögen die Leute an ihr. Wir sind dagegen nur ein paar irre Englänger, die Musik machen wollen und hoffen, dass alle eine gute Zeit damit haben. Mehr Erklärung bedarf es nicht.
Marcus Willfroth
Tourdaten:
26.11.10 Berlin – Astra
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