YES, VIRGINIA…

Als die damals 8-jährige Virginia O’Hanlon im Jahre 1897 einen Brief and die New York Sun schrieb und fragte, ob es den Weihnachtsmann tatsächlich gibt, ahnte sie nicht, dass sie eines Tages als Inspiration für den Albumtitel des neuesten musikalischen Glanzstücks der Bostoner Punk-Kabarett Band The Dresden Dolls dienen würde.

Im Jahr 2000, nach einem Treffen auf einer Halloween Party, gründeten Amanda Palmer (Vocals, Piano) und Brian Viglione (Drums, Vocals Gitarre) ein außergewöhnliches Duo, welches es in kürzester Zeit schaffte, durch eine unkonventionelle und kunstvolle Darbietung seiner Musik, eine Mischung aus Punk und Weimarer Kabarett, die Massen für sich zu begeistern.

Die Dresden Dolls lassen sich nicht in eine Schublade stecken. Man muss sie hören und sehen, um sie zu verstehen. Nicht zuletzt durch ihren Wechsel zu Roadrunner Records Anfang 2004 haben sie es innerhalb der letzten Jahre geschafft, gekonnt den Übergang von Kabarett/Avantgarde in den Mainstream zu einem größeren Publikum zu finden. So spielte die Band u.a. zusammen mit Nine Inch Nails und absolvierte eine ausverkaufte Headliner Tour, die sie durch die ganze Welt führte. Auf dieser Tour präsentierten The Dresden Dolls ihr erfolgreiches, gleichnamiges Debütalbum, von dem Songs wie “Coin-Operated Boy” und “Girl Anachronism” stammen, welches vom Anzugträger bis zum Rocker unterschiedlichste Zielgruppen zu begeistern wusste.
“Wir waren ein bisschen unsicher, wie uns wohl die Welt da draußen aufnehmen würde, aber die Bedeutung unserer Musik ist eigentlich nicht schwer zu erfassen. Wir singen über universelle Themen, mit denen sich die meisten Menschen identifizieren können – Liebe, Schmerz, Angst, Kindheit…” berichtet Palmer.

Außerdem veröffentlichte die Band eine DVD „Paradise“, die im Sommer 2005 in einem neubarocken Bostoner Theater aufgenommen wurde. Ein Highlight ist das Cover des Black Sabbath-Klassikers “War Pigs”. Zusätzlich ist für Schmankerl wie einen Livemitschnitt von “Coin-Operated Boy” vom Roskilde-Festival sowie ein Musikvideo des Songs zu finden.

Nun warten die beiden Konzeptkünstler mit einem neuen Meisterstück auf, um wiederholt das Publikum in ihren magischen Bann zu ziehen. Produziert von Sean Slade und Paul Q. Kolderie (Radiohead, The Pixies, Hole) und über mehrere Wochen in den Allaire Studios (eine umgebaute Villa in den Catskills Mountains von Upstate New York) aufgenommen, verbirgt sich hinter Dresden Dolls’ neuestem Schauspiel „Yes, Virginia“, ein reichhaltiges Kunstwerk. Dieses besteht aus wundervoller musikalischer Chemie zwischen den beiden Bandmitgliedern und dringt tief in die Nischen des menschlichen Herzens, die wir sonst für Tabu halten, ein.
Lieder wie „Sex Changes“ und „Dirty Business“ beeindrucken den Hörer mit ohrenbetäubender Marshall Stack Gewalt und erkunden die Pathologie der Identitätskrise. Bei „First Orgasm“ und „Me & The Minibar“ finden wir Palmer hinter ihrem Piano wieder, die auf eine feine und zerbrechliche Art schmerzhafte Geständnisse ablegt. Viglione bestätigt mit „Modern Moonlight“ und „Necessary Evil“ seine außergewöhnlichen Fähigkeiten als Drummer, indem er den Hörer mit unfassbaren Fills und aggressiven Klängen fesselt.

Bei „Mrs. O“, einer Ballade die sich mit dem Thema des Holocaust auseinandersetzt, kreiert Palmer den gefährlichen Charakter einer alten Frau, die den Holocaust verleumdet. Mit den Worten “There’s No Hitler and No Holocaust/No Winter and No Santa Claus/And Yes, Virginia, All Because/The Truth Won’t Save You Now…” nimmt Sie Bezug auf den Brief der kleinen Virginia O’Hanlon an die Sun und natürlich den Albumtitel. Palmer’s zweideutige Versuche, auf die unerklärlichen Fragen des Lebens zu antworten mögen düster klingen, doch darunter liegen zaghafter Optimismus und kindliches Staunen.

Das Duo hat jedoch nicht seinen Sinn für das Absurde verloren. Der schwärzer-als-schwarze Humor wird in dem Stück „Mandy Goes To Med School“ widergespiegelt, in dem illegale Abtreibung verniedlicht wird. Der finale Track des Albums und gleichzeitig die erste Single-Auskopplung „Sing“ klingt positiv und hat seelsorgerische Züge, denn Palmer gibt ausdrucksvoll bekannt „Life is no Cabaret/We’re inviting you anyway“. Dieser Song untermalt den Versuch der Dolls, im realen Leben jeden zu ihrer Party einzuladen, wobei sie trotzdem jene Individualität bewahren, die sie so berühmt gemacht hat.

Wir dürfen jedenfalls gespannt sein, in welche Welten uns die Dresden Dolls erneut entführen. Sicher ist aber, dass sie auch dieses Mal die Puppen tanzen lassen werden!

roadrunner