In der Musik von The Acorn spürt man die Weiten Kanadas. Mit “No Ghost” erweitert die Band ihre Albengeschichte um naturwüchsigen Folk. Ein Gespräch über Geister, die eigenen Horizonte und überflüssige Bands.

Die Geschichte von The Acorn beginnt bei Rolf Klausener in Kanada. Wie – der soll Kanadier sein mit dem Namen? Nicht nur das! Als Sohn einer Honduranerin und eines Schweizers, der zeitweise sogar Deutsch in Konstanz studierte, darf sich der Sänger und Gitarrist zu Recht als Kosmopolit bezeichnen. Dies spiegelt sich in der musikalischen Bandbreite seiner Band “The Acorn” wider. Das erste Album produzierte Klausener noch allein im Schlafzimmer. Der Nachfolger “Glory Hope Mountain” erzählt das turbulente Leben seiner Mutter und erntete Unmengen positiver Kritiken. Unlängst veröffentlichten die Kanadier nun ihr drittes Album. “No Ghost” tendiert in Richtung Folkrock und lässt an vielen Stellen die räumliche Weite und Naturverbundenheit ihrer nordamerikanischen Heimat deutlich werden. motor.de traf Sänger Rolf und Gitarrist Jeff zum Interview.

motor.de: Welche “Geister” beeinflussten euer neues Album “No Ghost”?

Rolf: Das allererste Album von The Acorn, “The Pink Ghosts”, habe ich 2004 ganz allein gemacht. Das aktuelle haben wir als Band eingespielt. Es war ein bisschen als würden wir ein Stück Vergangenheit zurücklassen und daran arbeiten, wer wir jetzt sind.

motor.de: Stimmt es, dass du vorher elektronische Musik gemacht hast?

Rolf: Ja, und es gibt sogar einen deutschen Song auf dem ersten Album. Er heißt “Erster Tag”. Das Album wurde aber kaum bemerkt in Kanada, wir veröffentlichten nur 400 CDs, mittlerweile haben wir mit Downloads schon 4000 Stück verkauft.
Jeff: Wir konnten die elektronischen Sachen aber nicht live spielen, weil uns das Equipment dafür fehlte. Wir hatten eben Gitarren und so. Ich denke, die Entwicklung von The Acorn weg davon war auch dadurch bedingt.

motor.de: Gibt es eine Verbindung zwischen euren Alben “The Pink Ghosts” und “No Ghost”, so wie es die Titel nahe legen?

Rolf: Ganz ursprünglich hatte ich darüber nachgedacht, eine Reihe Songs zu schreiben basierend auf wichtigen persönlichen Beziehungen in meinem Leben. Es gab also eigentlich keine Verbindung. Als wir dann an dem Album gearbeitet haben, geschahen immer wieder kleine Zufälle, die diesem Titel einen Sinn gaben. Howie, unsere alter Gitarrist, machte eine Kunst-Ausstellung über alte japanische Gruselgeschichten und Mythen, “Horror Fables”. Es waren wunderschöne Malereien von Geistern, eine haben wir auch als Cover verwendet.
Jeff: Aufgenommen haben wir das Album in einem einsamen Cottage im Wald. Da hört man schon mal Geräusche und denkt, dass in der Welt um einen herum doch mehr ist. Der Titel passte also irgendwie.

motor.de: Kanada ist ein weites Land. Spiegelt sich das in eurer Musik wieder?

Jeff: Interessante Frage. Es gab mal eine Radiosendung über Einsamkeit und wie man mit den ganzen weiten Flächen umgeht, vor allem im Winter, wenn man nur noch weiß sieht. Das scheint ein Teil der “Canadian Experience” zu sein.
Rolf: Für uns ist das schon ziemlich selbstverständlich. Als wir vor einigen Tagen in Amsterdam waren, fiel mir auf, wie eng alles ist. Drei Familien leben übereinander, man hat eigentlich gar keinen Platz und nebenan fängt schon wieder das nächste Haus an. Ich denke, Platz ist etwas, das Nordamerikaner generell für selbstverständlich halten, jedenfalls in mittelgroßen Städten.
Jeff: Ich bin auf dem Land außerhalb von Ottawa aufgewachsen. Mein Garten war ein riesiges Feld. Wenn ich wollte, konnte ich in einem Maisfeld spielen. Das ist etwas ganz anderes verglichen mit meinem Sohn, der in einer Stadt wie Toronto aufwächst. Was meinst du, wie uns das prägt?
Rolf: Ich weiß es wirklich nicht, aber ich stelle mir diese Frage auch oft, besonders in Bezug auf Musik. Ein gewisser Einfluss existiert sicher, beispielsweise hat Musik aus New York so eine Intensität, während die Musik von der nordamerikanischen Westküste eine eher entspannte Qualität hat. Ottawa zum Beispiel ist eine Regierungsstadt, alles ist sehr sauber und formell. Viele Menschen arbeiten klassisch von neun bis fünf und verdienen viel Geld. Gleichzeitig gibt es eine große Garage Punk-Szene. Ich denke schon, dass das auch eine Reaktion darauf ist, wie gepflegt und ordentlich alles ist.

motor.de: Apropos gepflegt und ordentlich: Was war der freakigste Club, in dem ihr je gespielt habt?

Rolf: Schwierig… es gab mehr freakige Häuser, in denen wir geschlafen haben (lacht).
Jeff: In Montreal gibt es einen Club, der Zoo Bizarre heißt. Man munkelt, es wäre vorher ein Sexclub gewesen. Es ist ein Gewölbe aus Stein und wirkt sehr gruftig. Es sieht aus, als könnte man jemanden anketten und die ganze Nacht lang auspeitschen…
Rolf: In Coventry haben wir mal in einem alten Kohlelagerhaus gespielt und in der Nähe von Halifax haben wir in einem alten Schießpulver-Depot ein Video gedreht. Das war freaky, weil es wirklich stockduster war da drin. Ganz generell gibt es aber viele eigenwillige Clubs in Kanada. Gerade in den kleinen Städten, die wirtschaftlich nicht so stark sind, versuchen die Menschen das Beste zu machen aus dem, was sie haben.

motor.de: Welche Band oder welchen Künstler würdet ihr aus der Musikgeschichte streichen?

Rolf: Die katholische Kirche.
Jeff: Oh Mann, ich habe Angst, wenn ich jemanden aussuche, verschwindet er aus der Geschichte. Da will ich lieber die richtige Wahl treffen…
Rolf: Es müsste schon jemand sein, auf den man wirklich verzichten kann. Ich bin immer wieder überwältigt, wenn ich feststelle, dass es Musikrichtungen gibt, an denen ich absolut gar nicht interessiert bin, dafür aber Tausende andere Menschen gibt, z.B. Country Music.
Jeff: Jetzt weiß ich’s: Bad Religion. Die spielen heute nebenan und sie haben dafür gesorgt, dass niemand in diesem Club das Internetpasswort weiß. Sie wollen nicht, dass wir die Verbindung verlangsamen (lacht).
Rolf: Ja, absolut. Bad Religion.
Jeff: Also musikalisch möchte ich nicht, dass sie nicht existieren. Nur für heute Abend.

motor.de: Was ist euch lieber: Eine gute Kritik oder ein gut geschriebener Verriss?

Jeff: Das, was gut geschrieben ist. Ich lese ungern Kritiken, aber wenn ich verstehe, warum der Autor seiner Meinung ist, ist es einfacher. Wobei, mir könnte auch besser gefallen, was witzig geschrieben ist.
Rolf: Eine Zeit lang habe ich jede Kritik, die wir bekommen haben, gelesen. Dann hatte ich wieder gar kein Interesse daran und wollte überhaupt nicht wissen, wie die Leute über uns denken. Ich glaube, vielen Künstlern geht es so. Wenn man sich selbst mit seinem Werk identifiziert und stolz darauf ist; wenn man etwas wirklich gerne an einer Person oder einem Song mag und das wird kritisiert, dann trifft es dich sehr hart.
Jeff: Geschmäcker sind nun mal verschieden. In gewisser Weise ist eine gute Kritik so bedeutungslos wie eine schlechte.

Interview: Claudia Jogschies