Ein Klaps auf den Po und „Stacheldraht im Harnkanal“ sind offensichtlich nicht jugendgefährdend.
Immer für ein Skandälchen gut und nicht nur auf der Bühne ein Hingucker: Rammstein
So richtig gewundert hatte sich eigentlich niemand, als die BPjM – „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ – im November letzten Jahres Rammsteins Album „Liebe ist für alle da“ auf den berühmten „Index“ setzte. Die offizielle Einstufung als „jugendgefährdend“ war da irgendwann halt mal fällig, konnte man sich achselzuckend sagen, schließlich lebt der Erfolg der Berliner Martialrocker zu einem nicht unwesentlichen Teil von den fast schon berechenbaren, weil kalkulierten Tabubrüchen in jeder einzelnen Etappe der gut fünfzehnjährigen Bandgeschichte.
Zuviel des Bösen war ausgerechnet „Ich tuh dir weh“, ein Sadomaso-Kracher, dessen durchaus drastische Bildsprache allerdings eher für Heiterkeit als Erschrecken sorgte, zumindest angesichts dessen, was heutzutage der sprachliche Standard in den meisten Jugendzimmern des Landes sein dürfte. „Indizierungsrelevant war in diesem Zusammenhang auch eine Abbildung im Booklet der CD, auf der ein Mann präsentiert wird, der im Begriff ist, eine nackte Frau zu schlagen.“ Auf den nackten Po, wohlgemerkt. Aufregungspotenzial sah da niemand – außer im Familienministerium. Noch unter der Fuchtel der x-fachen Bundesmutter von der Leyen und im Zeichen der, bei jeder Gelegenheit präsenten geistig-moralinsauren Wende schob es das Indizierungsverfahren an. Mit Erfolg. Vorerst.
Entgegen landläufiger Meinung sind auch Bands, die gemeinhin als provokant gelten, keineswegs erpicht auf eine Indizierung. Denn dem gern angeführten Imagegewinn und dem vermuteten daraus resultierenden „Ist verboten, muss ich haben“-Effekt stehen handfeste drastische Einschränkungen bei Verkauf und Werbung entgegen. Das betrifft nicht nur das eigentlich indizierte Werk. Händler neigen in solchen Fällen gern zu einer Generalsicherheit und säubern ihre Regale lieber gleich komplett von allem, wo der betreffende Name draufsteht. Indizierte Werke über gewohnte Kanäle legal zu beziehen, wird überdies auch für Volljährige zu einer mühseligen Sache. Wer möchte denn ein – sagen wir mal – nerv- und zeitraubendes Post-Ident-Verfahren für eine simple CD-Bestellung bei Amazon auf sich nehmen? Nichts anderes als eine Aufforderung zum vergleichsweise unkomplizierten, naturgemäß aber illegalen und profitlosen Download ist eine Indizierung also aus Sicht des betroffenen Labels.
Autsch, das tut doch weh! Aber: “Kein wirklichkeitsnaher Gewaltexzess”
Bei Rammstein liegt der Fall indes ein wenig anders, sind sie doch Superstars mit einem Musikkonzern im Rücken, die kein auf ernsthaftes Geschäft orientierter Händler der westlichen Welt wegen einem bildlichen Klaps auf den Po aus dem Laden verbannt. Obendrein waren zum Zeitpunkt der Indizierung – die sich so gewissermaßen schon selbst als Lachnummer darstellte – schon eine gute viertelmillion Exemplare des beanstandeten Albums verkauft. Nichtsdestotrotz stand zum noch ausstehenden Weihnachtsgeschäft ganz schnell eine alternative Version im Laden. Die punktgenau zur Indizierung startende zugehörige Tour war in Deutschland sowieso praktisch ausverkauft, nichtmal die Setlist wurde umgestellt, man improvisierte zum kritischen Lied einfach über Blümchen und Kuscheltiere statt über „Stacheldraht im Harnkanal“.
Wenig hätte Rammstein oder Universal Music, dem betroffenen Musikkonzern, also egaler sein können. Trotzdem klagte er gegen die Entscheidung der BPjM, was sonst kaum jemand tut, und verpasste ihr damit eine ordentliche Klatsche. „Offensichtlich rechtswidrig“ sei das Verbot, urteilte das Verwaltungsgericht Köln in einer Vorentscheidung zur eigentlichen Sachlage und zwang die BPjM damit letzte Woche zur Streichung des Albums aus der „Liste der jugendgefährdenden Medien“. Ein erhebliches Befremden ob der altvorderen Moralvorstellungen des Zensurgremiums lässt sich auch für Laien leicht aus dem juristischen Fachvokabular des entsprechenden Beschlusses herauslesen, der die Indizierung nach allen Regeln der Kunst auseinandernimmt. „Keine wirklichkeitsnahen Gewaltexzesse“ ist die Einschätzung, für die es sicher nicht unbedingt eines deutschen Gerichts bedurft hätte. Ein kleines Stück Kunstfreiheit ist – zumindest bis zur nächsten Entscheidung – wiedergewonnen. Ein bisschen schmuddelig mutet es zwar an und es geht diesmal ganz bestimmt eher um schnöden Mammon als um hehre Ideale – aber auch das gehört ja bekanntermaßen zur Freiheit. Nicht nur im Musikgeschäft.
Augsburg
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