Ist nett und tut niemandem weh: Das “Fräuleinwunder” Lena Meyer-Landrut ist die für Deutschland nochmal heruntergerechnete Kopie eines Popmodells der freundlichen Beliebigkeit.


Zweifelsfrei absolut nett – aber mehr auch nicht.

Man kommt dieser Tage, nimmt man am multimedialen Massenmedien-Leben teil, kaum umhin, immer und immer wieder “Satellite” zu hören. Der Song hat in all seiner Mittelmäßigkeit in der Tat eine gewisse Ohrwurmpenetranz, nistet sich schnell ein und ist schwer wieder loszuwerden. Was ja im allgemeinen Popverständnis durchaus als entscheidendes Qualitätskriterium gelten kann. Und natürlich ist “Lena” ganz zweifelsfrei eine durchweg sympathische Persönlichkeit, der man alles Gute fürs weitere Leben wünscht. Was man allerdings nicht wünscht, ist ein Sieg beim Grand Prix. Auch, weil der absurd gestrige Nationenwettkampf dann noch für ein paar weitere Jahre mit aller öffentlich-rechtlichen Kraft reanimiert wird, anstatt endlich in der wohlverdienten Bedeutungslosigkeit zu verenden. Vor allem aber, weil sonst alles noch viel viel schlimmer würde mit dem Hype ums neue deutsche Fräuleinwunder.

“Fräuleinwunder” ist ein Begriff aus den Fünfzigern und das Miefige der Epoche schwingt immer ein bisschen mit, zumindest wenn man geneigt ist, die Welt etwas kulturkritischer zu sehen. Vor einigen Jahren hat der Literaturbetrieb eine ganze Reihe junger Autorinnen mit diesem Etikett beklebt, jetzt ist also die Popmusik dran. Die deutsche wohlgemerkt, die der Welt seit Krautrock und Kraftwerk im Wesentlichen nur noch Rammstein und Tokio Hotel bieten konnte. (Und nein, Techno ist keine deutsche Erfindung, auch wenn uns das die Westbams und Väths dieser Welt immer mal wieder einreden wollen.) Originell oder gar original ist – außer der Person an sich – auch bei Lena Meyer-Landrut nichts. Um das festzustellen, reicht es eigentlich schon, sich “Do-Wah-Doo”, die aktuelle Single von Kate Nash, anzuhören. Die ist bekanntermaßen das “Original”, singt zwar so ähnlich, hat aber die eindeutig besseren Songs parat, was schon deshalb klar ist, weil sie von ihr selbst und nicht von Stefan Raab komponiert wurden, der zwar ein schlauer Entertainer sein mag, aber ganz bestimmt kein begnadeter Songschreiber.


Auch nett – aber eine ganz andere Liga. 

Gerade mal drei Jahre währt die Karriere von Kate Nash bis jetzt und doch ist sie die Erfolgsschablone einer Generation von Musikerinnen, die sich derzeit größter Beliebtheit erfreuen dürfen. Junge Frauen sind das, die mehr oder weniger solo wahrgenommen werden, mit durchweg eingängigem Pop, der sich mal folkiger, mal elektronischer präsentiert, dabei fast nie den Boden allgemeingültiger Airplay-Tauglichkeit verlässt und dessen Kratzbürstigkeit gerade mal bis zum herzigst hingehauchten “Fuck you!” einer Lily Allen reicht. Wer heute eine x-beliebige Jugendwelle einschaltet, kann sich geschätzte 50 Prozent des Programms damit beschäftigen, zu raten, ob jetzt nun gerade Nash, Allen, Ellie Goulding, Amy Macdonald oder Florence Welch über den Äther geht. Allesamt Mitte zwanzig sind die, britischstämmig, in prinzipiell geordneten Verhältnissen weitab vom Prekariat groß geworden und zweifelsfrei musikalisch begabt. Als Popmodell sind sie einigermaßen leicht ausrechenbar, liefern von allem ein bisschen, dass dann eben auch für alle schmerzfrei goutierbar ist: ein bisschen gutgelaunt, ein bisschen nachdenklich, ein bisschen authentisch, ein bisschen individuell, ein bisschen Mainstream, ein bisschen frech, ein bisschen sexy, ein bisschen feministisch. (Ein bisschen Frieden, ist man fast geneigt, hinzuzufügen.)

Es ist – objektiv besehen – ein Konzept der erklärten Beliebigkeit, allen zu gefallen und niemandem zu missfallen, was man wiederum den jungen Frauen natürlich kaum vorwerfen kann, dieses Kartell ist ja nicht abgesprochen oder geplant. Es ist halt der Zeitgeist, der im Moment eher nicht dazu neigt, gebrauchte Tampons ins Publikum zu werfen, wie das in Sachen “Grrrlism” ja schon mal gang und gäbe war. Nichtsdestotrotz haben diese Musikerinnen “unserer” Lena nicht nur ungefähr fünf Jahre Lebensalter voraus, sondern eben auch so gut wie alles andere, was wirklich wichtig ist: eigene Songs, eine eigene Handschrift. Die kann kein Casting ersetzen, bei dem man sich mit Coverversionen ins Finale singt. Und dass Lena Meyer-Landrut überhaupt eine Chance auf den Spitzenplatz eingeräumt wird, liegt schlicht und einfach daran, dass es die Briten offensichtlich überhaupt nicht interessiert, wer sie beim Grand Prix vertritt. Deren Kandidat heißt Josh Dubovie (muss man sich nicht merken) und wurde sogar bei den einschlägigen Castingshows “X-Factor” und “Britain’s Got Talent” abgelehnt. Das muss man in dem Business auch erstmal schaffen.

Augsburg