Sag mir einen Satz mit „x“ – der angekündigte Kampf um die deutsche Chartspitze erweist sich als chancenlose Farce

Sicher ein ganz, ganz schlimmer Anblick: Mehrzad Marashi …

Es war ein zumindest ganz netter Coup, den englische Musikfans zu Weihnachten landen konnten. Sie hatten massenhafte, exakt terminierte Download-Käufe von Rage Against The Machines „Killing In The Name“ initiiert und prompt den Sieger der Casting-Show „X-Factor“ von der eigentlich obligatorischen Chartspitze ferngehalten. In dieser Woche ist nun für den deutschen DSDS-Gewinner und seine wie immer von Dieter Bohlen komponierte Debütsingle wie gewohnt eine Nummer eins in den deutschen Single-Charts fällig. So was müsste doch auch in Deutschland zu verhindern sein, dachten sich vorab gleich etliche Leute, riefen zum Protestkauf auf und offenbarten vor allem zwei Dinge: schlechten Geschmack und schlechte Gesellschaft. Geklappt hat es nicht. Zum Glück, ist man geneigt hinzuzufügen.

Die deutschen Singlecharts sind eine recht mysteriöse Institution, was nicht zuletzt daran liegt, das ihre konkrete Ermittlung durch die Firma Media Control ungefähr so transparent ist wie die Papstwahl und außerdem weitab vom eigentlich einleuchtenden Prinzip des “Ein Kauf, eine Stimme” angesiedelt ist. Es gibt unterschiedliche Gewichtungen für Art und Ort des Kaufs und es gibt obendrein für die Plattenfirmen einige Regeln, um einen Song überhaupt für die Charts gültig zu machen. Es gehört schon ein Mindestmaß an punktgenauer Koordination einer kritischen Masse an bewussten Käufern dazu, dieses System von außen per Downloadkäufen zu überrumpeln. Magere 20.000 Facebook-Kontakte reichen offensichtlich nicht. (Die Gruppe in England war bei der Million.)


… wenn auch nicht so schlimm wie das frühe Blümchen …

Dass sich die Massen nicht wirklich begeistern ließen, könnte an der etwas engstirnig angelegten Kampagne liegen. „Ich stehe auf handgemachte Musik – mit Herzblut“, lässt sich einer der Akteure von ringrocker.com, dem Ausgangspunkt der Initiative, zitieren. Das ist ein – besser: das – Forum von Fans des Megafestivals „Rock am Ring“, die nicht eben dafür bekannt sind, an der Spitze des rockmusikalischen Fortschritts zu feiern. Led Zeppelins Uralt-Schmachter „Stairway To Heaven“ ist demzufolge eine wenig überraschende Wahl. Dass der Song ob seiner Kuschelrock-relevanten Abgenudeltheit (es gehört zu den meistgespielten Radiosongs aller Zeiten) selbst eingefleischten Led Zep-Fans schon seit zwanzig Jahren zum Hals raushängt, scheint sich zu den eher jugendlichen Ringrockern noch nicht herumgesprochen zu haben.


… aber diesen Grad an Schlimm-Aussehen haben nicht mal Led Zeppelin verdient!

Die Alternative indes ist noch haarsträubender und gehörte bis heute mit Fug und Recht zu den vergessenen – respektive verdrängten – Spitzenergebnissen der an Peinlichkeiten nicht eben armen deutschen Neunziger-Charts, als ausgerechnet Techno gerade zum bis heute dominierenden Apres-Ski-Soundtrack mutierte. „Blümchen“ war damals 16, schon sehr gutaussehend und lieferte das perfekte Plastikpop-Frontgirl für das unerträglich aufgedrehte Happyness-Massaker „Boomerang“. (Man muss übrigens nicht unbedingt wissen, dass Jasmin Wagner – so heißt die mittlerweile Dreißigjährige schon seit geraumer Zeit wieder – vor vier Jahren ein durchaus als Geheimtipp geltendes Album hingelegt hat, für das ihr von den überaus crediblen Songprofis Michel van Dyke und Bernd Begemann angenehm gutlaunige Sixties-Pop-Stücke auf den immer noch tadellosen Leib geschrieben wurden. Ein Verkaufserfolg war das natürlich nicht.) Man kann es Frau Wagner wohl nicht wirklich übel nehmen, dass sie sich einem Blümchen-Auftritt bei Pocher nicht verweigerte – mit Herz-und-Seele-dabei-sein sieht aber sicher anders aus.

Nochmal zur Erinnerung: Der Maßstab war „Killing In The Name“ ein Protest-Smasher, der bis heute jeden Alternative-Disco-Besucher elektrisiert und dessen Erfolg den Engländern immerhin ein freies Open Air mit den vom Engagement begeisterten Rage Against The Machine bescherte. Darauf – wie die Ringrocker – bei einer saturierten Rockmaschine wie Led Zeppelin zu hoffen, ist mindestens naiv. Und „Blümchen“ möchte man sowieso weder sehen noch hören. Was uns allerdings so oder so erspart bleibt. Gereicht hat es – lässt die Media Control verlauten – gerade mal für die Plätze sieben und 15. Die Nummer eins in dieser Woche ist – quasi planmäßig – Mehrzad Marashi. Sein Titel heißt „Don’t Believe“. Das hat dann ja fast schon wieder was …

Augsburg