Früher bekam ich häufig Mails, die mir eindringlich eine Penisverlängerung oder den Erwerb von Potenzmitteln nahelegten. Heute sind es meist Nachrichten aus Nigeria oder den USA. Die einen wollen mit meiner Hilfe Geld aus dem Land transferieren, die anderen bieten mir einen Job als ihr Filialist an. Schuld daran ist wahrscheinlich Google, so suggerieren die Kommentare zur Eröffnung der CeBit. Verbraucherschutz-Ministerin Aigner widerspricht dem im Interview nicht und Bild gibt Tipps, damit die Leser sich vor Aufnahmen ihres Hauses im Rahmen von Googles „Streetview“ schützen können. Neben dem Kohlendioxid und Ahmadinedschad ist Google auf dem besten Wege die Weltbedrohung Nummer 3 zu werden.
Wenn Google an all den Spam-Mails Schuld ist, dann sind sie in Sachen Datenhandel genauso schlecht wie die Deutsche Post. Selbst der Bildzeitung lesende Kleingärtner, der vom Google- Streetview Wagen beim Harken aufgenommen wurde, braucht sich dann keine Sorgen zu machen. Genauso wenig wie ich jemals ernsthaft über die Verkürzung oder Verlängerung von Körperteilen, den Internet-Erwerb von Viagra oder Devisen- Spekulation in Afrika oder gar die Mitarbeit bei windigen Firmen aus dem World Wide Web nachgedacht habe, hatte ich vor, Busfahrten ins Berliner Umland zu unternehmen oder Gedenkmünzen zum 125 jährigen Jubiläums des Kudamm zu erwerben. Letzteres macht aber fast 50 Prozent meines physischen Briefkasteninhalts aus.
Anders als beim Mail kann ich den Absender bei Postsendungen leider nicht als „Junk“ kennzeichnen und somit auf ewig bannen. Ich kann bei Werbebriefen auch nicht auf Knopfdruck antworten und den Absender den Kopf waschen, wie es letzte Woche einem Bundestagsabgeordneten geschehen ist. Er hatte zu einem Symposium eingeladen in dem er zusammen mit einem Spiegel Redakteur über die Datenkrake Google und andere Gefahren im Netz diskutieren wollte. Vom Microssoft-Deutschland-Chef, Telekom-Vorständen, bis hin zum Xing-Gründer Hinrichs hatte er alle mit ihren Email-Adressen auf „cc“ gesetzt. Sein Büroleiter schickte hektisch eine Mail hinterher: Die Adressen sollten natürlich nicht sichtbar sein, das sei ein Fehler des Bundestagcomputers.
Lars Hinrichs und diverse andere Betroffene reagierten prompt. Sie fragten den Abgeordneten, wie er als Beirat der Bundesnetzagentur und Mitglied des Unterausschusses Neue Medien im Deutschen Bundestag denn einen Büroleiter beschäftigen könne, der einerseits glaubt, es gäbe einen Bundestagscomputer und andererseits der Meinung sei, dieser würde bei Mails ein Eigenleben entwickeln. Sie wollten wissen, wie er denn überhaupt an ihre Daten gekommen sei und wie das ganze mit seinem Abstimmungsverhalten sowohl für Netzsperren als auch zu Gunsten von Daten-Vorratsspeicherung zusammen passe.
Der Abgeordnete brauchte lange um seinem großen, prominenten Verteilerkreis zu antworten. Ob des Verteilers hätte es Fehlermeldungen gegeben und deshalb habe man Paralkom um Hilfe gebeten, schreibt er. Die Parlakom hätte die Mail dann falsch verschickt, so heisst es weiter. Der Übeltäter Paralkom ist ein serverbasiertes modernes Datenbanksystem unter Unix, auf das für individuelle Abfragen von Nachrichtenagenturmeldungen Abgeordnete, Fraktionen, Gruppen und die Verwaltung des Bundestages zugreifen können. Seit wann verschicken solche Systeme Mails? Und selbst wenn er fälschlicherweise die Mitarbeiter meinte, die dieses System pflegen, ist unklar, wieso er die mit Mail-Fehlermeldungen behelligt.
Vielleicht hat er gar keinen Computer und vertraut darauf, was sein Büroleiter ihm erzählt. Ähnlich machten es früher meine Chefs bei Universal Music. Dem Zuständigen für Europa musste man auf Englisch schreiben, obwohl er als Däne fließend Deutsch sprechen konnte. Die Emails wurden in seinem Büro nämlich alle ausgedruckt, die Antworten der Sekretärin in London diktiert. Sein Vorgesetzter Doug Morris, gerade erst pensionierte Präsident des Weltmarktführers für Musik, hatte nicht einmal einen PC auf dem Tisch seines Büros in New York stehen. Besuchern gegenüber war er stolz darauf.
Genauso wie Politikern, denen die Kultur im Internet furchtbar fremd ist, haben die Top-Manager aus der Musikindustrie aus Unwissen entschieden, wie man sich im neuen Medium aufzustellen hat. Was für sie Napster und andere Tauschbörsen waren, ist für die Politik Google. Man greift sich ein offensichtliches Problem und treibt es deutlich vereinfacht als Sau durchs mediale Dorf. Das ist schon bei der Musikwirtschaft schief gegangen, denn es ignoriert die Ursachen und missversteht die Wirkung. Bei der Politik wird das nicht anders sein. Solange zumindest wie Politiker agieren, die bestenfalls intellektuell aber nicht emotional verstanden haben, über wen oder was sie gerade im Internet entscheiden.
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