Nukular – eine deutsche Rockband, die Dank der Bertrahm Pohl Stiftung genügend Zeit bekam, um zu reifen und als Band zu wachsen.

Die deutsche Rockband Nukular gründete sich 2007 aus vier jungen Musikern. Frontman Woody beschreibt den Stil der Band als „direkten, emotionalen, organischen deutschsprachigen Rock“. Dabei orientieren sich die Deutschrocker unüberhörbar an ihren musikalischen Vorbilder wie The Mars Volta, Foo Fighters, Arctic Monkeys und Muse. Ihr Debütalbum „Schere im Kopf“ wurde am 19. Februar veröffentlicht. Was die Band über ihr Erstlingswerk und deutschsprachigen Rock im Allgemeinen denken, erzählen sie im motor.de-Interview. 

motor.de: “Nukular” – Zuviel Simpsons geschaut?
Nukular: Natürlich mögen wir die sympathische gelbe Zeichentrickfamilie der Superlative – speziell die Folge “The Simpsons Tide”, aus der das bekannte Zitat stammt: “Nukular, das Wort heißt Nukular!”. Bei unseren ersten Aufnahme-Sessions ist uns das Wort zwischen Bandnamen-Scrabble und dem allnächtlichen Anekdoten-Talk zugeflogen. Wir haben es dankend angenommen und zum Bandnamen erklärt. Nach wie vor werden wir jeden Tag glücklicher mit diesem Namen, da sich uns die Ambivalenz, die darin steckt, immer wieder aufs Neue offenbart. Zwischen Spaß und Ernst, Chance und Gefahr, Illusion und Illumination bewegt sich die Strahlkraft dieses Wortes – und irgendwie passt das ganz gut zu uns.

motor.de: Ihr seid die erste Band, die von der Bertram Pohl Stiftung gefördert wird. Professoren der Hochschule für Musik und Theater fördern da zusammen mit dem Verband der deutschen Musikproduzenten junge Künstler, damit die sich finanziell unabhängig entfalten können. Wie kam es zu der Ehre? Was hat es euch gebracht?
Nukular: 2007 haben wir uns im Popkurs in Hamburg kennengelernt. Bei unserem ersten Treffen haben wir unseren ersten Song geschrieben: “Schere im Kopf” – so heißt nun der erste Track auf dem gleichnamigen Debüt-Album. Durch die komprimierte Dichte und Energie, die sich dort abgezeichnet hat, konnten wir die Bertram Pohl Foundation während eines Konzerts auf uns aufmerksam machen. Peter Weihe und Anselm Kluge, Dozenten im Popkurs, haben dann zusammen mit der Stiftung das “Gewächshaus-Projekt” ins Leben gerufen. Junge kreative Musiker bekommen in diesem Rahmen die Möglichkeit, mit den gleichen Standards wie bei kommerziellen Produktionen, ihre Songs aufzunehmen, ohne sich von einem massentauglichen Geschmack abhängig machen zu müssen. Anfang 2008 wurden wir dann angesprochen, ob wir gerne an diesem Projekt teilnehmen wollen. Wir haben ja gesagt. Als Menschen hat es uns schnell zueinander geführt, da wir nahezu unbegrenzte Zeit zum Songwriting, zum Spielen und zum Proben hatten. Wir haben unser Debüt-Album aufnehmen können, viele weitere Songs geschrieben, ein paar Videos gemacht, einige Konzerte und sogar eine erste Tour gespielt. Kurzum, wir haben uns gefunden.

motor.de: In diesem Zusammenhang konnte der Produzent Ralf Christian Meyer (Fanta 4, Clueso, Xavier Naidoo) für die Aufnahmen eures Debüt-Albums gewonnen werden. Habt ihr einen Konsens gefunden, Meyer hat ja bisher nicht viel mit Rock zu tun gehabt? Hat das die Produktion beeinflusst, habt ihr euch für Ideen außerhalb des Rock-Kosmos geöffnet?
Nukular: Als uns Ralf Christian Mayer Anfang 2008 in unserem Proberaum in Hamburg besucht hat, wurden wir von seinem schwäbischen Charme sofort in den Bann gezogen. Sein herzlicher Sarkasmus hat uns davon überzeugt, dass eine Zusammenarbeit fruchtbar sein wird, da uns das Vertrauen, das man Menschen entgegenbringt, mit denen man auf emotionalen Ebenen zusammenarbeitet, sehr wichtig ist – die Chemie muss stimmen und die hat gestimmt. NUKULAR war damals ein halbes Jahr alt und unser Sound, von diversen Stilrichtungen beeinflusst, war wie bis heute noch angstbefreit, sich zu entwickeln. Wir sind ständig auf dem Weg, unseren Sound voran zu bringen und Ralf Christian Mayer hat sich als perfekter Spielpartner für unser Erstlingswerk erwiesen. Er ist jetzt nicht der alte Rock-Hase, aber gleichermaßen auch nicht auf Chart-Pop und Hip-Hop reduzierbar. Die Veränderungen auf unserem Album, die durch Mayer initiiert wurden, sind überschaubar. Vielmehr hat er uns angespornt, bei den Aufnahmen, die wir live im Studio gemacht haben, alles zu geben und die Songs von der Zehenspitze bis zum Haaransatz zu fühlen. Dazu hat er bei uns im Raum gestanden und gezappelt und getanzt. Wenn er dann zum Schlussakkord gebrüllt hat: “Ja! Des ischn gefüüühlde Take!”, wussten wir: jetzt ist es perfekt. Unser Debüt-Album wird sukzessive von Interludes durchkreuzt. In ähnlicher Form findet man Skits auf Hip-Hop Platten. Diese Interludes haben wir an einem verstrahlten Sonntag in einer Freestyle-Session eingespielt. Mayer hat einfach mitgeschnitten, um spontane Momente einzufangen. Die Begeisterung, mit der er an Produktionen herangeht, hat unseren Eifer und Elan potenziert – und ich denke, das hört man auch auf dem Album.

Nukular – “Notausgang”

motor.de: Am 19. Februar erschien euer Debüt “Schere im Kopf”. Was erhofft ihr euch, welche Ambitionen habt ihr?
Nukular:
Wir hoffen, dass unser Album alle potentiellen NUKULAR-Fans erreicht. Alle, die auf eine romantische Haltung im Leben bauen – ein Leben durchdrungen von Leidenschaft, Gefühlen und entblößten Seelenzuständen, als Gegenentwurf zum überkultivierten Karrierismus Modell, wie es in einer neo-konservativ geprägten Gesellschaft üblich ist. Mit dem Album “Schere im Kopf” liefern wir unseren Gegenentwurf ab. Gegen die normierten Biographien, mit dem Recht auf Eigensinn, für das Ende der selbstverschuldeten Unmündigkeit – ein Album für Körper, Geist und Seele. Unser Vorhaben ist Veränderung bzw. Mitgestaltung – deutschsprachige Musik hat kein Verfallsdatum. Sie ist die Summe der Ambitionen von Menschen, die sich für ihre eigene individuelle Macht, am Wandel von Kompositionen, Texten und Konzepten aktiv beteiligt zu sein, begeistern oder gar aufopfern. Zudem hoffen wir, dass wir den nukular-betriebenen Motor der Band mit dem Album als Brennstoff anheizen können, sensationelle Konzerte zum Besten geben, neue Videos zusammenspinnen, ein zweites und drittes Album machen – unseren Sound weiterentwickeln und wachsen, wachsen, wachsen.

motor.de: Auf eurem MySpace-Profil findet sich ein Rio-Reiser-Cover. Ist Reiser ein Vorbild, textlich? Teilt ihr seine politisch linke Einstellung bzw. die der Ton Steine Scherben? Wer oder was hat dich, Woody, eventuell textlich noch beeinflusst?
Woody:
Rio Reiser war und bleibt einer der größten deutschsprachigen Musiker. Er hatte Charisma. Das wird nicht unterrichtet und es ist auch nicht möglich, es vom Himmel herunter zu beten. Es ist etwas, was durch eine konsequente Haltung und innere Stärke generiert wird. Dieser unbändige Mut, der von einem liebenden Herz untermauert ist, hat eine Vorbild-Funktion für mich. Textlich hat Rio mich beeinflusst, aber meine eigene Art zu texten unterscheidet sich von seiner. Ich habe mich schon immer für irrationale Stilmittel begeistern können, wie sie beispielsweise mittels Synästhesie und Lautmalerei in den Sonetten der Symbolisten verwendet werden oder Cut-Up-Methoden, die besonders durch William S. Borroughs bekannt geworden sind. Ich benutze viele Methoden, um spontan niedergeschriebene Gefühlszustände in einem stream-of-consciousness in eine für mich logische Reihenfolge zu bringen. Mir ist wichtig, einen guten Rhythmus zwischen Klarheit und Kryptik zu finden. Ich bezeichne das als postmoderne Romantik. Natürlich bringen diese Texte auch einen politischen Gehalt mit sich. Individualpolitik. Der eigene Kampf um Frieden, Ordnung und Macht. Deshalb können wir uns aus dem deutschen kulturhistorischen Kontext heraus auch für die ersten “Ton, Scheine, Scherben”-Platten, speziell “Keine Macht für Niemand!” begeistern. Die Zeiten haben sich jedoch geändert und die Parolen, die damals wichtig waren, um das Umfeld einer selbstbestimmten Jugend zu entnazifizieren, klingen heute kindisch und naiv. Heute ist es wichtiger denn je außerhalb von Massenbewegungen darauf zu achten, dass man selbst eine starke Haltung hat und fähig ist, sie mit seinen Freunden, Verwandten und Bekannten zu teilen. Veränderung ist konstant – überall. Wir müssen mit den richtigen Motiven mitgestalten – von innen nach außen. Mit Geduld, Weitblick und Verstand – da stehe ich zu meiner linken Einstellung.

motor.de: Ihr schreibt selbst, ihr hättet mit intelligenten deutschen Texten “ein Alleinstellungsmerkmal im Rock-Kontext”.
Nukular:
Dass wir das geschrieben hätten ist mir neu. Wenn, dann muss man schon richtig zitieren. Zudem haben wir das Info ja gar nicht geschrieben. Das kann man schon machen. Wenn man aber ein Band-Info über sich schreibt, dann ist es zu raten, in der ersten Person Plural zu schreiben oder in den Klamauk abzudriften. Na ja, wie auch immer.

motor.de: Gibt es aktuelle deutsch-sprachige Bands, für die ihr euch begeistern könnt?
Woody:
Ich höre viel deutschsprachige Musik. Gerade eben lief die neue Sterne-LP und ich drücke den “Gefällt-mir-Button”. Ich bin aufgewachsen mit Ton, Steine, Scherben, Tocotronic, Element of Crime, Ärzte, Selig etc. Natürlich habe ich auch viel englischsprachige Musik oder Klassik, Jazz und Chansons gehört, jedoch schlägt mein Herz für deutsche Texte und da gibt es immer wieder spitzen Bands. Damit meine ich nicht nur etablierte Bands wie die bereits genannten oder Mia, Bosse, Madsen o.ä. Es gibt immer wieder Bands, die einfach gute Laune und Fröhlichkeit unter die Menschen bringen und das mit einer gewissen Portion Stil und Eigensinn. Jennifer Rostock, Ja, Panik oder Bakkushan sind etwa junge Bäume, aber da gibt es noch einen ganzen Waldboden mit sprießenden Setzlingen von Bands, die hungrig sind, die etwas zu sagen haben, eine eigene starke Haltung besitzen und sogar Charisma mit auf die Bühne bringen, wie z.B. Das Pack aus Hamburg, die zu zweit die Clubs auseinandernehmen oder die extrem talentierte Sängerin Cäthe Sieland auch aus Hamburg, von der man mit Sicherheit noch viel hören wird. Wir würden gerne mit allen auf Tour gehen, die das Tour-Leben so lieben und feiern wie wir. Stilistisch darf man sich da gar nicht zu krass einschränken. Sich von anderen Bands abzusetzen, um seine Nische zu behaupten, finde ich wichtig und richtig, wenn man dabei die Grundlagen und Gemeinsamkeiten nicht vergisst. Jeder, der es aus Herzblut macht, geht gerne auf Tour und liebt die Backstage-Räume, Freigetränke und Vielzahl an Tourbekanntschaften. Jeder, der mit Leidenschaft lebt und erlebt, liebt einen gepflegten Rock’n’Roll-Lifestyle. Immer nach vorne – mit voller Kraft.

Nukular live:
13.03.2010 – Listen To Haiti Benefit Festival, Luxemburg 
16.03.2010 – Ken FM, Berlin

Nukular – Schere im Kopf

VÖ: 19.02.2010

Label: Bertrahm Pohl Foundation

Tracklist:
01. Schere im Kopf
02. Notausgang
03. Ohne Dich
04. Deine Feinde
05. Interlude I
06. Im freien Fall
07. Alles nur Schein
08. Unbekannte Welt
09. Interlude II
10. Mehr als nur ein Wort
11. Hinterher
12. Mädchen für alles 
13. Interlude III 
14. Unerreichbar
15. Riesenapparat