Raz Ohara And The Odd Orchestra über Lebenshaltungskosten in Berlin, die Clubkultur und die eigene Biographie.
Der in Berlin lebende Däne Raz Ohara hat vor seinem aktuellen Projekt mit dem Odd Orchestra schon eine Karriere als Solokünstler hinter sich, in der er um die Jahrtausendwende mit “Reality” einen veritablen Hit verbuchen konnte. Seit einiger Zeit ist er nun im Bandgefüge mit Oliver Doerell und Tom Krimi unterwegs, die ihr schlicht “II” betiteltes aktuelles Album im Oktober veröffentlichten. Das Interview mit Ohara und seinen Mitmusikern findet nach Mitternacht im Anschluss an das Konzert im Leipziger Skala statt – was der Auskunftsfreude nicht gerade zuträglich ist. Denn die drei Herren geben sich im Interview eher uninteressiert und gelangweilt. Nur bei der Frage nach Oharas persönlicher Geschichte kommt so etwas wie ein Gespräch zustande.
motor.de: Ihr wolltet das Interview lieber nach eurem Konzert geben – was relativ ungewöhnlich ist. Gibt es dafür einen besonderen Grund?
Ohara: Es ist vorher einfach wahnsinnig stressig. Der Soundcheck dauert ewig, dann sind wir meist genervt und gestresst. Und wenn der Soundcheck sich hinzieht, muss der Interviewer ewig warten. Man hat real einfach keine Zeit.
Krimi: Außerdem hat man nach dem Konzert eine Situation, über die man sprechen kann. Das ist anders als bei einem “kalten” Interview.
motor.de: Ihr lebt alle schon lange in Berlin. In den letzten Jahren kamen auch immer mehr Musiker und Künstler aus dem Ausland dorthin. Was ist denn so anziehend an Berlin?
Doerell: Dasselbe, was alle zehn Jahre eine andere Großstadt attraktiv macht – sie ist die billigste Europas. Es passiert viel, und deshalb kommen immer mehr Leute dorthin. Berlin hat Lebenshaltungskosten, die sich jeder leisten kann. Das war im Brüssel der 80er Jahre ähnlich.
motor.de: Habt ihr den Eindruck, dass sich Manches, was Berlin ausmacht, auch in eurer Musik widerspiegelt? Dieses Unfertige, das improvisierte Leben?
Krimi: Eigentlich schon, oder? [blickt sich fragend um]
Doerell: Als ich nach Berlin kam, konnte ich von 300 Mark im Monat leben und konnte deswegen auch anders Musik machen. Du denkst nicht darüber nach, ob das irgendwie Erfolg haben kann. Wenn du so aufwächst, beeinflusst dich das natürlich.
motor.de: Wo man noch Parallelen ziehen könnte, ist zwischen der Sogwirkung eurer Musik und die der Berliner Clubkultur, dieses “Sich darin verlieren Können”. Seht ihr euch als Teil dieser Clubkultur oder eher eine Spur daneben?
Krimi: Genau, eine Spur daneben. [lacht] Wir haben alle schon Clubmusik gemacht, deshalb ist da schon eine Verbindung gegeben. Es gibt einfach viele Clubs, deshalb begegnet das einem auch immer wieder.
Doerell: Aber das Schlimme an der Stadt ist, dass es auch völlig an einem vorbeigehen kann. Da die Viertel so dorfmäßig organisiert sind, muss man da nicht dran teilnehmen. Ich jedenfalls nicht.
motor.de: Bezeichnungen für eure Musik, die in der Presse vorkommen, reichen von Minimal-Folk bis zu Techno-Singer/Songwritertum. Sind solche kruden Zuschreibungen auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit, eure Musik mit einem Schlagwort belegen zu können?
Krimi: Auf jeden Fall. Ich wüsste auch nicht, wie ich sie bezeichnen sollte.
Ohara: Techno-Singer/Songwriter ist scheiße.
Krimi: Ich bin in gewisser Weise froh darüber. Wenn sich Journalisten nicht auf eine Bezeichnung einigen können, dann weißt du, dass an der Musik etwas Frisches dran ist. Denn wenn es alt wäre, gäbe es schon eine Bezeichnung. Das spricht eher für die Musik.
motor.de: Noch eine Einordnung für euren Stil bezeichnet sie als Afterhour-Musik. Es gab auch einen Artikel über euch, der in der Bar 25 spielt. Seht ihr euch darin wieder?
Doerell: Wir sind einfach vier Menschen, die unterschiedliche musikalische Einflüsse haben…
Ohara: Der Artikel war aber der totale Fake. Weil wir an dem Tag dort gespielt hatten, hat der Journalist die Story mit der Bar 25 aufgezogen. Mehr ist dazu auch nicht zu sagen.
motor.de: Du hattest eure Musik einmal als “tonalen Diaprojektor” beschrieben…
Ohara: Das habe ich gesagt? Cool. Das weiß ich gar nicht mehr.
motor.de: Gibt es Assoziationen von euch zu dieser Bezeichnung?
Ohara: Nein.
motor.de: Es gibt diese Geschichte über dich, dass du als kleiner Junge mit deinem Vater auf einem Frachtschiff über die Meere gereist bist – was etwas Poetisches hat. Es wird nicht ganz klar, ob dies nun wahr ist oder nicht. Aber ist es auch schön, mit so etwas an seiner eigenen Geschichte stricken zu können?
Ohara: Man muss einfach etwas in die Biographie schreiben, wenn man vorher ein unbeschriebenes Blatt ist.
Krimi: Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich mit meinem Vater über die Meere fahre – das ist total poetisch. Und du bist ein total poetischer Mensch.
Ohara: Was ich erlebt habe war überhaupt nicht poetisch. Das war Frachtschifffahrts-Industrie.
Doerell: Meiner Meinung nach ist es ein Fehler, dass das in der Bio steht.
Ohara: Wieso? Irgendwas muss doch drinstehen.
Doerell: Ich finde das viel zu persönlich.
Ohara: Aber darum geht es doch, sich vollständig zu entblößen.
motor.de: Bereust du, dass du diese Geschichte erzählt hast?
Ohara: Nein, wieso denn? Es ist wahr. Es erklärt zu einem großen Teil, warum ich Musik mache. Ich wollte eine ganz nahe, wahre Kommunikation haben. Deswegen habe ich auch dieses Album gemacht. Es geht um Entblößung.
motor.de: Aber wie entwickelt ihr dann eure Songs, wenn es um deine persönliche Entblößung geht?
Ohara: Das war auch mehr auf das Vergangene bezogen.
Krimi: Das verläuft mehr über die Musik. Wir sprechen nicht über irgendwelche Zustände, die uns bewegen, bevor wir ein Stück anfangen. Musik ist immer auch ein Abbild deiner Geschichte.
Ohara: Wenn Kunst gut ist oder etwas magisch ist, geht es immer in Richtung Wahrheit. Sich zu öffnen, aber auch eine demütige Einstellung zu haben.
Interview: Eric Bauer
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