Weltmusik, Ivy-League, Pullunder – Mann sind die uncool! Oder eben nicht.
Mit ihrem Zweitwerk “Contra” setzen Vampire Weekend die Redefinition des breitenwirksamen Rockfaktors von eigentlich megaödem Kultur-Schnick Schnack fort, ohne vom eingeschlagenen Weg abzuweichen.
Die Popkultur-Fundstücke, derer sich Vampire Weekend bedienen, um den eigenen Sound zusammen zu schustern sind sicher nicht aus der Rock’n’Roll Hall Of Fame ausgeliehen. Bevor die Band aus New York vor etwas über einem Jahr ihr selbstbetiteltes Debüt veröffentlichte, fandet ihr doch alle Paul Simon so was von doof, oder? Die Musiklehrer-Ikone mit dem Hang zum Kulturimperialismus war in Styler-Kreisen ein ähnlich rotes Tuch wie Roland Kaiser und der Konsum seiner Platten wurde – wenn überhaupt – als Beispiel für die eigene Fähigkeit zur Ironie angeführt. Call Me Al, Baby.
Vampire Weekend – Cousins
Der gesamte Ethno-Musikbetrieb war fest in der Hand Schafshorn-tutender Volkshochschulkurs-Teilnehmer und dementsprechend wenig identitätsstiftend für den Endverbraucher unter 45. Oder Studenten-Rock, jene irgendwie unvereinbare Synthese aus Hirn- und Hoseninhalt. Da war Ende 2007 doch auch das große Gähnen angesagt. Anfang 2008 war dann alles anders und vom Time- bis zum Spin-Magazine hatte die Fachpresse bereits im Januar ihren Indie-Liebling für den Rest des Jahres gekürt. Und so wurde das Gleichgewicht von “Cool” und “Uncool” von vier gewitzten Ivy-League-Studenten kurzerhand umgepolt und plötzlich fehlten in den Plattenregalen sämtlicher Bildungsbürger-Eltern die alten Paul-Simon-Platten.
Knapp zwei Jahre später wundert sich Rostam Batmanglij – als Keyboarder, Gitarrist, Sänger, Produzent und Beat-Programmierer bei Vampire Weekend tätig – noch immer darüber, was da eigentlich los war: “Seltsamerweise waren zu diesem Zeitpunkt mit Yeasayer und Dirty Projectors noch andere Bands unterwegs, die ein ähnliches Interesse an anderen Aspekten von Musik hatten wie wir,” berichtet Batmaglij. Die Zeit für eine Neuentdeckung des Afro-Beat scheint also reif gewesen zu sein. Und tatsächlich lässt sich der Vorwurf des “Uncool”-Seins darüber abwehren, die eigenen Stil-Sünden in eine gemeinsame Sammlung einfließen zu lassen. “Unser Stil ist sehr von den einzelnen Interessen der Bandmitglieder geprägt, obwohl wir einen breiten gemeinsamen kulturellen Background haben. Aber so bringt jeder seine Eigenheiten ein und das tut der Band sehr gut. Ich bin Sohn iranischer Einwanderer und habe daher viele Einflüsse aus diesem Kulturkreis,” erklärt Batmanglij den etwas abseitigen Stilmix, der auch das neue Album seiner Band beherrscht.
Auf “Contra” verfeinern Vampire Weekend das, was auf dem Debüt noch wie eine hastige Skizze wirkte, zu einem Gesamtbild in schillernden Farben. Die lustigen Melodien sind geblieben, der Afro-Beat ebenso. Darüber hinaus hat die Band allerdings mit Euro-Dance und indischen Einflüssen wieder tief in den Eimer des Uncoolen gegriffen, um des eigenen Ideenreichtums Herr zu werden. Batmaglij führt das veränderte Klangbild auf “Contra” allerdings hauptsächlich auf die verbesserten Arbeitsbedingungen zurück: “Diesmal mussten wir das Schlagzeug nicht in einer alten Scheune aufnehmen, sondern haben uns ein echtes Studio geleistet. Wir haben viel herumexperimentiert und oft Originalinstrumente im Computer einfach durch andere Sounds ersetzt. Das ist der Luxus, den du hast, wenn du dich als Band etabliert hast.” “Contra” ist also ein Schritt nach vorn. “Ich glaube wir klingen auf diesem Album mehr nach Vampire Weekend als auf dem Vorgänger”, gibt auch Schlagzeuger Chris Thompson zu Protokoll.
Vampire Weekend begreifen Popkultur als großes Experimentierfeld. Und möglicherweise ist diese Methode das eigentlich wichtigste Überbleibsel der Columbia-University-Ausbildung, die alle Bandmitglieder genossen haben. Ebenso wie sich ein Wissenschaftler seinem Gegenstand möglichst offen nähern muss, um bestimmte Lösungswege nicht von vornherein auszuschließen, lassen sich auch Rostam Batmanglij und seine Kollegen wenig von popkulturellen “Dos and Don’ts” irritieren. Ob das cool ist, müssen wohl andere entscheiden.
Timo Richard
VÖ: 08.01. 2010
Label: INDIGO
Tracklist:
01. Horchata
02. White Sky
03. Holiday
04. California English
05. Taxi Cab
06. Run
07. Cousins
08. Giving Up the Gun
09. Diplomat’s Son
10. I Think Ur a Contra
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