Schräg, bunt, einfühlsam und feministisch – mit ihrer facettenreichen Show überzeugen Coco Rosie ihr ebenso bunt gemischtes Publikum mit ihrer Liebe zum Detail.
Schon vor Beginn der Show erweckt die Bühne, ganz im Stile der Schwestern Casady, bereits ohne Band einen skurrilen Eindruck. Auf der großen Leinwand fliegt eine weiße Taube, im Hintergrund von Harfe und Flügel steht ein Ofenrohr und an der rechten Bühnenseite befindet sich ein kunterbuntes Instrumenten-Sammelsurium. Als die Musiker die Bühne betreten, lassen Schwarzlichtlampen die Regenbögen auf ihren Gesichtern leuchten. Neben den Schwestern Sierra und Bianca, erscheinen auch zwei männliche Musiker.
Die Show, in der Coco Rosie der Welt ihre bunten Geschichten erzählen werden, beginnt. Sie stehen sich gegenüber und klatschen ihre Hände aneinander. Während aus allen Richtungen elektronische Samples schallen, bietet sich dem Publikum ein Overkill an Inszenierung. Zwischen Tierstimmen, poppigen Bildern und schrillen Outfits, schlummern Romantik, feministische Statements und ein Gespür für die Feinheiten.
Klassischer und verzerrter Gesang umspielen sich schillernd im Duett „Happy Eyez“, einem Song ihrer Tour EP „Coconuts, Plenty Of Junk Food“. Ein „Kikiriki“, gefolgt von einem Pferde-Wiehern, bietet das Intro für „Terrible Angels“, in dem die eingängigen Stimmen der Schwestern einem Gänsehaut verschaffen. Das Stück aus ihrem Debütalbum „La Maison de Mon Rêve“ (2004) wird von Sierra auf der Akustikgitarre begleitet und einer matten Trompete untermalt, während sich Bianca der exotischen Geräuschemacher des langen Tisches bemächtigt.
Wirkt die Musik manchmal kindlich oder durch die verwendeten Instrumente verspielt, so legt der Text von „Animals“ eine Bitterkeit an den Tag und unterstreicht ihre Ernsthaftigkeit. Mitreißend ist die recht experimentelle Variante von „Beautiful Boys“, bei dem sich die Schwestern viele Blicke schenken. Sie sind liebevoll miteinander und tauschen sich immer wieder flüsternd aus. Die Leinwand zeigt, konträr zum Songtitel, Bilder des Schreckens, darunter faulende Würmer.
Doch nicht nur die Leinwand, auch ihre Kleidung nutzen Coco Rosie als bewusstes Element ihrer Kunst. Selbst wenn man den Leggins mit blauen Erdbeeren, dem goldenen Badeanzug oder dem Häkeldeckchen auf Sierras Kopf einen gewissen Kitsch nicht absprechen kann, weiß man, dass sie wie auch Biancas Outfit aus übergroßen Männersportklamotten und einer lila Robe, ein Statement zum Feminismus und Teil eines Konzepts sind.
Beim „Techno Love Song“ hält Bianca einen Walkman mit Radioaufzeichnungen an das Mikrofon, Sierra platziert sich an der Harfe. Eine blitzartige Diashow zeigt von einer Barbie mit Kopftuch über Kinder-Kitschfiguren wie My Little Pony und die Glücksbärchies hin zur Popikone Beyonce. Diese Flut an bunten Bildern lässt einen den Informationsüberfluss unserer Gesellschaft realisieren. Coco Rosie gelingt mit ihrer exzentrischen Selbstinszenierung eine Verhöhnung von herrschenden Schönheitsidealen sowie gepushtem Wahnsinn.
Im Farbtaumel und zwischen Requisiten, wie kitschigen Teetassen und bunten Strickstulpen, wechseln die Schwestern, wie auch ihr männlicher Support zwischen Klavier, Bass, Harfe und Trommeln. Wenn Klaviersonaten auf heftige Elektroklänge treffen, quietschende Pfeifen ertönen und Bianca für „Black Poppies“ auf einem dudeligen Blasinstrument spielt, gelingt es dem experimentellen Duo mit da gewesenen Strukturen zu brechen. Schrill wird es, als Sierra durch ein Megaphon singt, das rotes Licht in ihren Mund mit der klaren Stimme wirft oder Bianca auf einem Tasteninstrument spielt, das für dreijährige Kinder gedacht ist. Coco Rosie kreieren einen Überfluss für die Sinne und ihre Inspiration dafür scheint grenzenlos.
Doch auch bei der Tanzbarkeit ihrer Lieder lassen sich die Schwestern nicht lumpen. Zum quängelnden Miauen aus der Soundmaschine und dem exzessives Stöhnen der Casadys trommeln sich die Hintergrund-Musiker die Seele aus dem Laib bis der dröhnende Beat von “Bear Hides And Buffalo“ kaum noch zu steigern scheint. Ein Exempel, wie sehr man sich innerhalb eines Tracks zwischen den Genres bewegen kann, liefern sie an diesem Abend mit „Japan“. Das Intro aus Vogelzwitschern und dem Heulen eines Wolfes geht in einen Hip Hop Beat über, zu dem sich Sierra, mittlerweile barfuß, bewegt. Hämmernde Trommeln werden von ihrem Operngesang abgelöst, um schließlich in einem wilden Reggae-Fest zu enden, nach welchem die Schwestern vorerst die Bühne verlassen.
Nach tosendem Applaus betreten sie gegen 22.30 Uhr erneut die Bühne. Was folgt, klingt nach einer jazzigen Jam Session. Bianca tanzt, Sierra tritt ans Mikrofon: „It’s So Hard To Say Goodbye To What We Had / The Good Times That Made Us Laugh Outweigh The Bad“. Bianca animiert zum Mitklatschen und beginnt ihren Rap: „This Is The Afterlife Party“.
CocoRosie – Terrible Angels
Ein weiteres feministisches Statement offenbaren sie auch im letzten Song des Abends, der mit folgenden Worten angekündigt wird: „This Is For The Ladies! If You Dress Up, And Put On Your Make Up And Your Sexiest Dress – But Not For Your Man, No, Not For Your Man, And Not To Go Out, But For Yourself!“. Die Zuhörer, die nach Coco Rosies zweitem Abgang von der Bühne nicht ungeduldig die Halle verlassen haben, kommen in den Genuss von „By Your Side“.
Überzeugend durch ein schillerndes Gesamtkonzept, sind es wohl dennoch primär die erstaunlichen Stimmen, die aus der neunzig minütigen Show im Gedächtnis haften. Markant wie auf der Platte, ist es fast unglaublich, dass dieser verzerrte Gesang wirklich aus den kreativen Frauen kommt.
Jasmin Hollatz
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