Eine Mogelpackung war die Popkomm schon immer. Eine Messe ist dazu da, die Waren auszustellen, doch wo waren auf der Popkomm die CDs und LPs der Neuheiten, wo konnte man an den Ständen überhaupt Musik hören? Eine Messe soll helfen die Produkte zu erläutern, doch wo und wann erzählten die Stände über die Bands und Musiker und nicht nur von den Firmen und Verbänden, die sie gebucht und bezahlt hatten? Eine Messe ist dazu da, die Produktionsgüter der Aussteller zu verkaufen, doch wie oft waren da überhaupt Konsumenten oder zumindest Schallplattenhändler in den Hallen?

Die Popkomm war nie eine Messe sondern ein Selbstzweck und das war gar nicht schlimm. Dieter Gorny (Foto) rief vor fast 20 Jahren eine Branche nach Düsseldorf, die sich im Umbruch befand. Mit Punk und New Wave waren Independent Labels entstanden, die sich jenseits der Konzernstrukturen in den Achtzigern etabliert hatten. In den damals noch zahlreichen Majors hatte man darauf reagiert, indem man für Alternative Rock Abteilungen mit scheinbar schier endlosen Vollmachten wie zum Beispiel Progressive (Polydor) oder Dragnet (Ariola) gründete. Befeuert wurde all das von dem geglückten Format-Wechsel auf das einträgliche, weil teure CD Format und der sich just ereignenden Wiedervereinigung.

Aus Strukturen kommend in denen lokales Repertoire zumeist Schlager und internationaler Rock bedeutete, erfand sich die Branche nahezu noch einmal neu. Wie üblich wurden die Prozesse von den kleinen Firmen getrieben und von den großen aufgenommen. Um ihn zu verstetigen, musste man Groß und Klein zusammenbringen. Das konnten die Popkomm-Macher nicht in Form einer Messe tun, sondern man erfand eine Messe als Anlass für eine Party. Die Popkomm fand nicht tagsüber im ZAK oder die Jahre drauf im Gürzenich statt, sondern dann, wenn Gorny in Düsseldorf mit Bier im Six-Pack nachts von der Tanke in die Hotelhalle kam, um seine durstigen Gäste zu versorgen, oder wir alle in Köln vorm Mexikaner mit unseren Coronaflaschen fast besinnungslos auf den Straßenbahnschienen saßen oder lagen.

Köln war der logische, nächste Schritt. Nicht nur in der Schallplattenbranche tat sich viel. Parallel zu ihrem Boom schoss durch das so genannte duale System der Regierung Kohl der private Rundfunk aus dem Boden. Damit traten jede Menge neue Macher auf den Plan, die es galt kennen zu lernen. Egal ob als Radio oder Fernsehen – RTL, reich mit Erfahrung aus dem Betrieb aus Luxemburg gesegnet, war das Vorbild. Der Chef der Sendergruppe hieß Thoma und sagte markige Sätze wie „Im Seichten kann man nicht ertrinken“. Sie wurden bei RTL Programm. Die neue Heimat des Leit-Senders war Köln. Und deshalb hüpften plötzlich auf deren Bühnen am Ring Gesangsdarsteller wie Captain Hollywood oder Zlatko, die zu RTL und ihren ebenfalls sich präsentierenden Konkurrenten passten. Ringfest nannte sich das und viele Kölner mochten es.

Für die Branche war die mit den privaten Medien und ihrer Selbstdarstellung einhergehende Trivialisierung fatal. Nicht nur, dass man ihre Produkte mittlerweile (auch mangels eines legalen Angebots) sich umsonst aus dem Netz saugen konnte, die in Köln auf dem Ringfest der Popkomm gefeierten Euro-Trasher und Casting Sternchen untergruben zudem noch die Werthaltigkeit von Pop-Musik. Als Konsument nahm man von der Popkomm bestenfalls mit, dass man diese scheinbar inhaltsleere, selbstverliebte Branche betrügen muss. Die Party war endgültig vorbei. Die Kölner Popkomm 2003 war ein letztes, trauriges Aufbäumen. Da die Messehallen fast leer waren, ließ Medienpartner Viva und dessen Geschäftsführer Dieter Gorny sein Publikum hinein. Die Teenager suchten nach Boybands und fanden verstörte Labelmitarbeiter. Die Popkomm floh nach Berlin. Hier sollte sie sterben.

Die Popkomm hätte in Berlin zur Messe werden können, aber das hat sich keiner getraut. Die Konzepte lagen vor. Man war in der Stadt mit den meisten Clubs und Bühnen Europas angekommen. Ähnlich wie die South by South-West (SXSW) in Austin, Texas hätte man jedes Jahr alle neuen, aufregenden Livebands präsentieren können. Wie bei einer echten Messe stürzen dort im Süden Amerikas nämlich A&R Manager und Tourveranstalter durch das Nachtleben, um sich mit Musik und Bands zu versorgen. Die Musiker machen ein Angebot, die Agenten sind die Kunden. Möglich wäre auch gewesen, in den Messehallen Konsumenten und Presse im August schon die Highlights des Herbstgeschäfts vorzuspielen. Ähnlich den Buchmessen hätte man somit dem Endverbraucher frühzeitig und legal zur Kenntnis gebracht, was er später möglichst kaufen soll.

Auch eine Kombination aus beiden Ideen wäre logisch gewesen, aber wie soll eine Veranstaltung einen neuen Plan haben, wenn die Branche der sie dient nicht einmal ein funktionierendes Geschäftsmodell hat? Dieter Gorny hat Ursache und Wirkung verwechselt und war emotional als Gründer wahrscheinlich hochgradig berührt. Mittlerweile den Musikkonzernen als Lobbyist dienend, verstieg er sich darauf zu verlautbaren, man habe die Messe aus Protest gegen die Internet-Piraterie abgesagt. Irrtum, abgesagt hat nicht er, sondern der Veranstalter. Seit Jahren waren überhaupt nur noch zwei der von ihm vertretenen Major Companies auf der Popkomm präsent. Auffangen konnte die aufrichtig bemühte Messe Berlin das in der internationalen Stadt lediglich mit den Ständen der Exportbüros aus aller Herren Länder. In der Finanzkrise haben auch diese kein Geld für eine Messe ohne Geschäftszweck mehr.

Nach der plötzlichen Absage der Popkomm heißt es für alle „zurück auf Los!“. Die kleinen Labels haben ihre Flüge gebucht, denn frühes Buchen ist billiger. Die Berliner Clubs haben ihr Programm für die Popkomm zusammengestellt und die Verträge mit den Bands großteils abgeschlossen, denn das muss man ein halbes Jahr im voraus tun. Und unsere Branche hat ihr Problem noch längst nicht gelöst, denn allein im letzten Jahr verlor sie wieder 4,7% während man mit legalen Downloads nur mikrige 80 Mio. Umsatz machte. Aufgeben, oder die verfahrene Situation nutzen um von vorne anzufangen? Zusammen mit den Machern der re:publica, dem Berliner Veranstaltungsort Radialsystem und Martin Brem haben wir uns für Letzteres entschieden und „All Together Now!“ gerufen. 

Vom 16. Bis 18.9. soll es mit diesem Schlachtruf nun endlich um die Zukunft gehen. Egal ob durch die Bands oder die Gesprächskreise, die die Abschlussveranstaltung vorbereiten. Das, was man gefunden, oder herausgefunden hat, soll in Form von kurzen Impulsvorträgen am letzten Tag der All Together Now im Radialsystem präsentiert werden. Es wird wieder keine Messe sein, eher eine Art Bar-Camp. Erwarten darf man nichts Großes, aber hoffentlich etwas das intensiv und nachhaltig ist. Die Zukunft finden wir nur gemeinsam, die kann man nicht verordnen. Es geht darum diejenigen zusammenzubringen, die für sie bereit sind. Das tut man nicht durch große Worte sondern im Zweifel einfach indem man für sie nachts Bier von der Tankstelle holt, so wie es Gorny vor 20 Jahren tat.