Letztes Wochenende auf meinem Abi-Treffen in Hamburg tauchten Lehrer auf, die ich als Schüler schon knapp vor der Pensionierungsgrenze wähnte. 25 Jahre später waren zu meiner großen Verwunderung einige von ihnen immer noch im Dienst. Sie können damals also maximal Ende Dreißig und somit so alt wie heutzutage Peter Fox oder Xavier Naidoo, aber deutlich jünger als Campino (46) gewesen sein.

Zuvor genannte waren vor etwas mehr als einem Jahr die Stars einer CD Namens „Starke Stimmen gegen Rechts“, auf der auch Silbermond (deren Sängerin Stefanie Kloß kann ich mir als charmante, engagierte Junglehrerin in den Fächern Geschichte, Politik und Sozialkunde vorstellen) und Polarkreis 18 (Felix, Bernd und Co hätten an meiner Schule prima Referendare im Bereich Kunst und Deutsch abgegeben) Flagge zeigten. An sich war das eine sehr gute Aktion, die auch Motor unterstützt hat: Das Album wurde in einer Auflage von 100.000 Stück an Schulen verteilt an denen sonst vor allen Nazis ihre Musik verbreiten.

Der Einstieg in diesen Blogeintrag macht klar, wo der Optimierungsbedarf liegt. Natürlich haben sich die Schüler über das Geschenk mit Musik von namhaften Acts gefreut, doch die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Lehrer sie dann später im Klassenraum gefragt haben, ob sie nicht für sie eine Kopie brennen könnten, ist verdammt hoch und stellt ein Problem dar. Pop und Rockmusik trennt keine Altersgruppen mehr, sie verbindet sie mittlerweile eher. Genauso wie die Interpreten völlig legitimer weise altern können, kann es der Fan auch. Einzig, das Abgrenzungspotential geht für Heranwachsende dabei verloren.

In meiner Zeit als Teenager war Musik noch die erste Kulturäußerung, die unmittelbare Reaktion hervorgerufen und persönliche Eigenständigkeit (“das ist mein Ding“) dokumentiert hat. Die Eltern knallten die Kinderzimmertür zu (die Musik war zu laut, zu fremd oder besser noch befremdend) und die Mitschüler und vor allem die Mitschülerinnen waren am Start, wenn man von seinen Abenteuern aus der Welt des Rock’n’Roll erzählte, oder sogar selbigen live auf der Bühne zelebrierte. Heute stehen da auch die Lehrer in der ersten Reihe und Papi leiht sein Nirvana und das Beasty Boys Boxset für die Party des Sohns im Wohnzimmer. Provozieren gelingt selbst mit derben Hip Hop Reimen nur noch in strukturkonservativen Umfeldern. Abgrenzung gehört zum Prozess des Erwachsenwerdens, kann mit zeitgemäßer Rock und Popmusik aber kaum mehr erzeugt werden.

Das ist genau die Lücke, in die die Ultrarechten stoßen. Klar doch, würden meine Töchter Landser oder andere Nazibands hören und Polohemden von Thor Steinar tragen, würde ihre Mutter sich nicht mehr die Tops ausleihen und ich die Musik auch nicht auf meinen iPod ziehen. Im Gegenteil, wir wären beide dort, wo Eltern manchmal hingehören: auf der Palme. Perfiderweise geht die Taktik der Ultrarechten genau in diesem Sinne auf. Erst angefixt durch einen Kulturkontakt wie einer Nazi CD wird später bei den Kids mehr draus. In der letzten Studie des Innenministerium gaben 4.9% aller Jungs und 2.6% aller Mädchen an, Mitglied in einer rechtextremen Vereinigung zu sein. 29,9% stimmten dem Satz zu, dass es in Deutschland viel zu viele Ausländer gäbe.
Einige der Jugendlichen werden solche Aussagen getroffen haben, um den Interviewer selbst zu provozieren. Das ist ihr gutes Recht, aber Gegenhalten müssen wir trotzdem. Am besten tut man das dort, wo man angegriffen wird. Das war auch schon der Ansatz von „Starke Stimmen gegen Rechts“, deshalb war man mit der CD auf den Schulhöfen. Diesmal wollen wir aber das Dilemma angehen, dass die meisten Unterstützer und Initiatoren selbst die Lehrer oder Eltern der Zielgruppe sein könnten.

Mit der Nachfolgeaktion „Nazis aus dem Takt bringen“ (www.nazisausdemtaktbringen.de) sollen die Schüler selbst zu den Stars werden. Auf der Aktionsseite bei Myspace können junge Bands sich und ihren besten Song einstellen. Die besten 10 kommen dann auf eine CD, die genauso wie die „Starken Stimmen“ in hoher Auflage umsonst an Schulen verteilt wird. Bei der Erstellung werden namhafte Musiker (beim Auftakt waren schon The Boss Hoss, Oceana und Smudo mit dabei) unterstützen und mit Ideen und sicher auch dem ein oder anderen Featuring das Album enorm aufwerten.

Die Hoffnung ist, damit Bands aus dem Kreis der Betroffenen aufzuwerten, die sich selbst gegen rechts einsetzen. Sie zu Helden ihrer jeweiligen Region zu machen kann ein Ansporn sein, der noch spannender ist, als all das bestreben nach Abgrenzung im Jugendalter. Unterstützt von echten Stars der Szenen kann das klappen. Im August werden wir das Ergebnis kennen und auf einem Abschlusskonzert feiern können. Provozieren ist wichtig, aber man erinnere sich selbst, was es damals war, dass einen hinter den Plattenspieler, an die Mikrofone oder auf die Bühnen getrieben hat. Neben dem Wunsch anders zu sein war es auch immer das buhlen um Anerkennung – besonders die vom jeweils anderen Geschlecht…