Obwohl die Manic Street Preachers seit 14 Jahren als Trio unterwegs sind, hatten sie für ihr neues Album “Journal For Plague Lovers” unerwartete Schützenhilfe von ganz weit oben.
Kein Wort zu viel. Jeder Satz sitzt. Im Gespräch ist James Dean Bradfield genauso knackig wie an der Gitarre.
“Die Chemie innerhalb der Band ist außergewöhnlich gut.” Punkt. “Es fehlt an nichts.” Doch machen wir uns nichts vor – solche Aussage kommen von (fast) jeder Band, die ein neues Album unter die Leute bringen will. Im Falle der Manics heißt es “Journal For Plague Lovers”, ist das neunte in ihrer zwanzigjährigen Karriere und doch hat sich Einiges getan: Ihr ehemaliger, inzwischen für Tod erklärter Gitarrist Richie Edwards ist “zurück”, Steve Albini sitzt wieder hinter den Reglern und die Interviews gibt die Band gemeinsam – nicht wie zuletzt von einander befreit.
Aber der Reihe nach. Für viele Fans der Manic Street Preachers ist Richie Edwards ein Relikt längst vergangener Zeiten. Sein Songwriting bestimmte zwar die frühen Alben der Waliser, doch wurde sein plötzliches Verschwinden schnell wettgemacht. “Ich war ein halbes Jahr stinksauer, dass er im Februar 1995 einfach von heute auf morgen verschwand”, sagt Bassist Nicky Wire.
“Andererseits haben wir fest damit gerechnet, dass dies eines Tages passieren würde. Die damalige Tour geriet zum absoluten Fiasko: Richie war ständig high und am Abend bevor er für immer weg war, schlief er auf der Bühne im australischen Sydney im Stehen ein!”
Manic Street Preachers – A Design For Life
Kollege Bradfield lacht und kann sich kaum beherrschen: “Er versuchte sich gegen mich zu lehnen, um pennen zu können. Ich sagte: ‚Rich, was soll der Scheiß, du drängst mich vom Mikro weg!’ Plötzlich wurde mir klar, der Typ schlummert. Während eines Konzerts, aufrecht stehend und trotz all dem Lärm.”
Lange amüsieren sie solche Anekdoten indes nicht. Zu viel Last lag anschließend auf ihren Schultern, denn nicht nur der Hit “Motorcycle Emptiness” entstammte der Feder Edwards, auch ein Großteil der ersten Studiowerke geht auf seine Kappe. “Danach wandten wir uns komplett von ihm ab, erwähnten ihn nicht mehr und machten unser eigenes Ding.”
Was anfänglich hervorragend funktionierte: Sowohl “Everything Must Go” von 1996, als auch das drei Jahre später erschienene “This Is My Thruth, Tell Me Yours” ließen Edwards fast vergessen. Danach fielen die Manic Street Preachers mit “Know Your Enemy” und dem 2004 veröffentlichten “Lifeblood” in eine Sinnkrise.
Nicky:
“Ich kann nicht erklären warum, aber dieser Typ von damals fehlte uns plötzlich – wenn nichts mehr ging, zauberte Richie immer einen fantastischen Song aus seinem Notizbuch und wir waren inzwischen an einen Punkt angelangt, wo wir uns wie Nachlachverwalter der eigenen Musik vorkamen.”
Apropos Notizbuch. Für ihr aktuelles Werk “Journal For Plague Lovers” wurde genau dieses geöffnet. Edwards hatte zig Songskizzen und Lyrics vor seinem Verschwinden geschrieben, als wolle er seinen Jungs die Sache erleichtern. “Im vergangenen Jahr bekamen wir vom NME den Genius-Award, standen zu dritt auf der Bühne und dachten, hier fehlt jemand – denn eigentlich hätte Rich die Auszeichnung genauso verdient.” Was Bradfield dazu bewog, seinem Kollegen Wire – der im Besitz des eben erwähnten Notizbuches ist – aufzufordern, in den Aufzeichnungen des viel Gescholtenen rumzustöbern und zu schauen, was man für eine Single oder EP verwenden könnte.
Aus der Idee wurde ein ganzes Album – wie kam es dazu? War es nicht schwer, über 15 Jahre alte Aufzeichnungen verwerten zu wollen?
Nicky Wire: “Ganz und gar nicht. Wir nahmen wirklich nur die Texte und haben die Melodien selbst geschrieben. Was mich an den Arbeiten zu ‚Plague For Journal Lovers’ am meisten beeindruckt: Niemand hatte Berührungsängste und wir konnten Richies Intensionen teilweise verstehen. Seine Lyrics waren oft kryptisch und nicht selten war uns früher schleierhaft, was er damit sagen will.”
James Dean Bradfield:
“Diesmal ging es wie von selbst: Wir überlegten kurz, ob dies ein langsamer oder schneller Song werden soll und nahmen ihn auf. Ob Rich die Platte gefällt? (überlegt) Zwei, drei Songs vielleicht… (lange Pause) Wahrscheinlich würde er sie hassen.” (lacht)
Als prominente Unterstützung habt ihr euch Steve Albini hinter die Regler geholt. Er produzierte ebenfalls euer letztes Album mit Edwards, “The Holy Bible” von ’94.
James Dean Bradfield:
“Ich fand das passte, obwohl mir unsere alten Alben nicht mehr präsent sind…“
Nicky Wire: (unterbricht)
“Stimmt gar nicht, du hast die Platten letztens gehört – ich saß neben dir im Auto.”
James Dean Bradfield:
“Ja gut, ist auch egal! Was ich sagen wollte, Steve kennt die Band einfach in beiden Besetzungen, als Quartett und als Trio. Deswegen konnte er produktionstechnisch den Bogen zwischen unseren Anfangstagen und Heute spannen. Die Arbeit war toll und er hat uns auf den richtigen Weg gebracht.”
Der ganze Bombast der letzten beiden Alben ist fort und allein die Gitarren tragen “Plague For Journal Lovers” – gewollt oder Zufall?
Nicky Wire:
“Wir erkannten uns nach ‚Lifeblood’ nicht wieder. Was wollten wir mit diesem Werk nur aussagen?! Deswegen freut es mich sehr, dass jetzt so viele positive Reaktionen bei uns ankommen und niemand sich daran stört, dass die Manics ein bisschen rocken wollen, like it’s 1994 again!”
Kann man so stehen lassen und klingt nach einer gesunden Einstellung: Das Erbe des Richie Edwards scheint bei den Übriggebliebenen in guten Händen und wenn sie demnächst wieder auf Tour gehen, werden sie ein straffes Fitness-Programm absolvieren –
“wir wollen nur die lauten und schnellen Stücke spielen! Jetzt ist Schluss mit Pop, der Rock hat die Manics zurück!” So soll es sein.
Marcus Willfroth
VÖ: 15.05.09
Label: Rca Int. (Sony Music)
Tracklist:
01. Peeled Apples
02. Jackie Collins Existential Question Time
03. Me And Stephen Hawking
04. This Joke Sport Severed
05. Journal For Plague Lovers
06. She Bathed Herself In A Bath Of Bleach
07. Facing Page: Top Left
08. Marlon J.D.
09. Doors Closing Slowly
10. All Is Vanity
11. Pretension//Repulsion
12. Virginia State Epileptic Colony
13. William’s Last Words
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