Im Alter von 19 Jahren tauschte die Schottin Sharleen Spiteri ihre Frisörschere gegen eine Gitarre, gründete mit ein paar Freunden 1986 die Band Texas und wurde mit ihr zu einer der erfolgreichsten britischen Sängerinnen der Neunziger Jahre.
13 Top Ten-Hits und 15 Platinauszeichnungen später gönnt die allein erziehende Mutter, zu deren Fans u.a. die US-Komikerin und Moderatorin Ellen Degeneres gehört, ihren Jungs eine Pause und legt mit “Melody” ihr erstes Soloalbum vor.
Frau Spiteri, um gleich mal die obligatorische Frage hinter uns zu bringen: Bedeutet ihr Soloalbum das Ende von Texas?
Nein, definitiv nicht. Ich hatte nur irgendwann diese Songs geschrieben, von denen ich gleich merkte, dass sie nicht das richtige für ein Texas-Album sind. Es fühlte sich nicht an wie etwas für uns als Band – und klang vor allem nicht so. Diese Reise wollte ich alleine antreten und legte keinen Wert darauf, dass meine Jungs mir dabei zusehen. Also entschloss ich mich zu dem Soloalbum. Doch das bedeutet in keinster Weise, dass wir uns aufgelöst haben.
Es war also gar kein lange gehegter Traum, mal ganz alleine im Rampenlicht zu stehen?
Gar nicht. Ich hatte noch nicht einmal einen Plan. Die Sache ergab sich einfach ganz von allein, während ich eigentlich Songs für Texas schreiben wollte. Es war auch gar kein Anlass für Diskussionen innerhalb der Band, als ich habe den Jungs irgendwann Bescheid gab, dass ich ein bisschen Zeit bräuchte, um für mich dieses Album auf den Weg zu bringen. Unser Gitarrist war damals ohnehin gerade mit seiner Fotografie beschäftigt und der Keyboarder stellte eine andere Band zusammen, mit der auf Tour gehen wollte, von daher war ich noch nicht einmal die erste, die eigene Projekte in Angriff nahm. Zwischen uns verlief das alles sehr unproblematisch.
Zumindest Ihr Bandkollege John McElhone hat dann ja letzten Endes doch auch an “Melody” mitgearbeitet…
Er ist einfach ein zu guter Kumpel von mir. Seine Frau ist meine beste Freundin, deswegen sehen wir uns auch privat ständig. Da kommt es natürlich ab und zu vor, dass wir abends eine Gitarre in der Hand haben und plötzlich ein paar Songs schreiben. Irgendwie war es fast zwangsläufig, dass davon auch etwas auf meinem Soloalbum landet.
Es klingt, als sei es bei Ihnen in der Band immer ausgesprochen harmonisch zugegangen.
Nur weil wir uns privat gut verstehen und es nie Pläne gab, dauerhaft getrennter Wege zu gehen, heißt das nicht, dass wir uns nicht regelmäßig gestritten haben. Das bleibt doch nicht aus, wenn so überzeugt von einer Sache ist wie wir von Texas. Es gab hunderte Streits! Starke Persönlichkeiten mit starken Ansichten müssen sich zwangsläufig aneinander reiben, aber genau das machte uns zu der Band, die wir waren. Die Leidenschaft, mit der wir bei der Sache sind, bringt solche Konflikte mit sich, aber das konnten wir immer kreativ nutzen. Wir glauben an uns als Band, es macht viel Spaß – und deswegen würde ich meine Jungs auch nie gehen lassen. Selbst wenn sie wollten! Außerdem kennen wir uns größtenteils, seit wir 18 Jahre alt sind. Das ist doch fast wie eine Familie, oder nicht?
Wie war im Gegensatz dazu die Arbeit an “Melody”? Vom Schreiben übers Spielen vielen Instrumente bis hin zum Produzieren haben Sie fast alles selbst gemacht…
Stimmt, aber das war längst nicht so anstrengend, wie es sich vielleicht anhört. Im Gegenteil war es eher eine befreiende Erfahrung. Dadurch, dass ich niemandem erklären musste, wie sich die Songs in meinem Kopf anhören, war es beinahe stressfrei. Ich war zu keinem Zeitpunkt irgendwie frustriert, weil jemand meine Vision nicht verstand oder ich mich nicht klar genug erklären konnte. Fast war es wie früher als Teenager, als man in seinem Zimmer Mix-Tapes für die besten Freunde zusammengestellte: ich konnte auf meinem Album alles genauso machen, wie ich es wollte.
Haben Sie alles zu Hause gemacht?
Ja, überwiegend ist das Album in meinem Haus in London entstanden, einiges auch zuhause in Glasgow. Außerdem hatte ich für vier Wochen ein Haus in Spanien gemietet, dort wurden zwei oder drei Songs fertig. Das war gleichzeitig natürlich auch wie Urlaub, ich hatte meine Tochter dabei und verschiedene Freunde, einiger Musiker kamen dann ab und zu eingeflogen.
Sharleen Spiteri – All The Times I Cried
Mischen Sie gerne diese beiden Sphären, den “Job” und das Private?
Unbedingt, denn Musik ist einfach ein riesiger Teil meines gesamten Lebens, nicht nur meine Arbeit. Ich bin absolut froh darüber, nicht jeden Morgen in ein Büro gehen muss. Ich kann einfach arbeiten wann und wie viel ich will. Das ist doch ein herrliches, einfaches Leben. Allerdings ist es nicht zwingend unanstrengend, denn natürlich muss man sehr diszipliniert sein, wenn man unter diesen Umständen auch wirklich etwas schaffen will. Deswegen setze ich mich wirklich jeden Tag hin und arbeite an Songs, wenn es um ein neues Album geht. Manchmal kommt dabei nichts heraus, aber ich muss es wenigstens versucht haben.
Erstellen Sie vorher eine Art von Konzept? Die neuen Songs haben alle eine sehr bestimmten Sound, eindeutig inspiriert von Leuten wie Dusty Springfield und Nancy Sinatra.
Genau das hatte ich mir im Vorfeld vorgenommen. Das Album sollte ein bisschen klingen wie eine Produktion von Lee Hazlewood. Diese Platten begleiten mich schon mein Leben lang, und genau das war auch der Sound, den ich bei Texas immer nur ein bisschen, aber nie voll zum Zuge kommen lassen konnte.
Von Amy Winehouse über Duffy bis Adele berufen sich derzeit zahlreiche Kolleginnen auf diese Vorbilder. Besteht da nicht die Gefahr, dass Sie jetzt ein wenig spät dran sind?
Klar, das ist gerade ein Modetrend. Aber ich habe schon immer allen von diesen Platten vorgeschwärmt, auch als sie vollkommen out waren. Gerade musste ich daran denken, wie ich in den 90ern für die Titelgeschichte eines englischen Musikmagazins die Highlights meiner Plattensammlung vorstellen musste. Da zog ich auch schon Nancy Sinatra, Serge Gainsbourg, die Shangri-Las oder Blondie aus dem Regal. Damals sorgte so etwas für Schulterzucken, heute erinnert sich scheinbar die ganze Welt an diese tolle Musik.
Sind Sie jetzt also froh, dass die anderen auch alle auf den Geschmack gekommen sind oder ärgern Sie sich, dass Sie nun nur noch eine von vielen sind?
Das natürlich nicht. Niemand kann Musik schließlich für sich alleine besitzen. Aber ich bin mir manchmal nicht sicher, ob all diese Mädels wirklich wissen, wem sie da nacheifern und wer all die Künstler sind, die ich schon seit 30 Jahren liebe. Außerdem klingen wir ja nicht alle gleich. Meine Kombination aus all diesen Sounds und Einflüssen ist meine ganz eigene Kombination. Und sie haben eben ihre, selbst wenn manches da vielleicht ähnliche Ursprünge hat. Wir sprechen hier ja von zwei ganz unterschiedlichen Generationen, deswegen wurden meine Kolleginnen natürlich von ganz anderen Sachen geprägt als ich. Amy Winehouses Texte könnte ich gar nicht schreiben. Wenn sie von ihrem Sixpack aus dem Supermarkt singt, dann hat das mit dem Alltag meiner Jugend nichts zu tun – und mit meinem Leben heute auch nicht.
Sharleen Spiteri – Stop, I Don’t Love You Anymore
Wo Sie den legendären Gainsbourg angesprochen haben: der Titelsong “Melody” basiert auf einem Cover von “Jane B”. Ist es einfach, dafür an die Rechte zu kommen?
Im Grunde ja, denn er hatte die gleiche Plattenfirma wie ich. Außerdem haben wir mit Texas schon öfter Samples aus seinen Liedern verwendet, so dass ich bereits gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit seiner Familie hatte, die die Rechte besitzt. Aber man muss natürlich jedes Mal wieder anfragen – und Jane Birkin und Charlotte Gainsbourg entscheiden zusammen mit einem kleinen Komitee persönlich darüber, wer was verwenden darf. Übrigens habe ich Serge noch persönlich kennen gelernt. Als wir 1989 in Frankreich unsere erste Goldene Schallplatte bekamen, hat er sie mir überreicht. Er ist also quasi mein Glücksbringer! Wobei mir gerade auffällt, dass Jane Birkins Ehemänner irgendwie öfter meinen Weg kreuzen, denn John Barry habe ich auch mal getroffen. Sie scheint wirklich einen exzellenten Männergeschmack zu haben.
Wie sind bzw. waren diese Männer denn?
Unglaublich charmant, voller Lust am Leben und auf eine gewisse Weise vorwitzig. Irgendwie frech und ein wenig ungezogen, so dass man zunächst ein wenig verunsichert, aber eben doch sofort um den Finger gewickelt ist. Bob Dylan, den ich auch kenne, hat diesen ganz besonderen Charme übrigens auch. Er ist fast ein wenig böse – und zum Schreien komisch. Das gefällt mir sehr.
Dylan ist ein Spaßvogel?
Und wie. Bob Dylan ist sogar auf hysterische Weise komisch! Wenn man so klug ist wie er, muss man das doch eigentlich sein. Er hat einen wahnsinnig smarten Humor. Aber man muss auf Zack sein, um ihn zu verstehen, denn wenn man bei Dylan nicht aufpasst, bekommt man seine feinen, subtilen Spitzen gar nicht mit.
Kommen wir noch einmal auf “Melody” zurück. Sie haben gesagt, das sei ein sehr weibliches Album. Was genau meinen Sie damit?
Naja, ich bin nun einmal eine Frau und habe hier alles selbst geschrieben, produziert und gesungen. Der Gesang, also meine weibliche Stimme, war dabei das absolut wichtigste, das Zentrum, um das herum alles andere arrangiert wurde. Der Fokus lag also eindeutig auf meiner Persönlichkeit, meinem weiblichen Wahnsinn. Die Energie dieser Songs erscheint mir einfach weiblicher als etwa jene mit Texas, denen oft eine gewisse Androgynität anhaftete, auch in den Texten. Dieses Mal sind es ganz uneingeschränkt meine Sichtweise, meine Erfahrungen und meine Gefühle, um die es hier geht. Es ist das persönlichste Album, das ich je gemacht habe.
Interview: Patrick Heidmann
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