Paradise Lost sind wohl ohne Frage eine der wandlungsfähigsten Bands der Musiklandschaft. Ob sie nun Death Metal, Doom Metal, Gothik oder Pop spielten, langweilig wurde es nie. Es ist die Geschichte einer Band, die Grenzen aufgestoßen hat, an ihnen fast gescheitert wäre und heute erneut in alter Stärke glänzt.
Ende der 90er geht der Trend in der Metal-Szene in Richtung „je brutaler/schneller, desto besser“. Doch einige Jungs aus Halifax, im schönen England, haben auf diesen Wettstreit keine Lust und versuchen stattdessen, mit schleppenden Riffs die gewünschte Härte zu erzielen. Die Spaßbremsen hören auf die Namen Nick Holmes (Gesang), Greg Mackintosh (Gitarre), Aaron Aedy (Gitarre), Stephen Edmondson (Bass) und Mathew „Tuds“ Archer (Drums) und nennen sich nach dem bekannten Werk von John Milton „Paradise Lost“.
Sie produzieren zwei Demo-Tapes, bevor das Label Peaceville Records auf die Engländer und ihre Mischung aus Death und Doom Metal aufmerksam werden und unter Vertrag nimmt. 1990 steht mit „Lost Paradise“ das erste Werk in den Regalen. Noch hält sich die Band in den musikalischen Regionen der Demos auf und kreuzt Death Vocals mit fettem Doom Metal. Doch ein Merkmal lässt Presse und Fans aufhorchen. Die Platte enthält tatsächlich weiblichen Gesang. Ein Novum im Bereich des Death Metal. Das Experiment mit Kay Field geht auf und so geht das folgende Album noch einen Schritt weiter.
Mit dem 1991er „Gothic“ lassen Paradise Lost ein ganz neues Genre entstehen: Gothic-Metal. Düstere, finstere Growls, schwere Gitarren, dazu ein engelsgleicher und liebreizender Frauengesang. Die Schöne und das Biest sozusagen. Statt Kay Field singt jedoch Sarah Marrion den weiblichen Part. Die Hinzunahme des „The Raptured Symphony Orchestra“ zahlt sich ebenso aus. Das Album verzaubert durch eine ungewöhnliche und tiefschwarze Atmosphäre, die ein ganzes Spektrum an Bands in der Folgezeit entstehen lassen sollte.
Paradise Lost wechseln zu Music For Nations und präsentieren 1993 „Shades Of God“. Mittlerweile haben sich die Death Metal Elemente sehr in den Hintergrund gespielt. Gothik-Sound bestimmt das Bild. Ausgerechnet der Bonus-Track „As I Die“ wird einer der größten Hits in der langen Karriere der Engländer. Warum sie dann aber mit den Krachwerkern von Kreator und Morbid Angel auf Tour geschickt werden, weiß wohl nur das Label. Nachdem sie weltweit viel Lob ernten können, schickt sich mit „Icon“ (1993) schon die nächste Entwicklung an. Nick packt den cleanen Gesang aus, was mitunter an James Hetfield (Metallica) erinnert. Death Metal Elemente sind kaum noch spürbar. Obwohl die Scheibe als Durchbruch der Band-Historie gilt, steigt Drummer „Tuds“ aus. Für ihn wird der ehemalige Life-Drummer Lee Morris, den Platz am Schlagzeug übernehmen. Wieder mal zeigt das Label ihr Können und schickt sie mit Sepultura auf Tour – muss man nicht verstehen.
1995 folgt „Draconian Times“ – ein starker 15. Platz in den Deutschen Albumcharts zeugt vom richtigen Weg, den die Briten eingeschlagen haben. Highlight der folgenden Shows ist der Headliner-Gig auf dem Dynamo Open Air vor 120.000 Fans. Das Kredo der Band muss wohl zu der Zeit lauten, niemals auf der selben Stelle zu tanzen. Haben sich sie sich mit den letzten Alben Schritt für Schritt entwickelt, kommt mit „One Second“ (1997) ein großer Satz in Richtung Mainstream. Obwohl das Album mit jeder Menge großartiger Songs besticht, werden erste Stimmen laut, die den Ausverkauf propagieren.
Paradise Lost wechseln zum Major-Label EMI und verstören ihre Fans mit den Nachfolger „Host“ (1999) endgültig. Die ruhige und elektronische Grundstimmung bringt bei vielen Fans das Fass zum Überlaufen. Statt Metal regieren Depeche Mode-artige Sounds, die zwar in den Charts (Platz 4 in Deutschland) punkten können, aber auch live nie so recht zünden wollen. Doch aus finanzieller Hinsicht ist das Werk ein Erfolg und so versuchen sie, diesen Stil zu verfeinern.
Das gelingt ihnen mit „Believe In Nothing“ (2001) jedoch nur ansatzweise. Mit John Fryer holen sie sich sogar den ehemaligen Depeche Mode und HIM-Produzenten ins Studio, doch die Kritik ist verhalten. Da nützt selbst der leicht gestiegene Anteil der Gitarren nicht mehr viel. Die Band trennt sich von EMI und wechselt zu G.U.N. Records. Sofort geht’s zurück ins Studio, diesmal mit Elektro-Legende Rhys Fulber an den Reglern. Das im Herbst 2002 erscheinende „Symbol Of Life“ deutet erste Tendenzen einer Rückkehr zu den Wurzeln an. Gitarren bestimmen wieder den Sound, doch die ganz große Euphorie bleibt auch unter den Fans aus. Genau wie bei Schlagzeuger Lee Morris, der nach einer Skandinavien-Tour seinen Abschied bekannt gibt. Paradise Lost nehmen sich eine Auszeit und sollen erst wieder im Jahre 2005 von sich Reden machen.
Da steht nämlich das nächste Album in den Läden, mit Jeff Singer hinter die Schießbude. Das schlicht selbstbetitelte Album „Paradise Lost“ knallt härter als seine Vorgänger und zeigt deutlich, dass man sich endgültig von elektronischen Geklimper verabschiedet hat. Die Tourplanungen müssen im Anschluss teilweise auf Eis gelegt werden, da Greg gesundheitlich des Öfteren starke Probleme hat. Doch diese werden behoben und gemeinsam geht es 2006 erneut ins Studio.
Mit frischer Kraft und neu gewonnener Energie machen sie sich auf, es allen Kritikern noch einmal richtig zu zeigen. Während der Aufnahmen unterzeichnen sie noch nebenbei einen Deal mit Century Media, bevor im Mai 2007 „In Requiem“ veröffentlicht wird. Die Presse jubelt, verteilt Höchstnoten und feiert die Wiedergeburt einer Legende. Das düstere und kraftvolle Werk kann auch die Fans überzeugen und beschert den Briten ihren zweiten Frühling. Es geht zusammen mit Nightwish auf Tour und sogar bei den Filmfestspielen in Cannes ist man anwesend, um die Paradise Lost-Dokumentation „Over The Madness“ zu präsentieren.
Im Jahr 2008 geht es zunächst mit den Finnischen Gothik-Rockern von HIM auf Tour, bevor im Sommer etliche Festivals dem Charme der Briten erliegen. Ende Mai erscheint mit “The Anatomy Of Melancholy” eine weitere Live-DVD.
Paradise Lost sind:
Nick Holmes – Gesang
Greg Mackintosh – Gitarre
Aaron Aedy – Gitarre
Steve Edmondson – Bass
Jeff Singer – Schlagzeug
Enrico Ahlig
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