Berlin, Anhalter Bahnhof. Ein Hotel der gehobenen Preisklasse. Hinter den massiven Fensterscheiben der Suite fallen dicke Regentropfen lautlos in den Innenhof. Courtney Taylor-Taylor, Sänger und Mastermind der Dandy Warhols liegt erschöpft auf dem Sofa und blickt glasig unter seinen tiefhängenden Lidern hervor in den grauen Himmel. Auf dem Couchtisch stehen einige leere Teller, Bier- und Weinflaschen. Die Luft im Zimmer riecht verbraucht. Der Interview-Marathon anlässlich der ersten neuen Platte seit drei Jahren scheint den 41-jährigen ermüdet zu haben. Nur schleppend antwortet er zu Beginn auf die Fragen.
Du siehst müde aus. Viele Interviews heute gehabt?
Es geht. Inzwischen dürfte ich daran gewöhnt sein, keinen Schlaf mehr zu bekommen.
Du hast letztes Jahr deine langjährige Freundin Lockett geehelicht. Ist 41 Jahre ein gutes Alter um zu heiraten?
Irgendwann war ich ja mal fällig. (lacht matt) Nein, im Ernst: Wenn man wie ich ein bestimmtes Alter erreicht hat, dann fängt man automatisch an sich Gedanken über ein paar grundsätzliche Fragen zu machen: “Will ich diesen Rockstar-Scheiß noch ewig machen? Wo will ich eigentlich hin im Leben? Und mit wem will ich diesen Weg gehen?” Dank meiner Frau habe ich jetzt eine bessere Vorstellung davon, was wirklich wichtig ist. Wir lieben es zum Beispiel richtig lange zu verreisen. Richtig abschalten, neue Perspektiven einnehmen…
Ging es auch bei eurem neuen Album “Earth to the Dandy Warhols” darum einen neuen Blickpunkt einzunehmen? Das ganze Artwork ist bestimmt von diesem Astronauten-Motiv. Vier einsame Raumfahrer, die die Erde umkreisen.
Nicht wirklich. Bei diesem Motiv ging es eher darum, unsere Entfremdung von den Dingen die uns umgeben darzustellen. Wenn man jahrelang nur tourt und im Studio hockt, verliert man irgendwann den Bezug zu der realen Welt. Ständig wachst du an unbekannten Orten auf. Ständig diese verwirrenden Eindrücke. Ständig redet jemand auf dich ein und will dir erzählen was du zu tun oder zu lassen hast… Und irgendwann machst du dich frei von diesem ganzen Bullshit. Du siehst alles wie durch eine Glasdecke. Oder wie aus sehr großer Höhe. Und wenn du dann ganz alleine da oben fliegst und das ganze Theater da unten beobachtest, fängst du langsam wieder klar zu sehen. Und auf dich selbst zu hören.
Spiegelt sich das in den Songs wieder?
Klar. Jedes unserer Alben hat ein bestimmtes Thema, dass sich durch die Songs zieht. Dieses mal ging es vor allem darum mal in Ruhe herauszufinden was wir bisher gelernt haben und was wir tun können. “What we found out is that we don’t know. We just do.” Es war super. Dieses ganze detailverliebte Herumexperimentieren. Hier den Bass lauter, da ein neues Sample… Seitdem wir ein eigenes Studio haben wir einfach viel mehr Möglichkeiten mit diesen ganzen technischen Gimmicks herumzuspielen. Und das Ergebnis klingt so wunderschön und mächtig. Du musst es unbedingt mal auf einer richtigen High-End-Anlage hören. Erst dann lebt die Platte richtig auf. Dann kannst du die ganzen Details hören.
Der letzte Ton des letzten Tracks ist gleichzeitig der Anfang des ersten Tracks. So kann man die Platte ohne Bruch auf Repeat hören…
Genau solche Details meine ich.
Ist das für Kiffer gedacht, die zu faul sind aufzustehen und eine neue CD einzulegen?
(Lacht) Ja, warum nicht!
Das Album klingt elektronischer und psychedelischer als alles was ihr davor gemacht habt. Habt ihr endgültig keine Lust mehr auf Gitarren?
Ehrlich gesagt hatten wir schon den Eindruck ein richtiges Gitarrenalbum gemacht zu haben. Vielleicht liegt es an Songs wie “Mission Control” die tatsächlich sehr elektronisch und funky geraten sind. Da siehst du wie sehr wir schon den Kontakt zur Erde verloren haben (Er schmunzelt und räkelt sich noch tiefer in die Polster hinein).
Euer 2004er Album “Come On Feel The Dandy” war nur über eure Website zu haben. Euer aktuelles Album kann man dort streamen. Habt ihr gute Erfahrungen mit dem Netz als Vertriebsweg gemacht?
Sicher. Wir produzieren inzwischen so viel Output – das können wir über die traditionellen Kanäle gar nicht alles auf den Markt bringen. Digital Subscription ist die Zukunft. Aber letztendlich ist es mir nicht so wichtig, wie unsere Musik zu den Leuten kommt. Das Internet ist kein Wert an sich. Nur ein weiteres Werkzeug.
Andy Warhol wäre auf jeden Fall stolz auf euch. Musikdownload kommt seinem Ideal von “serieller Massenproduktion von Kunst” ziemlich nahe, oder?
Vielleicht, ich würde allerdings meine Plattensammlung für kein Geld der Welt aufgeben. Der Klang von MP3s ist so verdammt “flach”. Manchmal bin ich schon etwas desillusioniert, mit was für einer miesen Klangqualität die Leute heute schon zufrieden sind. Ich rate dir wirklich unser Album nicht nur auf MP3 zu hören. Dir entgeht die Hälfte. Glaub mir. Wofür haben wir uns sonst soviel Mühe gegeben?!
Matthias Pflügner
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