Die Hamburger Band Herrenmagazin gibt es schon seit vier Jahren. Eilig hatten sie es nie. Zum Interview stellen Buchautor, Paketepacker, Stadlober-Mitmusiker und Schlagzeuger Rasmus Engler (keine Altersangabe) sowie der frischgebackene Veranstaltungskaufmann, Paketepacker, Sänger und Gitarrist Deniz Jaspersen (25) sogar den “Tatort” hinten an. Und haben dabei mehr zu lachen, als ihr clever abgehangenes, zwischen den Duesenjaegern und Kim Frank hüpfendes Debüt “Atzelgift”, vermuten lässt.
Ihr habt gerade erst Eure Release-Party über die Bühne gebracht. Alle überlebt?
Deniz: Das war unsere T-Shirt-Release-Party, das Album kommt ja erst noch. Von unserem Merchandise von Herrenmagazin-Damenslips bis zum neuen Herrenmagazin-Büchlein “Klipp und Klapp stürzen in die Obdachlosigkeit” über zwei Putzwürmer, beides übrigens von Rasmus kreiiert, haben wir mal wieder kaum was verkauft. Aber es hat gereicht, um dem Mob von den Einnahmen zwei Flaschen Schnaps zu spendieren!
Was hat es mit diesem “Atzelgift” eigentlich genauer auf sich?
Deniz: Den Namen hat Rasmus angeschleppt, es ist der Name eines Kurorts in der Pfalz, da kommt er her. Das Lied handelt von einem Bekannten, der sehr exzessive Drogenerfahrungen gemacht und eine Karriere aufs Parkett gelegt hat, die man nicht vermuten könnte. Drogen gleich Gift, passender Titel also. Dann waren wir verzweifelt, weil wir keine gescheiten Einfälle für einen Albumtitel hatten. Und von den Songtiteln war “Atzelgift” dann der schmissigste.
Wo wir schon bei Namensfragen sind: Was war die dämlichste Geschichte, die ihr je über den Ursprung eures Bandnamens erzählt habt?
Rasmus: Bei Gary haben wir immer was anderes erzählt, weil die eigentliche Geschichte sehr langweilig ist. Bei Herrenmagazin fällt es schon schwerer, eine gute Lügengeschichte zu finden. Dafür haben wir mit Gary auch ein neues Album aufgenommen, während “Atzelgift” für uns schon ein Jahr alt ist.
Warum erscheint die Platte dann erst jetzt?
Deniz: Ende April letzten Jahres wurde sie in Berlin aufgenommen. Nach dem Mischen waren wir schon mitten im Sommerloch. Dann haben Schrottgrenze, die uns ja erst bei Motor empfohlen hatten, ihr Album auf unseren Release-Termin gelegt, und bei einem kleinen Label geht eben nur eines zu einer Zeit. Im September musste ich mich auf meine Abschlussprüfung als Veranstaltungskaufmann vorbereiten. Zum Weihnachtsgeschäft darf oder macht man so eine Veröffentlichung ja auch nicht, und so zog sich das bis April durch, als es dann “sechster Juni” hieß. Man muss sich da ja beugen.
Das befreundete Grand Hotel Van Cleef war keine Option?
Rasmus: Da wären wir schnell in dieser Schublade gelandet. Das wollten wir nicht so gerne. Außerdem hatte das GHVC weder Zeit noch Kapazitäten. Aber wie ich ohne zu prahlen sagen möchte: Es wird schon bereut. Was nicht bedeutet, dass plötzlich Kapazitäten frei wären.
Braucht man heutzutage, wo sowieso kaum wer Platten kauft, überhaupt noch ein Label?
Deniz: Eine Band wie wir braucht auf jeden Fall ein Label, weil wir chronisch pleite und immer zerstreut sind. Da ist es ungemein hilfreich, wenn es jemanden gibt, der einen dran erinnert, dass man weitermachen muss. Auch wurde uns ja die Produktion der Platte bezahlt, wofür wir sehr dankbar sind. Von schwarzen Zahlen habe ich trotzdem schon lange aufgehört zu träumen.
Seit Kettcars Debüt hat deutscher Gitarrenpop Hochkonjunktur, es folgten die Dorfdiskos, Virginia Jetzt!s und Madsens dieser Republik. Jetzt sind Kettcar mit ihrem dritten Album zurück. Befinden wir uns in einer guten oder schlechten Zeit für Herrenmagazin?
Deniz: Ich habe ja den Eindruck, dass englischer Garagenkram derzeit noch hipper als deutscher Indierock ist. Vielleicht ist es dennoch berechtigt zu fragen. Aber unsere Musik ist die, die wir selber lieben und hören, auch wenn das jetzt eitel klingen mag. Es macht uns Spass, wir sind rundum zufrieden mit der Platte. Jetzt gucken wir, was passiert. Was uns von anderen Indiebands unterscheidet ist eine gewisse “Scheissegal”-Haltung, die wir an den Tag legen. Wir entscheiden vieles spontan, kümmern uns nicht so um die Dinge und haben keinen krankhaften Ehrgeiz. Wir posten keine MySpace-Bulletins, haben noch nie ein Demo verschickt und lassen alles auf uns zu kommen. Man sollte heutzutage nichts erwarten, sonst wäre die Enttäuschung nur umso größer. Ansonsten sind wir noch ein bisschen depressiver als die anderen! (lacht)
Schon in der ersten Single “Der langsame Tod eines sehr großen Tieres” heißt es “Da geht mein aufrechter Gang”, auch sonst strotzt “Atzelgift” nicht vor Optimismus. Ihr seid doch noch gar nicht so alt!
Deniz: Wir sind auch gar nicht so schlecht gelaunt! Zumindest ich bin 95% aller Momente ziemlich gut drauf. Trotzdem kommen aus mir immer traurige Sachen heraus. Ich weiss nicht wieso, aber ich habe mich damit abgefunden.
Und wie kommt sowas auf`s Papier?
Deniz: Rasmus und ich sind die Hauptsongschreiber. Bei uns beiden entstehen die Texte aus einer spontanen Laune heraus. In der Regel ist das Ding schnell geritzt, wir feilen da nicht Ewigkeiten dran. Ich bin nämlich auch sehr unordentlich und verliere immer die Zettel, wo die Texte draufstehen.
Auf dem Shirt im Video zur Single steht “Musik statt Mädchen”. Habt ihr jetzt keine Freundinnen mehr?
Deniz: Das hatte keine weitere Aussage. Und ja, wir haben alle eine Freundin, aber schreib das lieber nicht! Sagen wir: Philip ist sogar verheiratet, Paul und ich haben eine Freundin und Rasmus ist Single! (Gelächter)
Im Info zum Album ist die Rede von “schwermütiger Musik, geboren aus moll-lastigem Postpunk und dem verlorenen Glauben an so ziemlich alles.” Was für ein Postpunk war das?
Rasmus: In meiner Jugend habe ich fast ausschließlich Deutschpunk gehört. Natürlich Oma Hans, Dackelblut und Blumen am Arsch der Hölle, aber auch richtige Punkbands wie Kotzbrocken oder Blitzkrieg.
Setzt ihr Euch hin und denkt bewusst darüber nach, was für Einflüsse ihren Platz bekommen sollten?
Rasmus: Nein das passiert einfach. Ich habe noch nie Musik gemacht und mir überlegt, wie was klingen soll. Ausser bei der “Bierbeben”-7″, aber bei Coverversionen ist ja von vornherein ein Konzept da. Bei Herrenmagazin gibt es das bis heute nicht. So kann das auch nichts werden: ‚Aha, jetzt ist die nervöse Gitarre en vogue…’. Das is das Problem der Bands, die immer Fähnchen im Wind sein müssen, weil sie krampfhaft nach Aufmerksamkeit schielen.
“Die klingen authentisch”: Seit Marcus Wiehbuschs Zeile “lieber peinlich als authentisch, denn authentisch war schon Hitler” neigt man zur Vermeidung einer solchen Umschreibung. Oder?
Rasmus: Ist schon ein doofes Wort. Klingt wie die moderne Version von “der Sänger is ‘ne ehrliche Haut”. Hans Hartz ist ‘ne ehrliche Haut. Eine ehrliche Haut ist der Whiskey-Tresen-Typ. Was soll auch unauthentische Musik schon sein? Selbst wenn eine Band noch so schlecht oder doof ist, kommt das von Herzen und ist deshalb authentlisch. Die geben sich ja Mühe und versuchen das, was sie am besten können. Das ist authentisch, also ist doch jeder authentisch.
Und was beflügelt Euch selbst am Band-Dasein mehr: Das Spielen der fertigen Songs oder deren Entstehung?
Rasmus: Der kreative Prozess, den man zusammen durchläuft: Im Proberaum langsam beigreifen, dass die anderen ein Lied von dir begreifen…
Deniz: …oder die anderen steigen ein und spielen was komplett anderes als du dir vorgestellt hattest. Das ist auch geil und so ein “Aha”-Moment, wo man merkt, dass die eigenen Ideen auch nicht immer das Nonpluslutra sind. Man tendiert ja schon dazu, den eigenen Stil zu wiederholen.
Fabian Soethof
No Comment