Während man als Liebhaber genuiner Gitarrenpopmusik mit Geschichtsbewusstsein in den letzten Jahren eher auf die schwedische Provinz als auf die Herkunfts-Insel blickte, heißt es hier mal wieder Umdenken. Denn ‚Coming Up From The Streets’ klingt so britisch, als wäre Weisswurst zum Fünf-Uhr-Tee das natürlichste von der Welt. Isn’t it?
Soul Sister
Als Mitte der Neunziger die Popwelt sich abermals einer britischen Invasion gegenüber sah, ging man selbst in Furth im Wald anscheinend nicht mit geschlossenen Augen durchs Leben. Zumindest gilt diese Behauptung in Bezug auf unser -ja, richtig – Brüderpaar Thomas (Gesang) und Rainer (Gitarre, Gesang) Marschel. Und da wir ja von den Kinks über Oasis bis hin zu Mando Diao und Sugarplum Fairy bereits um die Wichtigkeit geschwisterlicher Gene in jenem Genre-Kontext wissen, erfüllen Atomic bereits schon in dieser Beziehung die essentielle Grundvorrausetzung. Geprägt vom britischen Sound der zweiten (Oasis, The Verve, Ocean Colour Scene) und sukzessive ersten Generation (Beatles, Rolling Stones, The Who, Kinks) musikalischer Größen aus Großbritannien, entlehnen die beiden Ende der Neunziger ihren Bandnamen dem damaligen und heutigen Dreh- und Angelpunkt der Münchener Indie-Szene, dem Atomic Café und beginnen nach und nach sowie später dann natürlich auch ebendort willkommene Bühnengäste zu werden. Ihr erstes Tondokument, in Form der 2002er EP ‚The Big Issue’ erfreut sich nicht nur als Mitbringsel von den Live-Konzerten, sondern sogar bei der königlichen Musikpresse großer Beliebtheit, wird es doch mit einer Rezension im englischen Fachorgan für den nächsten heißen Scheiß, dem NME, mit einer Analogie zu Oasis bedacht. Nicht schlecht. Das Debütalbum ‚Wonderland Boulevard’ (2005) unterstreicht Atomics guten Ruf weiterhin, der sich unter anderem mit Tourneen im Vorprogramm des großen Modfathers Paul Weller oder der Babyshambles bezahlt macht.
Springen wir in die Gegenwart und bleiben musikalisch doch ganz bei den Sechzigern. Mit ‚Coming Up From The Streets’ und neuer Besetzung neben der Familienbande, beweisen Atomic nicht nur ihre ehrlich erarbeitete Dorf-Straßen-Glaubwürdigkeit, sondern gleichermaßen ihre Gassenhauerqualitäten. Nahezu leichtfüßig gelingt die Aufforderung zum Tanz im rassigen Opener ‚Soul Sister’ – die Gitarren schön knackig, der Gesang gut genölt und jeder Hand-Clap sitzt – perfekt. Dazu noch das feine Gespür für einen guten Chorus sowie eine extrem angenehm lebendige wie kraftvolle Produktion und es bleiben keine Wünsche offen. Was auch für den weiteren Verlauf gilt. ‚Magic Daydream’ hat das Gitarrenmotiv, das Oasis seit vier Alben suchen. ‚Oh Suzanne’ oder ‚I Am A Man’ haben die Flockigkeit, die einen zu seligen ‚Morning Glory’-Zeiten noch mit einem Grinsen aus den Federn trieb. Und auf dem bittersüßen und -ja selbstverständlich auch -sinfonischen ‚Something Wonderful’ wird sich dann auch richtig mit Verve in Schale geworfen. Und dafür muss man in diesem Falle noch nicht mal die Stones beklauen. Dass neben perlendem Gitarrenpop zum Ausklang mit ‚High & Fall’ dann noch ein elegant opulentes Finale mit allen dynamischen und stimmungsvollen Finessen gereicht wird, ist dann nur noch das Sahnehäubchen auf dem Tee. Oder der süße Senf. Egal, wer auf der Suche nach alternativer Britpop-Energieversorgung ist, kann einfach nicht anders, als bei Atomic bedenkenlos zugreifen. Denn an den Jungs aus Furth im Wald führt mit diesem Album erst recht kein Weg mehr vorbei, wenn man die nächste Roller-Tour nach Brighton und den dazugehörigen Soundtrack plant.
Frank Thießies
» www.new.atomic-band.de
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