Das Melt ist meine Ex-Freundin, die mich in regelmäßigen Abständen anruft: "Bitte, lass es uns doch noch mal versuchen". Nach einem exzessiven Wochenende voller Sex, Drogen und guter Musik entscheide ich mich dann dagegen. Bis zum nächsten Mal.
Eigentlich will man da gar nicht hin. Die krachvollen Shuttles, das hektische Publikum, dem man jederzeit anmerkt, dass es Angst hat eine Band zu verpassen, der verschissene Kommerz. Entweder du steigst jetzt in diese Telefonzelle und lässt dir darin Gummibälle um die Ohren hauen – 18 gelbe und 2 rote. Und wenn du den richtigen fängst, fährst du am Montag in einem neuen Opel Adam nach Hause. Oder aber, du lässt dich in eines dieser Taucherbecken hinab und fischst am Grund nach einem waterproof Sony Experia. Wenn der PR-Guy nickt, dann darfst du es mit nach Hause nehmen. Die meiste restliche Zeit wirst du eh damit beschäftigt sein, von Mainstage zu Gemini Stage zur Desperados Stage zu ballern, immer mit einem Auge auf dem Plan. Denn genau auf der anderen Seite vom Gelände spielt gerade deine Lieblingsband dein Lieblingslied. Unter Garantie. Und du kannst absolut nichts dagegen unternehmen.
JAMES BLAKE
Nachdem wir ein paar Interviews geführt hatten, mit Typen die wir entweder nicht besonders gut kannten oder uns zumindest recht wenig für sie interessierten, wurde uns mit jeder Minute immer bewusster, dass sich bald dieser Typ namens James Blake hinter sein Piano setzen und uns ganz behutsam die Ohren wegpusten würde. Und zwar insbesondere uns. Denn niemand kommt näher an eine physische Erfahrung von Musik, als die tapferen Männer ganz vorne an der Front. Ich meine: im Fotograben. Und wir haben uns mittenrein gestürzt. Es gibt da diesen Punkt, an dem dein Trommelfell nicht mehr weiß, was es mit den einhämmernden Signalen anfangen soll. Es weiß einfach nicht wo es all diese Dezibels verstauen soll, wenn der Gehörgang erstmal gestopft voll ist wie das Melt-Shuttle zu Stoßzeiten. Ich nenne diesen Moment "spekulative Realität". Einfach weil es unmöglich ist, ihn wirklich nachvollziehbar zu beschreiben. Deine Gefühle, Sinne und körperlichen Kapazitäten verflechten sich in den Momenten im Graben zu einem medusaartigen Kranz, der sich aber sofort wieder auflöst, hast du den Graben erst wieder verlassen. Was auch immer ich euch erzähle: einfach jeder Versuch die großen Wahrheiten des Grabens darzustellen gibt letztlich nur meine eigene Perspektive wieder. Ein korrelationistischer Zirkel. Ich kann meine Gefühle aus dem Graben gar nicht teilen, sie können schlichtweg nicht aus mir heraustreten, um die Welt "an sich" mit dem Graben "für uns" zu vergleichen. Und zu unterscheiden, was von unserer Beziehung zur Welt nach diesem Erlebnis abhängt – und was zur Welt selbst gehört. Alles klar, oder?
PURITY RING & THE KNIFE
Die beiden Bands könnten sich ähnlicher sein, als sie es vermutlich selbst wahr haben wollen. Aber beide sind interessiert an so Zeug wie Geistern, Übersinnlichem und dem ganz unheimlichen Gefühl, wenn man etwas wieder trifft, das man eigentlich zu kennen glaubt, doch dann sieht es komplett anders aus. Am schimmsten ist es, wenn die ganze Sache mit deinem vertraulichsten und intimsten Ort überhaupt, deiner Familie zu tun hat. Und sowohl Megan James als auch Karin Anderson beschreiben ihre Erfahrungen mit solchen Erlebnissen. Bei The Knife ist mittlerweile übrigens eine Gebärmutter verpflichtende Voraussetzung für einen Job im Technik-Team. Karins Bruder Olof, der für die Beats zuständig ist, hat sich nämlich neulich in Stockholm für Gender Studies eingeschrieben. Und die haben ihm erstmal eine effektive Gehirnwäsche verpasst. Auf künstlerischer Ebene wirkt der Plan vom einzigen Geschlecht dann aber wieder sinnvoll. Die Choreographie, bei der man irgendwann gar nicht mehr zwischen Männlein und Weiblein unterscheiden kann ist einfach der Hammer und erinnert an die Euphorie einer Schultheatergruppe nach dem ersten Vodka-Ahoi auf Klassenfahrt. Purity Ring machen übrigens immer noch ihre alte Show: Der Typ steht hinten und trommelt auf diesen Pappmaché-Glühbirnen rum, die kurz aufleuchten, wenn man sie schlägt. Manche klingen wie eine Snare, andere wie eine Bass Drum. Megan steht vorn und trägt ihre Traumtagebucheinträge vor. Zwischendurch haut sie immer mal auf diese große Trommel, die sich auch gut am Game-of-Thrones-Set machen würde. Meistens haut sie jedoch voll daneben, was dann von einem wissenden Sichanlächeln zwischen den beiden gleichmäßig charmant und mit einer ordentlichen Portion "Awkward" einerseits quittiert und andererseits auch wieder ausgebügelt wird.
MYKKI BLANCO & ZEBRA KATZ
Erst readen sie dich, dann voguen sie dich gegen die Wand. Und nenn es bitte nicht Queer Rap. Ich meine, du nennst doch auch Jay-Z's Musik nicht Straight-Dude-With-Big-Cock-Rap. Oder doch? Mykki und Zebra sind jedenfalls die charmantesten Rap-Dudes seit einer verdammt langen Zeit. Nein ehrlich, sie sind der SHIT. Zieht euch einfach mal ein paar Songs von den beiden rein (für alle, die noch kein Spotify haben oder Thom Yorke heißen: auf YouTube gibt es fast alles gratis) und denkt nicht zuviel über den ganzen Transgender-Kram nach. Dann bleiben die wirklich poetischen Flows nämlich einfach auf der Strecke und ihr vergesst völlig Mykkis 16er Bars, die derzeit die besten weit und breit sind, bis in den Kern zu folgen. Doch genau da solltet ihr hin.
Josa Valentin Mania-Schlegel
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