(Foto: Alena Sternberg)
Weil wir von der neuen Platte von Katharsis absolut begeistert waren (lies hier unsere Rezension), konnten wir nicht davon ablassen, dem Leipziger Rapper zu seinem Album per Mail noch ein paar Fragen zu stellen. „1984“ ist vor gut einem Monat am 14. Februar erschienen und ist ein Monster von einem Rapalbum – in die Länge, wie auch in die Tiefe.
Die vier Seiten der Doppel-LP sind so angelegt, dass sie jeweils unterschiedliche Stimmungen einfangen. Kannst Du kurz für die, die die Platte noch nicht gehört haben, ausführen, was sie erwartet?
Auf der ersten Platte des Albums findet man die soundtechnisch eher nach vorn gewandten Tracks. Sie repräsentieren den Sound, zu dem ich im Proberaum plus auf der Bühne mit meinem Drummer Karl, sowie meinem Gitarristen Paul gefunden habe. Bei Tracks wie Schnellstraßen, Super Marios, Alle Frei, Nacht und Generation Playstation ging es wirklich darum, dem Thema der Platte nahezukommen, die Botschaft zu transportieren und am Ende einfach einen runden Track zu haben, den man sich auch in zehn Jahren noch anhören kann. Sowieso muss man dem Medium Vinyl ja gerecht werden, weil es eben nicht zum dauerskippen gemacht ist. Die erste Platte ist in sich klassischer, kann man sagen, es gibt keine Ausbüchser und die Sachen sind in sich geschlossen. Als wir vom Label erfahren haben, dass die sich nach dem Hören der ersten Tracks auch über eine Doppelvinyl freuen würden, haben wir weiter an dem Album gearbeitet. Nun ging es freilich nicht darum, die bereits existierenden Tracks einfach zu kopieren. Ein ‚Generation Playstation‘ reicht, und ein ‚Pampa hinter Prag‘ auch, ein ‚Fußballplatz‘ und so weiter. Deswegen geht die zweite Platte in eine andere Richtung und ist offener gehalten. Da gibt es Stücke, die stark an meiner musikalischen Vergangenheit orientiert sind, beispielsweise trägt ‚Zurück in Metropolis‘ ja den Namen eines alten Albums, das ich mit Target aufgenommen habe, im Titel und ist lyrisch stark daran orientiert. Gleichzeitig gibt es auf Platte Zwei auch sehr experimentelle Tracks wie ‚Rude Boys‘. Diese Art des Gesangs habe ich ja bis jetzt eher und ausschließlich in Hooks zu FV-Tracks untergebracht. Hier hab ich das einfach mal in einem ganzen Song gemacht.
Festhalten kann man wohl, dass es eher düster zugeht, schon im Intro prophezeist Du einen aufziehenden Sturm. Wenn es auf der Platte mal feierlich wird, dann meist als Ausdruck des Zusammenhalts und Widerstands gegen eine Bedrohung, die du allerdings kaum konkretisierst. Was hat dich zu diesem Album angetrieben?
Das ist wunderbar, dass du das erkennst, mit dieser allgegenwärtigen Bedrohung, die ich nicht konkretisieren mag. Erstens zeige ich ungern mit dem Finger auf Personen, und wenn, dann war es immer dumm, und auch nicht auf Wege, sprich auch nicht auf Interpretationen. Ich bin immer ungern gefolgt, bin aber auch keiner, der gern führt. Deswegen konkretisiere ich nicht, sondern überlasse das dem Hörer. Ich bin fasziniert von den Arbeiten des magischen Realismus, der neuen Sachlichkeit und verwandten Wegen. Auch in diesen Bildern gibt es eine allgegenwärtige Bedrohung, etwas das dich verfolgt, Blut im Lehm, von dem alle sagen, dass er nicht zu tief ist. Aber man weiß, dass man versinkt. Ich finde es unglaublich antreibend mich mit Literatur und bildender Kunst auseinanderzusetzen. Ein befreundeter Künstler, Ronny Bulik, sitzt gerade an einer Video-Collage zu einem Track, den ich mit Paw Cut aus Minden aufgenommen habe. Ich bin sehr gespannt, was passieren wird.
Zum Punkt des von dir angesprochen ‚Zusammenhalts‘ muss ich natürlich sagen, dass ich das mit Absicht bis ins Absurde treibe, das macht ja oft keinen Sinn, immer gegen alles zusammenzuhalten. Aber das ist egal, da du in diesen beschriebenen Situationen ja nicht so denkst, wenn ich einen Text über Suff und Widerstand schreibe, den viel zu heißen Sommer, der uns zu Tieren unterm Strohdach macht, dann muss ich die Textlogik auch so aufbauen. An dem Sturm, der uns am Ende der Straße erwartet, sind wir schließlich selbst Schuld.
1984“ ist gerade erst auf die Welt gekommen, da ist die Nachfolge-LP „Kosmonautenallee“ bereits so weit, dass immerhin schon ein Name im Raum steht. Gibt es schon weitere, konkretere Details? „1984“ hat 22 Stücke, das sind nicht wenige, wie kommt es, dass Du so produktiv bist?
‚Kosmonautenallee‘ ist bereits aufgenommen. Wir sitzen am Fine-Tuning. Das Cover steht auch schon, es handelt sich dabei um eine Malerei von Markus Liehr. Markus ist einer, den ich sehr bewundere. Fantastische Bilder, im Wortsinn, dabei handwerklich sehr, sehr fit. Prinzipiell bin ich nicht sooo produktiv. Aber ich habe mich einfach entschieden, das zu machen, was ich tue. Schreiben. Ich kann einfach abends nicht schlafen gehen, ohne zumindest irgendetwas festgehalten zu haben. Ich weiß nicht, ob ich an Wiedergeburt glaube, Fakt ist aber, dass ich dieses eine Leben eben nur einmal leben kann. Das nächste ist ja ein anderes, da bin ich vielleicht ein Wrestler, der gar nicht schreiben kann. Deswegen ist es mir persönlich wichtiger, die nächste Platte aufzunehmen und die Möglichkeit zu finden, die irgendwie zu pressen, als in irgendwelchen dämlichen Formaten über Rap zu quatschen, YouTube-Klicks zu sammeln, zu Platten, die dann so schlecht sind, dass sie doch keiner kauft. In einem Album-Prozess setze ich mich musikalisch nur mit dem jeweiligen Produzenten auseinander. Alles andere bleibt draußen. Und so passiert es eben, dass man sehr effektiv arbeiten kann. Zusätzlich, das muss ich zugeben, hat Exodus, mit dem ich in der Vergangenheit hin und wieder Tracks aufgenommen habe, das Album ‚Kosmonautenallee‘ beeinflusst. Also er hat viel Feedback gegeben und wird auf der Platte auch zu hören sein. Zudem arbeiten er und Paw Cut nun an Tracks, worüber ich mich sehr freue. Paw Cut ist ein sehr effektiver Mensch. Er hat eine ähnliche Besessenheit und Arbeitsgeschwindigkeit. Chapeau!
Hast Du währenddessen überhaupt noch Zeit für die Funkverteidiger?
Klar. Wir sehen uns alle ja relativ regelmäßig. Hin und wieder gibt es ja auch sehr teambildende Auftritte. Natürlich auch diesen Sommer. Die Funkverteidiger-Alben entstehen eh alle in einer Session. Heißt, wir treffen uns im Studio und bleiben dort solange, bis wir uns nicht mehr sehen können. Meistens sind dann aber schon viele Tracks entstanden – in einer sehr komprimierten Zeit. Von daher, klar FV, das wird nie eine Frage der Zeit sein.
Wie kamen die vielen Kollaborationen zu Stande? Man hört ja öfter mal, dass „nur“ Dateien hin und her geschickt werden, wie bist Du mit deinen Gästen an die Sache heran gegangen?
Ach, dass man Dateien hin und her schickt, finde ich nicht so schlimm. Es ist halt auch eine Frage des Sounds. Beispielsweise sagte ich ja, dass die FV-Tracks sehr oft Session-mäßig aufgenommen werden, wenn alle am Start sind. Das prägt dann diesen Sound, den wir auf FV-Platten definitiv wollen. Es gibt aber auch Künstler, die gern alleine arbeiten, weil sie eben jenen anderen Sound wollen, jene Atmosphäre des Alleinseins brauchen. Das kann auch cool sein. Bei 1984 ist beides mixed, mit einigen Leuten war ich im Studio, mit anderen habe ich Files gesendet. Ich habe mit fast allen natürlich schon mal gesoffen. Einige sind ja leider weg vom Trinken. Man muss halt auch schauen, was finanzierbar ist. Einer meiner Lieblingstracks auf dem Album ist mit Slowy. Mit dem hab ich schon oft abgehangen, er hat uns im FV-Studio besucht oder ich hab seine Live-Fähigkeiten bewundern können. Trotzdem haben wir bei dem Track, soweit ich mich erinnern kann, Files geschickt. Zu dem Zeitpunkt war ich kalendertechnisch mit dem Album einfach zu eingespannt und gleichzeitig zu broke, um eine Deutschlandreise wegen einer Aufnahme anzutreten. Das Internet ist nun mal da, und ich bin nicht so 90er, dass ich alles Face to Face oder mit Brieftaube erledigen muss, haha.
Man liest von einer neuen Livetauglichkeit des neuen Albums, sogar eine Bandumsetzung ist im Gespräch. Wie wird sich das äußern/ kann man dich bald öfter live sehen?
Naja ich feiere halt nicht so krass dieses, äh, klassische und ökonomische Deutsch-MCing, also dass man irgendwo in Castrop-Rauxel mit einer Beat-CD aufschlägt, die einschmeißt, und rappt. Klar, es gibt einige, die machen das geil, der Blonde zum Beispiel. Viel mehr machen es aber schlecht. Deswegen ist es zum Beispiel viel fetter, mit FV aufzutreten, in einem Team, wo sich auf der Bühne jeder mit jedem auseinandersetzen muss. Find ich spannender. Auch sind Tragödien und Highlights so viel unterhaltsamer. Und wenn ich irgendwo ‚solo‘ auftreten werde, werde ich definitiv meinen Drummer und meinen Gitarristen mitnehmen, einfach weil man ja ‚spielen‘ will, und das Wort auch als solches begreifen sollte, damit es langfristig Spaß macht. Es geht mir ja nicht um Geld. Klar kommt mehr Kohle rum, wenn du alleine fährst, statt in Horde, aber who cares.
An welchen Stellen kommen die Figur Katharsis und Du als reale Person am meisten zusammen, wo haben sie kaum etwas miteinander zu tun?
Das ist eine gute Frage, auf die ich die Antwort nicht weiß. Ich sage ja immer gern, dass es alles fiktiv ist. Natürlich ist das reiner Selbstschutz, damit man mich nicht mit diesen Fragen nervt, haha. Sagen wir es so, ich versuche schon an den Hörer zu denken, und die Geschichte so weiterzuentwickeln, dass es für ihn Sinn macht, weiter zuzuhören. Wenn ich im Text nach links gehe, kann es also auch sein, dass ich in der Realität weiter geradeaus gelaufen bin. Und nicht immer, wenn ich ‚ich‘ sage meine ich mich. Natürlich bin ich auch sehr oft mit ‚du‘ gemeint. Es fasziniert mich einfach, mich mit Menschen auseinanderzusetzen und gewisse Handlungsweisen nachvollziehen zu können, wenn es immer nur ich wäre, wäre das für mich langweilig. Perspektivspiel also inbegriffen und auch deswegen das häufige Unterlassen jeglicher Wertung.
(Deutschem) Hip-Hop wird gerade allerortens nachgesagt, in einer Hochphase zu stehen. Was ist da deiner Meinung nach dran und aus welcher Perspektive beobachtest Du das als Rapper? Ist das schon der Zenit oder ist Hip-Hop nun endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen? (Das hatte man ja schon Anfang der Nuller Jahre gedacht, bis Rap wieder mehr zur Subkultur wurde.)
Ich weiß das nicht, da ich von dem Hype nicht profitiere. Gerade ist ja eine bestimmte Art von Beat und eine bestimmte Art von Rap sehr gefragt. Das interessiert mich aber eher wenig, da ich mich dazu entschieden habe, mich davon nicht beeinflussen zu lassen. Leute sagen auch mal, hier mach doch mal mit dem Musik, rap doch mal auf solche Beats und so weiter. Mir egal. Ich habe mal so ein Schlüsselerlebnis mit einer Künstlerin gehabt, die spielt Orgelmusik und macht sehr, äh, vermarktungsfeindliche Aufnahmen. Jedenfalls fragte ich sie, warum. Sie sagte, ‚weil ich muss‘. Einfach, aber gut. Deswegen kann ich jetzt auch nicht so viel über Rap in der Mitte der Gesellschaft erzählen. Ich höre halt oft aus der Musik heraus, dass sie eben nicht gemacht wird, weil jemand aus seinem Inneren heraus, genau das tun muss. Andererseits gibt es immer wieder schöne Lieder, bei denen man hört, dass da jemand richtige Entscheidungen getroffen hat, für sich und für uns, die Hörer. Trotzdem hoffe ich, dass keiner von uns in dieser Mitte ankommt. Dann kommt halt so Rap raus, der nur Altmännerfantasien zum Gegenstand hat. Fassen wir es auf ‚meine Nikes, mein Haus, meine Frauen, mein tolles Land über alles blubb bla‘ zusammen. Die Jungs und Mädels denken dann, sie würden den Aufstand proben, doch könnten in Wirklichkeit easy CDU wählen. Damit meine ich dieses Onkelz-Phänomen, das immer einen ominösen Aufstand und ein Rebellentum im Mund führt, doch in Wirklichkeit Konsens in den schlimmsten Bereichen ist. Ich habe gar nicht so viel gegen die CDU, aber gegen viele Menschen, die sie aus bestimmten Motiven wählen. In dieser Mitte möchte ich niemals ankommen.
(Marc Augustat)
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