Wir trauen uns mal was: Von Phoria wird man noch öfter hören. Überall. An jeder Ecke. Zumindest da, wo es gute Musik gibt. Warum das so ist? Bittesehr:

Phoria zelebrieren Langsamkeit. Beispielsweise Emanate, die erste Single der neuen Display EP, baut sich geradezu nervenzerreißend langsam auf, wird dabei aber keinesfalls langweilig. Nein, der Sound ist in jeder Sekunde auf den Punkt perfekt, zunächst akustisch, bestehend aus tiefem Summen das in erster Linie von Klatschen durchgetaktet wird. Schließlich klopft die Elektronik an die Tür, traut sich anfangs kaum herein, bleibt schüchtern stehen, tritt ihre Zigarette an der Türschwelle aus, nur um dann mit uns allen eine Party zu feiern. Phoria setzen eine Dramaturgie ein die man aktuell auch von The Acid kennt, klingen dabei aber analoger, direkter, sind weniger verkopft. In ihren Synth-lastigen Momenten erinnern sie an bessere Versionen so schrulliger Projekte wie iamamiahoami, die nie so cool geworden sind, wie sie hätten werden können. Und Songs wie Red funktionieren auch ganz ohne Elektronik und verlieren dabei an nichts. Das kann nicht jeder.

Dabei haben Phoria bislang noch kein ganzes Album veröffentlicht: Auf die Debüt-EP Yourself Still von 2010 folgte 2013 Bloodworks, und in dieser Woche schließlich Display. Die Phoria-freien Abschnitte werden also kürzer. Ist da etwa was im Busch? Wir haben Tim von Phoria ein paar Fragen gestellt, um den Kosmos der Briten aus Brighton ein wenig besser zu verstehen: 

Wer seid ihr?

Wir sind Phoria! Ed, Jeb, Trewin, Seryn und Tim. Ich bin Tim. Ich spiele Synthesizer und Bass. Immer öfter Synthesizer. Die anderen spielen auch Instrumente, aber ich pflege das zu ignorieren.

Warum macht ihr Musik?

Das ist eine schwierige Frage! Ernsthaft, ich kann mich an keinen Grund erinnern – das ist einfach was wir machen. Wie der Judgement Day in Terminator 3 unausweichlich ist, ist es unvermeidbar, dass wir Musik machen. Eigentlich sind wir nur Freunde die Instrumente mit sich herum tragen.

Was macht eure neue Display EP besonders?

Wir stellen uns gerne vor, dass das etwas Neues ist. Viele Leute sagen uns das und ich habe nichts dagegen, der Meinung der Mehrheit zu folgen (auch wenn mir da niemand zustimmt). Display ist auf jeden Fall ein Zeichen, wo es hingehen soll. Wir wollen uns für interessante Musik einsetzen. Gerade scheint es viel zu wenig davon zu geben, besonders hier in Großbritannien, und die neue Einfachheit, mit der man heute mit neuen Musik-Technologien arbeiten kann, könnte da helfen. Wir wollen, dass es zugänglich bleibt, unterhaltsam, seltsam, mysteriös, leidenschaftlich, persönlich und ursprünglich. Wir glauben dass diese Dinge sehr wichtig sind, also ist es schön, Display auf eine Welt los zu lassen, in der das zu selten passiert.

Vergleicht man Display mit unseren älteren Sachen, dann ist die Musik wahrschienlich sogar noch komplexer, aber ich glaube, dass die Strukturen angenehmer sind. Es ist ein wenig tighter. Die Tracks sind auch etwas komprimierter – der Sound ist dichter. Es gibt auch einen Track, Atomic, der sich wie ich finde von allem unterscheidet, was gerade herauskommt. Darauf bin ich stolz.

Warum ist langsam besser als schnell?

Langsam ist nicht immer besser als schnell, das kann sicher jeder Flugbegleiter mit glasigen Augen und rotem Gesicht bestätigen. Aber die Welt dreht sich heute für so viele Menschen so schnell, dass manchmal der Einfluss der Musik auf die Psyche das Einzige ist, womit man die Zügel wieder in die Hand nehmen kann, um alles etwas abzubremsen. Jeder Fernsehsender ist heute MTV und das Internet versucht einem alle fünf Minuten etwas anzudrehen. Du musst dies probieren, du musst jenes probieren…

Eine sich langsam herausbildende aber interessante Idee – eine, die etwas Partizipation von dem erfordert, der sie aufnimmt – ist merkwürdigerweise ein neuer Weg, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erhalten. Ich glaube, die vernetzte Welt hat bald genug vom Tempo der Information und wird dann wieder Dinge mit Substanz verlangen. Dazu muss alles langsamer werden.

Ich rede hier nicht unbedingt über unsere Musik, aber … du weißt schon. Gerade sind wir an dem Punkt, an dem der faule Hase gewinnt und die Schildkröte unbedingt lauter werden muss.

Wenn ihr ein Genre für eure Musik erfinden könntet, wie würde es heißen, und warum?

Ich würde es „Bitte. Bitte nicht. Bitte gebt der Sache keinen Namen, nur um sie einfacher vermarkten zu können“ nennen. Musiker sind wahrscheinlich am schlechtesten darin, Musik zu beschreiben. Wir geben gerne vor, zu abgehoben für so krasse Konzepte wie „akkurate und sinnvolle Beschreibung von Phänomenen“ zu sein.

Der Rest der Band würde es wahrscheinlich „Nu-Great-Hop“ nennen, weil es großartig ist. Das könnt ihr nehmen.

Was ist die größte Leistung die ihr als Band bisher geschafft habt?

Ich habe mal fünf Tassen Tee in zwei Händen transportiert, ohne mir die Finger zu verbrennen.

Es gab Dinge wie bei den Olympischen Spielen 2012 auftreten zu dürfen, das war großartig – aber das war eine Team-Leistung, für die viele Menschen gearbeitet haben. Ich glaube, alle Bands leisten zur Zeit schon etwas, indem sie in der Strömung des Markts überhaupt überleben. Man muss alles können: Marketing, Verhandlungen, Gaunereien, Networking, Repräsentation, kreativ sein und dabei Musik machen. Wir hatten Gigs mit riesigen interaktiven Visuals und haben den Leuten meistens etwas mitgegeben, was sie mit nach Hause nehmen konnten – in Form einer wunderbaren Erfahrung. Unsere größte Leistung ist, dass wir tun, was wir tun und dass wir dabei enthusiastisch genug bleiben, um weiter zu machen.

Wenn euer Song Emanate eine Person wäre, wie würde sie/er aussehen? Was wäre ihr/sein Rang in der Display-Gang?

Emanate ist ein geschlechtsloses bisexuelles Wesen, das in der mittleren Führungsebene arbeitet, dabei aber Fahrradshorts trägt und absurd überdimensionierte Arm-Muskeln besitzt. Emanate fährt eine automatische Hover-Disc, die die Schwachen mit Süßigkeiten beschießt. Aber unser Freund „Simone“ Emanate hat den Sitz so weit wie möglich zurück gestellt und hört dabei transzendent meditierend ein Hörbuch von Bobby Charlton.

Der Song herrscht über die Bauern des Display-Landguts, aber besucht gerne die Hütten seiner Untertanen, um sich billigem Fusel und den Dichtungen des Volkes hinzugeben.

Wir würden Simone sehr gerne mal treffen/liebkosen.

Seht ihr euch selbst als elektronische Band? Songs wie Red scheinen ja auch wunderbar als akustische Versionen zu funktionieren. Was ist die Rolle elektronischer Instrumente in eurem Sound?

Wir wechseln hin und her. Die Songs sind so stark auch von nicht-elektronischen Dingen wie Folk oder Klassik beeinflusst, dass wir ganz natürlich auch mal zu akustischen Elementen wechseln können, einfach um dem Song ein wenig Luft zu geben. Beat-betonte Elektronik passt meiner Meinung nach eher zum Leben in der Stadt. Wenn man in der Klaustrophobie des 21. Jahrhunderts gefangen ist, ist es manchmal ganz schön sich vorzustellen, dass es da draußen wunderschöne grüne Wiesen gibt, die nur darauf warten, bestaunt zu werden.

Manchmal will man nur noch mit einem schmutzigen Handschuh ins Gesicht geschlagen werden und manchmal möchte man eine Katze streicheln. Wir beschäftigen uns gar nicht so gerne mit uns selbst. Wir mögen Dinge, die uns ermöglichen genau das zu tun, um ein wenig Freiraum zu bewahren.

Bisher habt ihr drei EPs veröffentlicht. Warum fokussiert ihr euch auf EPs? Plant ihr ein ganzes Album heraus zu bringen?

In den EPs geht/ging es um das Wachsen. Es ist schwer zu sagen, warum wir das so gemacht haben, wie wir es gemacht haben, außer dass es sich einfach natürlich angefühlt hat, genau so. Es ist sehr merkwürdig, denn wenn man in der Band ist, dann kennt man diesen Haufen Material, den wir haben und man sieht die Band dann immer in diesem Licht. Während ich das hier schreibe muss ich daran denken, dass wir nur 13 Songs haben, für die man uns kennt. Das ist merkwürdig, denn für mich ist Phoria etwa 100 Songs, also habe ich eine andere Sicht auf die Band. Wir haben auch Songs, die wir nur live spielen und die man sonst noch nirgends hören kann.

Belassen wir es dabei: Wir versuchen, für alles was wir haben einen Platz zu finden. Wir freuen uns auf das, was als nächstes kommt.

In unserem Interview sagte Fink dass er keine Lust mehr auf Brighton hatte und die Stadt daher auch verlassen hat. Inwiefern seid ihr von eurer Stadt beeinflusst? Was ist gut / schlecht in Brighton?

Ich habe vor einiger Zeit ein Interview gelesen, in dem stand, dass Brighton voll von Leuten sei, die gute Ideen haben, die niemals umgesetzt werden – dass die Stadt also voller pseudo-Künstler ist, die niemals irgendetwas fertig bekommen. Das ist okay. Das ist so, wenn man in einer kreativen Stadt ist. Die Stadt verändert sich gerade ein wenig, sie wird immer hipper, was auch okay ist. Das setzt mir schon etwas zu, aber … so ist das Leben, leider. „Authentizität“ ist ein Traum – einer, der oft als Deckmantel für Unzulänglichkeiten genutzt wird und die Dummheit und Ironie, die es bedeutet zur Zeit in Großbritannien zu leben, weiter anheizt. Schon [Frank, Anm. d. Red.] Zappa hat über Fake-Hippies und Fake-Künstler gesungen, in LA in den 1960ern. Und was ist mit der Stadt passiert? Nichts. Das ist immer noch der Ort, an den man gehen muss, wenn man frei sein möchte, aber auch genauso, wenn man ein Wichser sein will. Und wie ich so gehört habe ergeht es der Stadt nicht schlecht damit. In dieser Stadt kann man man selbst sein, wie auch immer das aussieht. Darum geht es. Wenn man lieber in eine isolierte Stadt ohne Netzwerk gehen möchte, kann das auch funktionieren, oder man sucht sich eine größere aus, wo die Bars hipper und die Zähne schärfer sind. Nirgends ist es perfekt.

Es macht keinen Unterschied, ob es Brighton ist, was uns inspiriert. Es ist die Welt, oder?

Ihr scheint euren Sound immer weiter zu entwickeln. Wie viel von Phoria ist „fertig“?

Ich glaube, du meinst „Meinen wir jemals, dass ein Song wirklich fertig ist?“ Meinst du das? Ich hoffe mal, denn diese Frage werde ich jetzt beantworten:

Wir geben unser Bestes. Wir machen alles selbst… Wenn du dich dann mit dem vergleicht, was im Radio läuft oder die Musik der Leute hörst, die du für die besten Produzenten der Welt hältst, dann findest du immer einen Trick oder eine Technik, die dich wünschen lässt, nochmal ganz von vorne anzufangen. Man hat aber immer ein Ziel im Hinterkopf. Wir versuchen eine sehr bestimmte Stimmung zu erzeugen. Wir scheinen dieses Handwerk immer mehr zu verfeinern anstatt es noch lernen zu müssen, was sehr gut ist.

Ich weiß nicht. Man kann immer mehr machen. Manchmal ist weniger mehr. Manchmal ist mehr weniger. Manchmal ist weniger weniger und manchmal muss man die Dinge beim Namen nennen und sagen „Geh weg, Paps, ich bin jetzt selbst ein Mann!“

Worauf ich hinaus will ist: Das ist eine Wissenschaft mit Fehlern. Sorry für's Off-Topic.

(Foto: Humming Records / Interview: Carsten Brück)