Was passiert, wenn man seit der Kindheit von Mutti und Vati wegen der Druckbeschallung mit Gesprächsradio ausgesetzt wird? Nun ja, zum Einen wird diese Intellektuellen-Konditionierung dazu führen, dass du locker jeden im Trivial Pursuit dominieren kannst, bis keiner mehr mitspielen will. Zum Anderen werden Kindheitserinnerungen wie diese stärker in den Kopf gebrannt und beeinflussen über die Kinderzimmerzeit hinaus. Beim Londoner Quartett Woman’s Hour um die Geschwister Fiona und Will Burgess, das es letztes Jahr nach Touren im Support von Volcano Choir und Metronomy auf Platz 6 der meistgebloggten Bands schaffte, ging die Beeinflussung so weit, dass das Programm vom britischen BBC Radio 4 nicht nur Namenspate für die Band selbst und zahlreiche ihrer Demos stand, sondern darauf außerdem ein Geborgenheitsgefühl im Großstadtchaos impliziert wurde:

Als wir mit der Band starteten, war ich Student und Radio 4 lief immer im Hintergrund. Es war ein beruhigendes Gefühl, diesen Sender zu hören“, sagt Will, und Fiona ergänzt: „Er war gerade nach London gezogen – und es ist wie ein Geborgenheitsfaktor. Wir sind mit diesem Geräusch in unserer Küche aufgewachsen.“

Wie kam der Sound also von der Küche auf ihr Debütalbum „Conversations“?

Als wir anfingen Musik zu schreiben war alles so casual. Es war Spaß. Wir sind durch die Wohnzimmer unserer Freunde gezogen, haben ein bisschen getrunken und einen Abend lang herumgespielt. Unser erster Gig war nicht mal einer, sondern eine meiner Parties. Wir wollten mit unseren Freunden teilen, was bisher niemand gehörte hatte. Wir waren so aufgeregt, dass wir bei dem Auftritt komplett betrunken waren. Vor all deinen Freunden bist du natürlich gehemmt!“ 
Schnaps ist häufig ein treuer Freund, wenn man sich selbst überwinden muss. Dass das im Zusammenspiel mit musikalischen Fertigkeiten dennoch nicht immer die beste Kombination ist, weiß jeder, der je nachts nüchtern Betrunkenen bei der Karaoke zuhörte. Der Sound von Woman’s Hour an besagtem Abend überzeugte dennoch die Freunde. Und vielleicht war genau dieser Moment des Loslassens was die Band um die ob ihrer Stimme so scheue Fiona brauchte, um sich zu befreien und durchzustarten gen ernsthafter Musikerambitionen. Fiona Burgess hatte nie Gesangsunterricht, sang nicht mal als Hobby exzeptionell viel. Wohl gerade deswegen wandert ihre Stimme immer am schmalen Grat zwischen charmant-roh und unschön-untrainiert.

Einen Schritt zurückgehend wird auch die Faszination Musik erklärt, die ebenfalls vom Einfluss der Eltern her rührte. Nicht immer ganz einfach ist es, dem Geschwisterpaar im Gespräch zu folgen, denn wie beim Buhlen um die Gunst der Eltern, Süßigkeitenschublade oder des Weihnachtsmannes wird durcheinander geredet. Fiona übernimmt dann häufig die Redeposition, um den Gedankengang des verstreuteren Bruders in eine geordnetere Richtung zu lenken. Dieses Mal darf aber Will reden: „ Es gab ein Klavier im Haus, ein paar Gitarren. Fiona spielte Klavier, Drums und Cello für eine Weile. Unsere Eltern haben uns bei jedem Wunsch wahnsinnig unterstützt – zum Beispiel mit einem Drum-Kit. Für mich ist nichts hängengeblieben, bis ich die Gitarre in der Hand hatte. Das hat auch ein paar Anläufe gebraucht, aber als ich 10 und meine Hände groß genug waren, hab ich’s langsam gecheckt.“
Fiona fasst noch einmal zusammen: „Für Will – und auch Nick und Josh – war dieses Verlangen, Musiker zu sein, sehr früh da. Ich wusste schon immer, dass ich performen wollte. Ich liebte Musik und das Auftreten an sich.“

„Es ist schwierig, wenn wir gefragt werden, wie unserer Eltern Musiksammlung aussah. Bei uns wurde weniger aufgenommene Musik gespielt als live. Somit bekommst du ein natürliches musikalisches Verständnis. Ich selbst habe nie davon geträumt, Musikerin zu werden. Und das meine ich nicht im negativen Sinn. Ich wusste einfach nie, was ich genau werden wollte und landete hier durch Zufall. Sobald ich mich mit dem Singen wohlfühlte konnte ich aber erfahren, was die Jungs schon kannten: Dieses Wahnsinns-Gefühl, Musik geschaffen zu haben.“
In einem Zeitalter, indem eine Kamera gleichzeitig für einen Peter Jackson-Kinofilm und die Festhaltung des wochenendlichen Picknickes geeignet ist, jeder irgendwie alles ganz ok kann, reicht es nicht mehr aus "nur" gute Musik zu machen. Um aus der Masse herauszustechen muss ein Gesamtpaket aus Optik, Gestik, Visualität her. „Das ist, was wir versuchen zu schaffen. Bis vor kurzem waren wir im Bezug auf die Musikindustrie sehr naiv. Wir treffen so viele Leute aus Bands, die nur über Musik reden wollen. Das ist toll, weil Musik so befähigend ist. Aber es ist auch Teil von etwas Größerem. Wir wollen nicht nur auf den Begriff „Musiker“ festgezurrt werden, wir sind flexibler und instabiler als das.“
Als Künstler im Schaffungsprozess beeinflusst wurde die Band von klassischen Autoren wie Franz Kafka und Albert Camus, Werken wie „Die Verwandlung“ und „Der Fremde“, in denen sich alles um Vereinsamung und Abschottung von Individuen dreht. Solchen Dingen also, die junge Menschen eben beschäftigen, wenn sie sich aus dem gemütlichen Sicherheit des elterlichen Kokons schälen und in einer Großstadt wie London die Ausmaße und negativen Seiten der großen Anonymität und des schier endlosen Meeres an Möglichkeiten entdecken.  
 

Der Sound von Woman’s Hour wirkt manchmal zu sehr gewollt in dieser Welt, in der der Anspruch an das Gesamtpaket so hoch ist. Und auch wenn die Musikvideos teilweise wirken wie die Installation eines Kunststudenten, die abseits des Schaffers auch niemand anders zu durchschauen vermag, bergen die melancholisch-optimistischen Songs auf „Conversations“ eine Catchyness, der wir uns nicht entziehen können. 
 

(Text: Vera Jakubeit / Foto: Oliver Chanarin) 

Das Debütalbum von Woman's Hour erscheint am 11.07.2014 über Secretly Canadian.