Readymade – Verwirrende Rockmusik Formvollendung
“Seien wir ehrlich: Vorband zu sein, ist ein Job für jemanden, der Vater und Mutter erschlagen hat”, sagte Frank zu mir. Wir spielten mit seiner Band zusammen ein paar Konzerte. Wegen ihnen waren 1200 da, wegen uns vier. “Das ist eure halbe Stunde. Macht was draus! Mehr kann ich nicht für euch tun.” Er ging freundlich auf seinen letzten Tagesweg, der ihn glücklicherweise ins Hotel führte. Ich musste weiter. Ich wollte bei einem Freund schlafen.
Wir kreuzen durch das Rhein-Main-Gebiet. Dann Frankfurt. Diese Stadt, deren Straßen und Code-Systeme nur die Einheimischen verstehen können. Wer kann sich durch Frankfurt schlagen, ohne sich zu verfahren? Nur Menschen, die dieses “Falk-Stadt-Plan-Killer”-Navigationssystem haben. Wir fahren durch die Stadt und hören die neue READYMADE-Schallplatte. Pre-Listening-Session einmal anders. Mit meinem Freund im Auto. Rauchend mit Bier. Mehr zerfurcht als heil. Mehr Sid als Xavier.
Erfinde neue Fremdwörter
Eine wunderbar produzierte Ideen- und Akkordschlacht dringt in ein Auto, in dem ich sitzen darf. Klaviere berühren Akustik-Gitarren und dazu eine Stimme, die sich so anhört, als würde sie die Worte “Missgunst” und “Krieg” unter Fremdwörtern führen. Diese Stimme kann Zac Johnson sein Eigen nennen.
Beton einer hässlichen Stadt zieht an mir vorbei. Das Commerzbank-Gebäude sieht aus, als ob es in überdimensionale Handtücher gewickelt wäre. READYMADE als Innercity Soundtrack für Städte, die es noch nie gegeben hat. Menschlich, gut gelaunt und an jeder Ecke einen guten Freund. Die Songs wechseln, wie die Stadtteile, durch die wir fahren: Laut, schweigend, leise, am Boden, ruhig blutend, zuversichtlich. Track by Track die Songs durchhören. Es passieren wunderbare Sachen im CD-Spieler. Sachen, die weiter gehen, als sich auf der Tanzfläche Bier bespritzend “Geil wa`, Alter?” entgegen zu schreien. Songs, die dahingehen, wo Leben passiert und interessant wird. Irgendwo zwischen der Liebe für sich und andere, der konstanten Angst zu scheitern und es gleichzeitig nie für möglich zu halten.
Ein Sound, ein Song, ein Sänger, eine Band, eine Platte machen dir ein Streichelangebot. Du und diese Platte und unsere Hand auf deiner Schulter. Und das “forever”.
In the city that always sleeps
The World Owes Me Everything fordert die Band im zehnten Jahr ihres Bestehens auf einem B-Side-Track einer ihrer neuen Singles. Den ganzen weiten Weg von Wiesbaden bis auf die Bühne, auf der man etwas von der Welt einfordern darf. Vom autonomen Jugendzentrum “Schlachthof”, in dem man probte und Konzerte veranstaltete, weil man “in dem Alter war, in dem man sich nicht mehr beschweren durfte, dass nichts passierte”. Das alte Bild vom “idiot savant”. Der Mann, der es schafft aus dem Nichts, aus der Einöde, die man nun mal Wiesbaden nennen darf, etwas Großes zu schaffen.
Ausufernde, reiche Songs, die sich Zeit lassen ohne “Soma” zu sein. So beruhigend wie mit meinem Freund im Auto zu sitzen. “You could be someone, special to someone.” Der private Sinn des Lebens in einem Satz erklärt. Es darf nicht immer nur Kampf sein. Es muss auch der Abend nach einem heißen Tag in einer Stadt sein. Die guten, guten Leute werden vielleicht an diesen See gezogen, den nur sie kennen. Einer hat den Kassettenrekorder dabei. READYMADE sollte laufen. Man schweigt, denkt: “Sonne, du dumme vernichtende Sau siehst so gut aus, jetzt im See!”. “A day to repeat over and over again” (aus Day 2 ). Sich ausruhen dürfen zwischen zwei Tagen. Sich ausruhen in einem Song.
The Kinks im Nirvana
Und dann doch: The Day We Killed Love. Man könnte den ganzen Text auch durch ein durchgängiges “C´mon, C´mon, C´mon”-Schreien ersetzen. Wann ging es schief? Wann konnte man die anderen nicht mehr verstehen, aber sie werden sich damit auseinander setzen müssen. Hier zu bleiben, und zwar nicht unter euch, höchstens neben euch. Wenn Ihr wollt. Der Tag, an dem wir uns gut fühlten. Zu lange her, aber keine Sekunde davon vergessen.
Every you – Everybody’s Darling trifft Eiswein Supernova, England meets America. Nirvana und die Kinks auf einer Platte. READYMADE schaffen es, sich endgültig von ihrer Leise-Strophe-lauter-Refrain-Politik zu lösen, und schreiben diese wunderbaren Songs zwischen hartem Rock Song (You Call It Trash, We Call It Rock’n’Roll ) bis zur Ballade von stairwaytoheavenesquer Überallgänsehäutigkeit.
Aufgenommen in England mit Ian Grimble in den walisischen Rockfield Studios. Dem Mann, der es damals schaffte, Travis diesen weltumarmenden “The Man Who”-Sound zu geben. Man hört ihn auf dieser Platte genau so, wie das Londoner Streichorchester “Brilliant Strings”, das sich schon für die Streicherparts bei den “Manic Street Preachers”, “Spiritualized” und in Kubrick´s letztem Film “Eyes Wide Shut” verantwortlich zeichnete.
Wir fahren weiter. “Das ist gut, Mann. Das ist echt gut. Das sind Songs, die helfen.” Man bekommt alles und das in bester Form. In Formvollendung. Den 2:46 Rocksong für den kurzen Kick für die Guten und die 6:42 Ballade, die man der verflossenen Liebe auf die Mix-CD brennen kann, die man dann doch 30 m vor ihrem Haus in den Gully schmeißt.
Nicht erinnern wollen und können, aber müssen
“There´s a new world to be born!”, schreien READYMADE und man möchte ihnen gleich mehrere Planeten schenken. Goddam it, give me my Planet.
Und sind wir nicht alle ein bisschen Freunde von Superlativen? All You Need ist einer der fünf schönsten Songs, die jemals zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen komponiert wurden. So gut geschrieben und ausarrangiert, dass man es beim ersten Mal im Stau stehend mitsummen kann und es nach dem fünfzigsten Mal Hören immer noch nicht nervt! Wenn man wirklich noch diesen Musik-von-hier-Komplex mit sich rumträgt, dann ist dieses Lied die Antithese dazu.
Ich traf die Band das erste Mal als Zuschauer bei einem Festival, an das ich mich nicht mehr richtig erinnern möchte und kann. Zac Johnson stand mit dem besten Musik News Anchor Man des Landes auf der Bühne und sang einen Song von Elvis Presley. Bei allem Respekt für den Tablettensüchtigen aus Memphis, ich fand, dass das kaum passte. Sie hätten einen Song von jemandem spielen sollen, in dessen Tradition sie sind. Springsteen, Teenage Fanclub, Smith. Sie sind prädestiniert dazu, sich hier einzureihen. Auch wenn die Band das in ihrer wunderbaren Bescheidenheit nie zugeben würde.
Jemand muss den Job tun, auch wenn sie es noch nicht wissen. Das Auto wird abgeschaltet. Wir kommen an in einem High Style R&B-Hiphop-Club. Aufgelegt wird “socially aware” 90´s Rap. Hier ist die Party, auf der Fotos für die “BILD Szene-Seite” gemacht werden. Wenn die Fotografen Glück hatten, haben sie auf einem der Abzüge einen schlecht gelaunten Mann mit einem verzückten, zuversichtlichen Lächeln auf dem Gesicht, der trotz “Arrested Development” mit 120 Dezibel in seinem Kopf leise die Lieder der neuen READYMADE vor sich hinsummte.
Und wenn sie nur 20 Platten verkauft. Sie wird das geschafft haben, worum es bei Musik geht. Den Boys und Girls in acht Familienhäusern eine Zeit ohne Beschwerden zu geben. Vergiss die Arbeit, vergiss die Sorgen. Da draußen ist ein Leben für dich, das sich lohnt. And it is already made.
Thees Uhlmann im März 2002
READYMADE sind:
Zachary Johnson (Gitarre, Gesang)
Steffen Hardt (Gitarre)
Chris Adelhütte (Bass)
Udo Masshoff (Schlagzeug)
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