Tamtam. Mein Herz klopft an diesem ganz normalen Mittwochmorgen ein wenig schneller. Die Tür fällt knarrend ins Schloss, während José Gonzalez mich auf Händen tragend mit auf einen Spaziergang durch Göteborg nimmt. Wunschdenken? Von wegen. Auf einem Sessel im vierten Stock in einer Hamburger Altbauwohnung lümmelnd, begleite ich den schnieken Schweden bei knackender Verbindung auf seinem Weg zum nächsten Lunch. Und während wir über Katersonntage und den Trend von Entschleunigung sprechen, spielt im Hintergrund sein im Februar veröffentlichtest neues Album ‚Vestiges And Claws‘.
Wer José Gonzalez schon einmal erleben durfte, sei es durch die heimische Atmosphäre des eigenen Plattenspielers, ein Konzert in Begleitung des Göteborg Orchesters oder dem Leben des Walter Mitty, der weiß, wie leicht man sich im Strudel der meditativen Gitarrenklänge verlieren kann.
Wie stehst du eigentlich zur Meditation?
Ich meditiere nicht sehr häufig oder oft. Aber manchmal mache ich es, wenn ich besonders gestresst bin. Hauptsächlich höre ich mir dann Audios mit Anweisungen an. Mediation wird in Schweden immer beliebter und ich glaube, dass Leute das häufig auch erwähnen.
Dieser Mittwoch fühlt sich gerade ein wenig wie Sonntag an. Wie sieht ein perfekter Sonntagmorgen bei dir aus?
Sonntage sind schön, wenn die Sonne scheint und man im Wald laufen gehen kann. Doch leider bin ich sonntags normalerweise ein wenig verkatert. Daher sieht ein Sonntag bei mir vielleicht eher so aus: Eine Pizza zu essen, einen Film zu gucken und vielleicht noch ein wenig zu lesen. Wenn möglich, würde ich mich vielleicht auch mit jemandem aus der Familie treffen.
Welche Lektüre zerrt dich momentan aus dem Hier und Jetzt?
Im Moment lese ich das Buch The Moral Arc von Michael Shemer. Doch an anderen Tagen genieße ich es auch einfach, durch Blogs und Twitter zu streifen und mir Artikel von Zeitungen oder Journalisten durchzulesen.
Wie würdest du deine Verbindung zur Musik und der Gesellschaft, in der du lebst, beschreiben?
Als ich mit der Uni anfing, habe ich Biologie als Studium gewählt. Ich dachte, dass ich damit etwas Entscheidendes für die Gesellschaft tun würde. Aber dann habe ich mich davon abgewendet und angefangen, Musik zu machen und hab mich erstmal wie ein Drückeberger gefühlt […] Also, ich denke, dass meine Musik mehr und mehr ein Teil einer Nische wird. Eine Form von Musik, wie du bereits erwähnt hast, die besser für die Innenperspektivierung und das Entspannen gedacht ist. […] In Schweden bin ich der Teil einer Kultur, die im Allgemeinen sehr gut mit Fremden umgeht. Doch Teil dieses Ganzen zu sein bedeutet –und das sage ich, obwohl ich nicht wirklich aktiv in Politik oder irgendwelchen Organisationen bin- ein Teil einer guten Gesellschaft zu sein.
Wie überträgt sich dieses Lebensgefühl auf deine Musik?
Ich habe mich bei einige Lyrics von dem Geist des Humanismus‘ inspirieren lassen. Also, manche Lieder hören sich beinahe so an, als würde ich direkt zur Menschheit sprechen. So zum Beispiel auch das Lied ‚Every Age‘, das ganz besonders diese Tendenz hat.
Was macht für dich persönlich den Unterschied zwischen der Arbeit mit deiner Band Junip und der Arbeit als Solokünstler aus?
Der große Unterschied ist, dass wir in der Band Junip zusammen schreiben und aufnehmen. Und viele der Lieder von Junip kommen auf eine Art und Weise rüber, die ich nicht allein hätte entwickeln können. Das ist was Großartiges. Es gibt somit einen bestimmten Junip-Style könnte man sagen. Und für das aktuelle Soloprojekt habe ich hingegen vollkommen allein gearbeitet. Das heißt, ich habe alles eigenhändig produziert und gemixt. Und ich war somit in der Lage, meinen künstlerischen Impuls vollkommen und absolut umzusetzen. Es hat was Entspannendes, wenn man nicht alles erklären muss oder an jemand anderes denken musst als an dich selbst. Ich hab das richtig genossen.
Was steht hinter dem assoziativen Titel ‚Vestiges And Claws‘?
Es war gedacht, dass der Titel Raum für Interpretationen lässt. Vestiges heißt so viel wie Überreste von etwas, das Verschwunden ist oder zumindest zum Teil und das eine Funktion hatte, diese nun aber eventuell verloren hat. Ich hab hauptsächlich an kulturelle Überreste gedacht. Aber als ein Konzept, denke ich, dass es sehr erleuchtend ist. Denn vieles von dem was wir sind und was wir machen, kann sehr interessant sein, zu beobachten. Wo immer du diese Spuren auch finden magst.
Vestiges steht hierbei für Reste, Spuren unsererselbst und Claws für die Werkzeuge; sowohl geistig als auch technologisch. Was wiederum als eine Metapher unserer Möglichkeit zu verstehen ist, die eigene Zukunft zu bestimmen oder beeinflussen.
Der perfekte Lebensraum für einen José Gonzalez?
Ich mag die Natur. Momentan lebe ich in dem Appartement meiner Freundin und genieße den Blick über die Stadt. Und ich genieße solche romantischen Ausblicke tatsächlich sehr. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Naturperson bin. Ich mag es gerne, in der Nähe der Stadt zu leben: Mit allem, was sie zu bieten hat. Ich mag den Gedanken, ein Bier zu trinken und in der Lage zu sein, wieder nach Hause zu laufen (lacht).
Die eine philosophische Frage, die dich am meisten fordert?
Ja, ich habe das Gefühl, dass es die Frage des Bewusstseins ist. Es ist vielleicht nicht das, worüber mir selbst so viele Fragen stelle, sondern vielmehr etwas, worüber ich andere Menschen gerne reden höre und mir Gedanken darüber mache, wie ich dieses langzeitliche Problem betitele. Und es gibt so viele interessante Ansätze, wie integrated information theory. Also, meine Hauptinteressen sind Bereiche wie das Gehirn und Bewusstsein. Das ist mein favorisiertes Thema.
Lust zu hören, was José Gonzalez so privat hört? Hier seine Playlist für euch!
[…] geregelt, dass für einzelne Konzerte zusätzlich Tickets besorgt werden müssen. Bei Künstlern wie José Gonzalez muss man also fix sein und in der spanischen Sonne brüten, wenn man ihn sehen will. Mama will auf […]