Wer fünfzehn ist und sich wie ein Arsch verhält, ist fünfzehn – wer 30 ist und sich wie ein Arsch verhält, ist ein Arsch. Wenn man dieser Logik folgt, dann bildet die Jugend eine Form von Utopie, in der man sich ausprobieren kann, ohne wirklich abgestraft zu werden oder um es in Tove Ditlevsens Worten zu fassen: „Das Jungsein ist ein vorübergehender, zerbrechlicher und unbeständiger Zustand. Er muss überwunden werden, einen anderen Sinn hat er nicht.“

Von Naivität und anderen Wirklichkeiten

Doch was bedeutet dieser Zustand der Jugend genau? Die dänische Band Communions hat sich der Jugend in ihrem neuen Album „Pure Fabrication“ ebenso gewidmet wie Tove Ditlevsen in ihrem 1967 erstmals erschienenen Roman „Jugend“. Die Jungs von Communions sehen das Utopische der Jugend in der Unabhängigkeit und der Freiheit, die sie bietet. In „Blinder in the street“ singen sie: „for now the future is the fiction that we own“ und vermitteln dabei jenes Gefühl, das einen in der Jugend kränkt und das man kurz darauf bereits vermisst: die pure Naivität, die Träume als baldige Wirklichkeit verkaufen lässt. Bekannterweise werden nicht alle Träume Wirklichkeit und dieser Fakt wird einem gerne bereits beim Träumen von diversen Seiten mitgeteilt oder wie es im Song „Cupid“ heißt: „My desire is to flee from / rambling influencers / that offer blind advise“. Im Gespräch gehen die Brüder Martin und Mads Rehof von Communions genauer auf die Zeile und ihre Einflüsse ein:

„Diese Zeile meint vor allem all die Menschen, die dir sagen wollen, wie du dein Leben leben sollst. Ich hab das Gefühl, das ich viele solcher Menschen in meinem Leben hatte – zum Beispiel meine Eltern. Wahrscheinlich meinen es diese Menschen positiv und wollen helfen, aber meistens ist es einfach nur nervig. Ich glaube vielen Menschen ist das auch gar nicht bewusst. Der Song ist letzten Endes über den naiven Gedanken, das man sich selbst von allem und jeden distanzieren könnte.“

Eltern oder die nervige Beeinflussung in utopischen Zeiten

Diese beeinflussende Rollen hatten Jugendliche natürlich auch schon in den 1930er, so predigte Tove Ditlevsens Mutter ihr die ganze Zeit, sie solle sich doch endlich einen Mann suchen. Doch wie jeder Jugendliche hielt Tove recht wenig vom Leiden ihrer Mutter und ging lieber mit ihrer Freundin Nina weg und lobte sich eines Tages eine erfolgreiche Dichterin zu werden – wie bei Communions liegt auch bei ihrer dänischen Vorgängerin die Schönheit in der Zukunft, aber sie meint den erwünschten Zustand schon jetzt sehen zu können bei den anderen Menschen, die die Jugend bereits überstanden haben:

„Ich mag es, wenn Menschen in irgendeiner Weise Gefühle zeigen. Ich mag es, Müttern dabei zusehen, wenn sie ihre Kinder liebkosen, und ich laufe gern einen Umweg, um einem jungen Paar zu folgen, das Hand in Hand spaziert und offensichtlich verliebt ist.“

Der Traum ist aus?

Am Ende der Jugend steht man dann vor der großen Frage wie man nun die leicht irrationalen Träume tatsächlich verwirklichen kann. Die Antwort singen Communions: „We made irrational plans / and carried them out rationally“. Was war das Irrationalste was die Jungs durchgezogen haben?:

“Ich denke, einfach in einer Band zu spielen. Es ist eine vollkommen irrationale Sache, mit einer Band Karriere machen zu wollen. Doch am Ende führst du es wie einen normalen rationalen Job aus.”

Konstruierte Individualität

Am Ende, da stimmen Communions und Ditlevsen überein, ist die Jugend ein von der Gesellschaft konstruiertes Konzept, das individuell und doch vorgegeben rebellisch ausgeführt wird. Aber egal, ob konstruiert oder nicht, die Jugend hinterlässt Spuren, so erinnert Tove „alles an (ihrem Liebhaber) daran, dass er einmal ein Kind war.“ Während Communions zu bedenken geben, dass diese Spuren jedoch nicht allein die Eigenen sind. Denn in die eigene Erfahrung der Jugend mischen sich die Spuren des eigenen familiären Ursprungs und die von vergangenen Kulturen – und es ist beruhigend zu sehen, dass diese Kultur für spätere Generationen auch auf Communions und Tove Ditlevsen verweisen wird.


Das neue Album “Pure Fabrication” von Communions ist letzten Freitag erschienen. Ihr findet es hier auf Spotify und hier geht es zum Instagram Account der Band.

Der Roman „Jugend“ von Tove Ditlevson beschreibt auf liebevolle Weise, wie Tove versucht, einen Weg in die von ihr verehrte Literaturwelt zu erhalten und dabei immer wieder auf die Grenzen der Jugend und die Bedeutung von Beziehungen stößt. Zeitgleich wird in kleinen Nebensätzen und Szenen die beginnende Diktatur in Deutschland auf eine Art und Weise beschrieben, die ein bedrückendes und leider zeitloses Bild zeichnen. Tove Ditlevsens ruhiger Erzählstil wurde nicht zu unrecht 2021 wiederentdeckt. Der Roman wurde uns als Rezensionsexemplar vom Aufbau Verlag zu geschickt.

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