Ein Museumsbesuch kann bereichernd sein – aber auch beängstigend die eigene Vergänglichkeit und die Grausamkeit der Menschen betonen. Im Musikvideo zu “All Or Nothing” wird auch die Schweizer Künstlerin Gina Été zum Museumsstück im Naturhistorischen Museum Basel. Uns hat sie erzählt, wieso sie diesen Drehort gewählt hat und wie der Song entstanden ist.

Where to begin, where to begin? – Das Songwriting

Mit meiner Band mache ich immer wieder so Probewochen, wo wir einfach irgendwo hinfahren und gemeinsam musizieren. Manchmal bringe ich fertige Songs mit, die wir dann arrangieren, andere entstehen vor Ort in der Band. „All or nothing“ entstand genau so: jeder saß in seiner Ecke, hat Basslines, Riffs, Akkorde oder Beats geschrieben und am Ende kamen wir zusammen und haben uns alles gezeigt. An dem speziellen Tag sind auf diese Art und Weise tatsächlich drei Songs vom Album entstanden!

Dieser Moment, wenn man gerade drei/ vier Akkorde hat und dann plötzlich mit einem Schlag der ganze Song entsteht, diese zündende Idee ist übrigens mein Lieblingsmoment beim Schreiben.

Megacities make you lonely/ Should one person make you whole? – Das Thema

Ich starte meistens ohne konkretes Thema in eine Session. Bei „All or nothing“ stand zuerst die Bassline und der Beat und ein paar Sätze vom Bassisten, mit welchen ich dann improvisiert habe. Das Thema kristallisierte sich dann heraus. Mit den Ideen habe ich mich später hingesetzt und den Text fertig geschrieben.

Der Song kritisiert unser unnachhaltiges, kapitalistisches System, welches unseren Alltag bestimmt, unser kopfloses vor-sich-Hinleben, ohne die Auswirkungen von unserem Lebensstil zu beachten. Es geht um Großstädte und Klima, kapitalistischen Grundsätze, welche in individuelle Wertvorstellungen übergehen und um Wachstum auf einer nicht mitwachsenden Erde.

Coral reefs covered in plastic/ German woods dissolve in brown coal – Die Politische Botschaft von Songs

Nicht all meine Songs haben eine direkte politische Botschaft, eher sind all meine Songs sehr persönlich. Also die Band ist kein aktivistisches Projekt in dem Sinne. Da ich aber ein großes politisches Interesse habe, beschäftigen mich eben einfach viele politische Themen wie Migration, Feminismus oder Klima, so dass sie auch in meine Songtexte einfließen. Und irgendwie ist doch auch alles politisch, was wir tun und sagen und eben auch, was wir unterlassen? Denn es beeinflusst immer unser Umfeld, dadurch die Gesellschaft und dadurch die Politik. Deshalb regt es mich schon auf, wenn im Mainstream immer nur über die romantische Liebe gesungen wird, weil sich das für mich irgendwie perfekt in dieses ganze kapitalistische System einfügt; nur durch die Zweisamkeit der Liebe schafft man es in den anderen Lebensbereichen diesen Wettbewerbsgedanken zu leben. Wahrscheinlich denken viele, dass sie sich durch private Themen aus der Politik heraushalten, aber am Ende unterstützten sie diese eigentlich noch. Wegschauen ist auch eine Form der Beteiligung.

Also ja, der Inhalt der Songs ist mir sehr wichtig :)

Drawing borders step by step – Die Aufnahme

Kurz vor dem ersten Lockdown war ich mit meiner Band in San Francisco, um in einem komplett analogen Studio von John Vanderslice, der u.a. auch St Vincent produziert hat, das Album aufzunehmen. Wir haben echt drei Wochen lang einfach nur aufgenommen und gemischt.
(A propos Klima und Inhalt, das Fliegen für die Album-Aufnahme oder generell „Fliegen für die Arbeit oder die Verwirklichung eines Traumes“ war eine hitzige Diskussion. Ich glaube, dass man die Verantwortung für das Klima nicht auf Individuen abwälzen und mit Angebot-Nachfrage rechtfertigen dürfte, man müsste sie endlich systematisch tragen. Trotzdem ist und bleibt dies eine Ausnahme, zu welcher ich selber ein Zwiespältiges Verhältnis habe.)

Zurück zur Aufnahme, John Vanderslice ist echt hardcore: nichts wird am Computer aufgenommen, sondern alles auf Tape. „All or nothing“ ist vom Gesang her ein One Take, einfach weil er meinte „great take, let’s move on“. Ich hatte ihn dann gefragt, ob ich es mir anhören darf, aber er meinte nur „listening is boring“. Ihm geht es einfach um den Moment und um die Atmosphäre bei der Aufnahme, nicht um den perfekten Ton. Kleine Ungenauigkeiten oder Fehler machen Musik ja auch aus.

Die Songs standen als wir ankamen, jeder konnte alle Akkorde im Schlaf, aber im Studio haben wir dann noch zusätzlich ausprobiert: Pauken, Synth-Sounds, Backing-Chörchen, Textänderungen… Auch das Arrangement für die Streicher habe ich erst in San Francisco geschrieben. Es ist also schon viel spontan im Studio passiert.

Each country and it’s army say / we defend, say we must / Ever thought that we mustn’t / Would cities of iron turn to dust? – Das Musikvideo

Michèle Flury ist eine Regisseurin aus Basel, die sehr politisch und aktivistisch ist. Sie hatte die Idee, im Zoologischen Museum Basel zu drehen, mit all diesen ausgestopften Tiere und der momentanen Ausstellung zur Klimaerwärmung. In dieser Ausstellung stehe ich dann als Wachsfigur, als Symbol für den Menschen, der sich mit seinem Verhalten ja auch in Richtung Aussterben hinbewegt. Die anderen erwachsenen Besucher*innen stehen apathisch herum und merken selber gar nicht, dass auch ihr System bereits zerfällt, sie bluten, verlieren Haare… Als Gegenpol und vielleicht auch Hoffnungsschimmer laufen diese zwei Kinder durch die leeren Gänge, schauen sich alles an – und müssen mit diesem Zerfall nun umgehen lernen. 


Ihr könnt Gina Été hier auf Instagram folgen.