“There is a crack in everything, that’s how the light gets in”, sang einst der legendäre Liedermacher Leonard Cohen. Und es sind ebenso die Risse, die Brüche, die Narben, durch die MASHA THE RICH MAN ein musikalisches Licht scheinen lässt. Der cinematische Folk-Pop der jüdischen ukrainisch-stämmigen Singer-Songwriterin hat viel hinter sich: Trauer, Täler, Tiefe – und sublimiert dies doch zu einer Erhabenheit, die einen beim Hören beinahe demütig zurücklässt.
Zu ihren frühesten Erinnerungen gehört eine blutige Nase. Erst fällt sie direkt bei Ankunft in Deutschland aus dem Bus und muss ins Krankenhaus, dann wird sie von einem Mädchen getreten. Maria „Mascha“ Raykhman ist vier Jahre alt, als sie 1999 mit ihren Eltern, ihrer Großmutter und ihrem Bruder aus Kyiv als jüdischer Kontingentflüchtling in einer Unterkunft im Schwarzwald landet. Sie versteht noch nicht, was das eigentlich bedeutet, „jüdisch sein“, sie weiß nur, dass es ihren Eltern weh tut, und sie es lieber für sich behalten soll. An den Fingern zählt sie ab, wie lange sie schon hier sein muss, dabei kann sie noch gar nicht rechnen. “Für mich war alles schwierig. Ich wollte mich gerne anpassen, aber ich wusste einfach nicht wie”, erzählt Mascha.
Dieses Gefühl zieht sich durch die gesamte Schulzeit in München. Schulwechsel und Umzüge bringen weitere Brüche. Bis es diesen einen Moment gibt, als sich Mascha das erste Mal heimisch fühlt: Sie darf in einer Musicalgruppe singen. Überhaupt: Sie singt immerzu. Sie singt in der jüdischen Gemeinde, sie singt sich selbst Nachrichten auf den Anrufbeantworter, sie singt schließlich sogar bei „Dein Song“ auf Kika. Auch in der Show bleibt sie der Paradiesvogel, aber wenigstens kommt sie ihrem Traum ein Stück näher: Sängerin zu werden. „Das habe ich mir als Kind in den Kopf gesetzt und nie eine andere Option zugelassen. Leider war das für meine Eltern eine Flause, die sie mir austreiben wollten. Sie sagten dabei viele Sachen, die verletzend waren. Aber ich habe versucht, den Gegenwind als Ansporn zu sehen.“ Die einzige Unterstützung erfährt sie von ihrer Großmutter, die ihr Gesangsunterricht bei einer Bekannten organisiert. Mut in dieser Zeit machen ihr Lieder wie „Because of You“ von Kelly Clarkson, „I Will Survive“ von Gloria Gaynor oder „Don’t Stop Me Now“ von Queen. „Die waren wie mein Mantra“, sagt der bekennende Freddie-Mercury-Fan Mascha. Ihren ersten Song schreibt sie mit 12, sie erinnert sich noch an den Text: „Help them all, let us help the small and the tall.“ Schon damals war es ein Song gegen die Einsamkeit, ein Lebensthema.
Die begegnet ihr auch in Mannheim an der Popakademie – zu speziell scheint ihr musikalischer Background: Polka, russisch-sprachige Folklore, Pathos, die Liebe für analoge Produktion. „Ich habe mich den Projekten anderer Leute unterworfen und hatte Angst, dass mein Geschmack als kitschig wahrgenommen wird“, erzählt sie. Bandmitglieder kommen und gehen. Entmutigt glaubt Mascha, endgültig „etwas Vernünftiges“ arbeiten zu müssen, und beginnt ein Business-Praktikum in München. Inmitten von Büro-Tristesse besucht sie spontan eine Songslam-Bühne und es packt sie der Heureka-Moment: „Ich MUSS Musik machen. Und ich muss an mich glauben!“ Mascha zieht derweil nach Berlin und beginnt, auch für andere Songs zu schreiben, gewinnt 2017 sogar den German Songwriting Award. Ihr Talent, in fremde Rollen zu schlüpfen, bringt ihr schließlich auch Aufträge als Synchronsprecherin, zuletzt sogar im neuen Batman-Film.
Songwriting Kollege und späterer Mentor Craig Walker ermutigt sie jahrelang ein eigenes Musikprojekt zu starten. Lange scheint ihr dieser Gedanke arrogant, sich so wichtig zu nehmen. Sie sammeln dennoch erste Themen und Skizzen. Wo sie vorher noch dachte, dass sie nichts zu sagen hätte, kam sie aus dem Texten nicht mehr heraus: Sie traute sich, ihre eigene Geschichte in Worte und Musik zu fassen. Das ist die Geburtsstunde von MASHA THE RICH MAN! Schon der Name ist eine liebevoll-ironische Abwandlung ihres Nachnamens Raykhman – der erste Schritt zur Versöhnung mit ihrer Biografie. Der Knoten ist geplatzt:
Auf ihrem Album „SHEYNE ZIERE“ finden sich Songs zwischen Weltschmerz und Wärme, so als würde Marina & The Diamonds zu einem osteuropäischen Märchen und der Melodie einer Spieluhr einschlafen und als Regina Spektor in einem Film Noir in Berlins Unterwelten aufwachen und einen umarmen. So umwerfend kann Traumabewältigung klingen! Produzent*innen wie NOVAA sind für ihr Debütalbum im Boot, es entstehen zartbittere Folk-Pop-Perlen, verwurzelt mit traditioneller Musik aus ihrer Heimat Ukraine, ausbalanciert zwischen Honigsüße und Lebensschwere von ihrer samtenen Stimme.
„Mir ist es wichtig, mit meiner Musik zu vermitteln: Ich will meine Ängste und Träume fühlen, aussprechen, ausleben. Ich habe so lange verdrängt, wer ich wirklich bin und was ich sein will, dass ich andere Leute ermutigen möchte, ihren eigenen Weg zu gehen.” Auch ihre sensiblen Lyrics berühren zutiefst: MASHA THE RICH MAN thematisiert Scham, mentale Gesundheit, Geschlechtergerechtigkeit – intim und allgemeingültig zugleich, und mit Entfremdungs-Effekt wie bei einem ihrer Lieblingsbücher, „Die Verwandlung“ von Franz Kafka. „Ich bin ein Käfig auf der Suche nach einem Vogel“, schreibt er in einem anderen Werk – das kann Mascha nachfühlen, so beginnt sie ihr Lied „Forever Boiling“ mit den Worten „Can you see her? She’s the one looking for birds under the ceiling“. Ein besonderer Höhepunkt ist auch das Stück „Sheyne Ziere“, ein Liebeslied für ihre Oma. Der Titel ist Jiddisch und gleichzeitig der Kosename, den sie Mascha gegeben hat. Ja, there is a crack in everything. Aber mit diesem interkulturellen Indie-Pop-Lichtblick fühlt man sich in den Lücken weniger allein. Mehr noch, dort erwartet einen vielleicht sogar: Trost.
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