Die Rebellion der Jugend war noch nie so brav organsiert wie heute. Statt exzessives Saufen macht exzessives Meditieren die Runde und Städte wie Wien, die doch eigentlich das besondere Untergrund Feeling haben sollen, präsentieren sich als Hauptstadt der moderaten Gelüste. LIENER hat sich nun diesem Problem gewidmet mit einer schrägen und dadurch großartigen Ästhetik begeistert “Ganz Wien ist Clean”. Ein Gespräch mit Matthias Liener über musikalisches Handwerk im Songwriting Prozess, österreichische Hochkultur und der ewige Falco Vergleich.

Schatzi, was redst von nach Berlin ziehen Die Idee

Mein Prozess ist dieser klassische zufällig-im-Alltag-irgendwas-aufschnappen-Prozess. Generell müssen meine Ideen aber auch immer schnell Dasein ansonsten verwerfe ich sie wieder, – wobei ich oft (ganz ökonomisch) irgendwelche Textfragmente aus verworfenen Ideen, wo anders einbaue. 

Bei „Ganz Wien ist clean“ war ich einfach unterwegs auf einem Festival am Wiener Donaukanal als mir eine Zeile einfiel, die dann zusammen mit den Dingen, die ich sah, ein Bild entstehen ließ. Mit dem Song wollte ich recht biedermeierlich und lyrisch einfach ganz viele Dinge aneinanderreihen, die ansich recht langweilige Dinge und so „brave“ Gelüste der Menschen darstellen.  Zum Beispiel die Zeile mit „Kandisin“ – Kandisin ist ein Süßstoff, der gerne von den älteren Damen in der Wiener Kaffehauskultur zum süßen ihres Kaffees verwendet wird. Kandisin ist das perfekte Sinnbild dafür, dass man sich halt eigentlich doch bespaßt, aber eben nur lauwarm.

Der Songtitel soll natürlich auch ein Zitat an Falco sein, dessen erster großer Song „Ganz Wien“ hieß.

Himbeermarmelade / Oh wie schade – Das Songwriting

Meistens schreibe ich erst den Text dann die Musik. Das LIENER Projekt ist das erst Projekt bei dem ich in der Lage bin alles komplett selbst bei mir zuhause aufzunehmen und wir nur das Mixen nach draußen geben müssen. Diese Unabhängigkeit von Preis und Zeit beschert mir einen ziemlich guten Workflow. Es ist halt egal, ob ich den Song schnell fertig mache oder ihn erst im Kopf wachsen lasse oder einfach alle Ideen, die ich habe erstmal ins Mirko reinpresche, um danach zu sortieren.

Ganz so spontanes rumklimpern auf der Gitarre oder dem Klavier ist es jetzt bei mir aber auch selten. Ich überlege mir schon davor welche Harmonien ich setzen könnte, ob ich mit dissonanten oder konsonanten Intervallen arbeiten möchte – es sind auch in fast allen unseren Songs (mal schräger und mal schöner) Chöre dabei, die ich selber einsinge. Die werden auch alle schön brav nach Tonsatz auf Notenpapier aufgeschrieben. Für sowas kenne ich mich dann doch nach sechs Semestern Tonsatz an der Musikuni gut genug damit aus und gehe da auch mit ner gewissen Härte ran, bevor ich sie einsinge. Mir macht das schon recht spaß das musikalische Handwerk in die Songs einzuarbeiten. Ich bin absolut kein Fan von Crossovern a la Opernstar singt Popmusik, aber ich finde durchaus das es eine gute musikalische Schnittmenge zwischen rockigen Tönen und schönen Harmonien gibt, wie sie zum Beispiel Bands wie Queen perfektioniert haben.

Bei „Ganz wien ist clean“ wusste ich von Anfang an, dass ich dem ganzen Song ein sehr dissonantes lautes, knarriges Kostüm geben möchte. Das ich Gitarren mit Verstärkern einspielen möchte und nicht über irgendwelche AMP Simulationen,- es sollte sich schon beim Spielen laut anhören. Aber es gibt zum Beispiel auch nen Synth Bass. Das Instrumental ist also wild gemischt analog und digital aufgenommen, danach singe ich nur noch drüber, dann steht das erste Konstrukt schonmal und ich kann anfangen an den Feinheiten, wie dem Intro, zu tüfteln.

Kein Kokain / Kein KodeinDer ewige Vergleich

Die österreichische Zeit wird in „nach Falco“ gerechnet und dementsprechend werden wirklich alle deutschsprachigen Acts aus Wien mit ihm verglichen (selbst Christina Stürmer wurde am Anfang mit ihm verglichen). Es liegt halt irgendwie Nahe, weil wir nun mal anders deutsch sprechen als die Deutschen, aber ich bin auch wirklich froh zu sehen, dass es jetzt mit Bilderbuch und Wanda zwei erfolgreiche österreichische Bands gibt, die was wirklich eigenständiges darstellen (und dennoch immer mit Falco verglichen werden).

Der Vergleich mit ihm liegt also bei Wiener Musiker*innen irgendwie immer latent peinlich auf der Hand und dann habe ich mir gedacht, dass es irgendwie absurd ist das die Künstler*innen andauernd noch mit Falco verglichen werden aber Wien sich gleichzeitig unfassbar verändert hat seit den 80ern. Der Zeitgeist ist viel braver, bewusster, achtsamer geworden. Gerne wird auf Alkohol und Drogen verzichtet – also schon ein brechender Unterschied der Realitäten der Jugendkulturen. Im Refrain von „Ganz Wien“ singt Falco  „Kokain und Kodein, Heroin und Mozambin“ und ich negiere das dementsprechend alles in unserem Refrain.

Natürlich gibt es auch heute noch eine bebende Untergrund Szene und ich will jetzt auch gar nicht so tun als wäre Wien schal, aber die Stadt und das Land Österreich selbst fördert ja auch nur die Hochkultur mit dem Löwenanteil der vorhandenen Geldern, die so ein cleanes Image beschreit – Falco selbst hatte schließlich auch schon gesagt „schmeißt die Rockrabauken raus und renoviert das Opernhaus“.

Du weißt doch überhaupt nicht / was du da redestDas Musikvideo

Als LIENER angelaufen ist, hatten wir uns mit Johannes Dürhammer zusammengesetzt, dessen Videoarbeiten für andere Artists wie Conchita Wurst oder Ina Regen ich sehr schätze. Gleich am Anfang vor einem Jahr hatte er auch schon die Idee für dieses Video: die falle, verstaubte Ästhetik in dieser alten Wohnung, die nie ausgeräumt wurde. Auch wenn die Idee noch vor Corona entstanden ist, finde ich sie repräsentiert jetzt doch auch sehr schön die momentane Situation.


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