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Adam Green kehrt mit “Minor Love” zu seinen rauen Anti-Folk-Wurzeln, nicht aber zur lyrischen Infantilität zurück. Der Mut, die Erfolgsformel seiner letzten drei Alben nicht faul zu zitieren, sondern sich vor allen Dingen textlich neu zu definieren macht “Minor Love” zu einem überraschend reifen Werk.
Der New Yorker, der sich mit den Moldy Peaches anfangs nur die Herzen einer eingeschworenen Underground-Gemeinde erspielte, riskiert nach europaweiten Chart-Platzierungen und einer Echo-Nominierung als “Newcomer des Jahres international” nun einen Schritt zurück zur schrammeligen Lo-Fi-Basis seiner musikalischen Karriere. Rekapitulieren wir die ertragreiche Laufbahn des Amerikaners: Adam Green gelang in Europa mit dem Album “Friends Of Mine” gleich im zweiten Jahr seiner Solo-Laufbahn der unerwartete Durchbruch. Mag es an mangelnden Englisch-Kenntnissen oder an einem speziell europäischen Sinn für Humor gelegen haben: Die Mischung aus hübsch-einfachem Instrumental und zynischen Nonsense-Texten übers Crack-Rauchen, Sex mit beinlosen Frauen oder die unfreiwillige Trash-Queen Jessica Simpson schien den Nerv der Masse außerhalb des Stars-And-Stripes-Landes zu treffen. Mit dem Hit-Album “Gemstones” manifestierte der Meister seines Anti-Folk-Faches plötzlich eine textlich zwar weiterhin absurde, aber musikalisch relativ faltenfreie Kabarett-Vorstellung. Er verlor dadurch einiges an kindlich-rauem Charme, qualifizierte sich dafür aber für sämtliche Hirn-Aus-Shows der europäischen Abend-Unterhaltung und einen Independent-Superstar-Status.
Geschuldet der Tatsache, dass man irgendwann zunehmend den Eindruck gewann, Adam Green hätte tatsächlich nicht alle beisammen oder frönte zu vieler illegaler Substanzen, schloss man einen Kurswechsel irgendwann aus. Umso mehr überraschen die ersten Momentaufnahmen auf “Minor Love”. Hier glubscht nicht mehr der niedliche-verstörte Adam mit lustigen Gesten in zu kleinem Anzug von der Bühne, hier sitzt er desillusioniert und verkatert vom Entertainment-Rausch in der stickigen Eckkneipe und ist alles andere als beschwingt gelaunt. Während der gehaltvollen Stücken des Albums zumindest.
Eine erstaunlich vielschichtige Green-Stimme heißt uns ohne Umschweife im ersten Takt des Openers sehr herzlich in der Folk-Scherbenwelt willkommen. Die Gitarre klimpert und eine Orgel orgelt traurig ihr schlechtes 60er-Ständchen dazu – man fühlt sich angenehm ans trashige, erste Solo-Album “Garfield” erinnert. Die Varieté-Schunkelei ist also offensichtlich passé. Das klapprige Anachronismus-Instrumental um Orgel, Banjo, Pan-Flöte, Schellenkranz, Geige und natürlich Akkustik-Gitarre hat man alsbald um seine schrullige Unverblühmtheit sehr lieb gewonnen. Green gelingt es damit nämlich seit “Garfield” erstmals wieder, seine Texte mal lustig, wie im Falle “Bathing Birds”, mal anrührend wie bei “Boss Inside” zu illustrieren. Wo Adam-Green-Hits wie “Jessica Simpson” oder “Gemstones” nur mit dem offensichtlichem Kontrast zwischen der hübschen Musik und dem hässlichen Wort punkteten, praktiziert der Sänger mit der instrumentalen Personifizierung der „Bathing Birds“ eine geniale, berührende Lächerlichkeit im Stil hoher Helge-Schneider-Kunst. Allgemein steht Greens Texten das zerrissene Leonard-Cohen-Gewand um einiges besser als der gebügelte Entertainer-Anzug.
Trotz aller musikalischer Rückbesinnung handelt es sich bei „Minor Love“ allerdings nicht um die Wiederholung des “Garfield”-Prinzips, denn Adam Green tut, was niemand erwartet hätte: Er stürzt seine Text-Maxime. Hier regiert der Nonsense nicht mehr in Absolutismus. Der Dichter gewährt uns erstmals ungehinderten Zutritt in seine Geschichten. “The Boss Inside” erzählt ein lehrreiches Märchen von einem wütenden Blödmann, mit “Buddy Bradley” lässt Green einen Comic-Helden auferstehen und gesteht in “Breaking Locks” poetisch: ‘Took off my winter clothes and my body looked like forty or fifty crows’.
Bisher waren die kindisch-perversen, non-konformistischen und um jeden Preis politisch inkorrekten Texte Adam Greens eine wichtige Komponente seiner Musik. Was trotz allem Gaga schon immer durchschimmerte, war aber das goldene Händchen des New Yorkers für die Poesie. In einer persönlichen Liebes-Krise schaffte der Sänger in der Entstehungsphase seines sechsten Albums den Schritt von Jux und Dollerei zu ernsthafter, emotionaler Lyrik. Die Texte auf “Minor Love” sind persönlicher und inhaltlich dichter, nicht aber langweiliger.
Störenfriede der an sich konsequent verfolgten Anti-Folk-Seligkeit sind die elektrisch verzerrten Stücke „Oh Shucks“ und „Lockout“, die die Anti-Einstellung überambitioniert auf den Lo-Fi-Gipfel treiben wollen. Bei allem Hau-Drauf-Trash haben sie weitaus weniger Punk-Attitude als die poetisch-melodiöse Klimperei des restlichen Albums. Auf diesen Moldy-Peaches-Ausflug hätte Green, zu Gunsten einer einheitlichen Stimmung gern verzichten dürfen.
“Minor Love” vertont als Gesamtwerk trotzdem sehr gelungen den Begriff Anti-Folk neu. Schließt man die Augen, singt da eine drogenzerfressene Horde gefallener Folk-Hippies zwischen hässlichen Nutten und alkoholisierten LKW-Fahrern schief aber schön und schlau von lustigen und traurigen, immer aber bewegenden Absurditäten und haut dabei oft genug suffig-nervös neben Tasten und Seiten.
Sophie Bischoff
VÖ: 08. Januar 2010
Label: Rough Trade/Beggars Group (Indigo)
Tracklist:
01. Breaking Locks
02. Give Them A Token
03. Buddy Bradley
04. Goblin
05. Bathing Birds
06. What Makes Him Act So Bad
07. Stadium Soul
08. Cigarette Burns Forever
09. Boss Inside
10. Castles And Tassels
11. Oh Shucks
12. Don’t Call Me Uncle
13. Lockout
14. You Blacken My Stay
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